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KLIMA/691: Grüner Kapitalismus - Geburtsumkehr ... (SB)




Satellitenaufnahmen eines typischen Fischgrätmusters (Straßen, von denen weitere Straßen abgehen) im Regenwald - Foto: NASA

Straßen bilden Ausgangspunkt für Entwaldung des Amazonasbeckens Foto: NASA

Ende vergangenen Monats hat der Grüne Klimafonds (Green Climate Fund) entschieden, daß Brasilien fast 100 Millionen Dollar für einen Rückgang seiner Entwaldungsrate als sogenannte Klimaschutzmaßnahme (Mitigation) erhält [1]. Und das, obwohl zur Zeit wieder mehr Wald gerodet wird und der neue Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, grünes Licht für die Vertreibung bzw. Ermordung der Indigenen, den milliardenschweren Bau neuer Straßen durch den Amazonas-Regenwald sowie Waldrodungen zum Zweck des Plantagenbaus gegeben hat. Ähnlich wie US-Präsident Donald Trump hat Bolsonaro nur Verachtung für den Klimaschutz und die von den Klimafolgen betroffenen Menschen übrig. Es ist an Zynismus nicht zu überbieten, daß Brasilien Gelder aus dem Grünen Klimafonds erhält.

Die schlimmsten Befürchtungen von Nichtregierungsorganisationen, die sich um die Bewahrung des Amazonas-Regenwalds, den Schutz der Indigenen und allgemein den Klimaschutz Sorgen machen, haben sich bewahrheitet: Ausgerechnet das erste Waldschutzprojekt im Rahmen des Konzepts REDD+ [2], das der Grüne Klimafonds genehmigt hat, geht an Brasilien. Es handelt sich um ein Pilotprogramm, bei dem Länder rückwirkend für ihren erfolgreichen Waldschutz während des Zeitraums Dezember 2013 bis 2018 Finanzmittel erhalten. Das Pilotprogramm hat einen Umfang von 500 Mio. Dollar, und bezahlt werden fünf Dollar pro Tonne Kohlenstoffdioxid-Äquivalent (CO₂e). Wobei die Bestimmungen vorsehen, daß kein Land mehr als 30 Prozent dieses Topfs erhalten darf.

In dem vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP formulierten Antrag um Finanzierung macht Brasilien geltend, es habe in den Jahren 2014 bis 2015 seine Entwaldung verglichen mit dem Durchschnitt der jährlichen Entwaldungsrate zwischen 1996 und 2010 so sehr verringert, daß dies 1,25 Milliarden Tonnen CO₂e entspricht. Für zwei Prozent dieser Menge hatte Brasilien um Finanzmittel gebeten, was 25 Mio. Tonnen CO₂e ausmacht. Der Independent Technical Advisory Panel - ein Ausschuß des Grünen Klimafonds - hatte die Anerkennung von 19 Mio. Tonnen CO₂e empfohlen. Dem ist der Fonds nun gefolgt, so daß Brasilien 96,4 Millionen Dollar als Waldschutz für Wald erhält, der möglicherweise in diesem oder nächsten Jahr nicht mehr existiert. "Der Grüne Klimafonds bezahlt für Wälder, die bis 2015 bewahrt wurden, aber zur Zeit abgebrannt werden, während die Zahlungen geleistet werden", kritisiert Simone Lovera-Bilderbeek, Aktivistin, Autorin und Direktorin der Nichtregierungsorganisation Global Forest Coalition Brasiliens Initiative. [3]

Eine entscheidende und höchst umstrittene Größe in diesem Zusammenhang ist der Referenzzeitraum, der Forest Reference Emission Level (FREL B). Im Durchschnitt der Jahre 1996 bis 2010 wurde in Brasilien eine besonders große Fläche an Wald gerodet, so daß die Phase 2014/15 günstig erscheint. Die Biologin und Kritikerin des Emissonszertifikathandels Jutta Kill von der World Rainforest Movement berichtet laut Mongabay, daß Brasilien bei diesem Referenzwert seine heutige Entwaldungsrate sogar verdoppeln könnte und es noch immer Gelder vom Grünen Klimafonds erhalten würde. Doch bei einem anderen Referenzwert, der die Realität der steigenden Emissionen berücksichtige, könnte das Land womöglich überhaupt keine Ansprüche geltend machen. [4]

Die Geschwindigkeit, mit der in Brasilien Wald gerodet wird, fiel in den letzten zwanzig Jahren sehr unterschiedlich aus, abhängig nicht zuletzt von der jeweiligen Regierung. 2014/15 hat die Entwaldung von 5.012 auf 6.207 Quadratkilometer, das entspricht 25 Prozent, zugenommen. Bereits unter Präsident Michel Temer (2016 - 2018) war abermals vermehrt Wald gerodet worden. Als aber gegen Ende 2018 Bolsonaros Wahlsieg feststand, stieg die Geschwindigkeit nochmals an, mit der unter anderem "grileiros" in die Wälder eindrangen und Bäume fällten. Offiziell wurden 2018 über 7.900 Quadratkilometer Wald gerodet. Zum Vergleich: 2012 waren es rund 4.570 Quadratkilometer.

Man könnte behaupten, daß sich Brasilien die Gelder erschlichen hat, aber das würde die Rolle des Fonds bei diesen Machenschaften zu gering einschätzen. Beim Grünen Klimafonds, der im Rahmen des U.N. Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) aufgestellt wurde, weiß man sehr genau, daß man das Geld dem Klimawandelleugner Bolsonaro in den Rachen wirft. Das läßt den Schluß zu, daß entweder maßgebliche Kräfte im Fonds auf dessen Seite stehen oder aber daß man, auf welcher Grundlage auch immer, hofft, daß sich der Drachen mit dem Happen besänftigen und von dem Nutzen des Klimaschutzes überzeugen läßt. Letzteres wäre allerdings besonders naiv, denn Bolsonaro dürfte sich eher in seiner Ansicht bestätigt sehen, daß auch die sogenannten Klimaschützer die gleiche Sprache sprechen wie er und nur am Geschäft, nicht aber an einem ernsthaften Klimaschutz interessiert sind.

Wie konnte es überhaupt zu dieser für den Klimaschutz verheerenden Entscheidung kommen? Ursprünglich war REDD, das später auf REDD+ erweitert wurde, ein Konzept, das von Entwicklungs- und Klimaschutzorganisationen begrüßt wurde. Mittels der Anerkennung der "Ökosystemdienstleistung" des Waldes als Kohlenstoffspeicher sollten Gelder von den Industriestaaten in die Länder des Südens transferiert werden, damit diese für den Klimaschutz und zugleich ihre nachholende Entwicklung keinen Wald roden müssen, sondern statt dessen für dessen Bewahrung finanziert werden. Denn, so die Idee, ein Stopp der Entwaldung trägt zum Klimaschutz bei, weil der Kohlenstoff nicht verbrannt und als CO₂ in die Luft geblasen, sondern in Form von Bäumen gebunden wird. Um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wie im Übereinkommen von Paris als Wunschziel formuliert, würde der Schutz der Wälder einen unverzichtbaren Beitrag leisten.

Bei der Befürwortung dieser Idee wurde jedoch übersehen, daß im Rahmen einer kapitalistisch organisierten Wirtschaft, Naturressourcen in der Regel nicht in Wert gesetzt werden, um sie zu bewahren, sondern vielmehr dafür, daß erstens vorzugsweise kapitalstarke Unternehmen Profite generieren und zweitens Regierungen ihre administrative Verfügungsgewalt in gesellschaftliche Bereiche hinein ausdehnen, die ihnen bisher mindestens partiell unzugänglich waren. Letzteres bedeutet zum Beispiel im Fall von REDD+, daß ausgerechnet die Menschen, die seit Generationen einen nachhaltigen Umgang mit dem Amazonas-Regenwald pflegen, die Indigenen und Kleinbauern, aus dem Wald vertrieben werden. Jair Bolsonaro hat geradezu zur Jagd auf die Indigenen und alle, die den Wald schützen wollen, geblasen, indem er sie als "Terroristen" gebrandmarkt hat.


Luftaufnahme knapp eines Dutzend weitgehend unbekleideter Menschen (Kinder und Erwachsene) vor drei Hütten im Wald - Foto: Gleilson Miranda / Governo do Acre, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Unkontaktierte Indigene sind laut Definitionshoheit der Ressourcenräuber "Terroristen"
Foto: Gleilson Miranda / Governo do Acre, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Selbst wenn Waldflächen unter REDD+ nicht abgeholzt werden, bedeutet das nicht, daß dadurch der Wald insgesamt geschützt wäre. Statt dessen weichen jene gesellschaftlichen Gruppen, die hinter der Waldrodung stehen - Holzunternehmen, Sojaproduzenten, Biospritfirmen, etc. - einfach auf andere Waldgebiete aus, die dann verstärkt schrumpfen. So verzeichnet gegenwärtig nicht der Amazonas-Regenwald, sondern der brasilianischen Cerrado und der Chaco in Paraguay mit die höchsten Entwaldungsraten der Welt.

Sofern es noch eines Sargnagels für REDD+ bedurft hätte, hat ihn der Grüne Klimafonds in seiner letzten Sitzungsperiode vom 26. bis 28. Februar 2019 in Songdo, Südkorea, mit der Bewilligung des brasilianischen Antrags eingeschlagen. Problematisch war die Idee von REDD+ von Anfang an: Jemand sollte dafür bezahlt werden, daß er etwas nicht tut. Das heißt, es stand die Androhung im Raum, er könnte die globale Erwärmung anfeuern, indem er Wald rodet, würde es aber nicht tun, wenn er dafür Geld erhielte. Diese Denkweise hat rund um den Globus den grünen Kapitalismus befördert, indem zum Beispiel über die Finanzierung von modernen Kohlekraftwerkstechnologien in einem Entwicklungs- oder Schwellenland Emissionszertifikate erworben werden können, mit der Begründung, daß ansonsten eine weniger moderne Anlage gebaut würde, die mehr Kohlenstoffdioxid emittiert. Das heißt, im Grünen Kapitalismus ist so ein Bedrohungsszenario systemisch verankert.

Es besteht nicht nur keine Garantie seitens der neuen brasilianischen Regierung, den unter REDD+ geschützten Wald unangetastet zu lassen, sondern Waldrodungen sind geradezu ihr Programm. Der neue Infrastrukturminister Tarcísio Gomes de Freitas kündigte noch am ersten Tag seiner Amtszeit an, daß Brasilien in den nächsten vier Jahren den Straßenbau in Höhe von 27 Mrd. Dollar fördern wird. Damit sollen entlegene Regionen "erschlossen" werden.

Bekanntlich waren solche Straßen schon immer Ausgangspunkt für illegale ebenso wie legale Waldrodungen. Dazu paßt, daß Brasilien seine Einladung als Gastgeber für den nächsten UN-Klimagipfel (COP25) zurückgezogen hat. Chile ist in die Bresche gesprungen. Auch steht immer noch im Raum, ob sich Brasilien nicht wie die USA vollständig vom Übereinkommen von Paris verabschiedet. Es wäre ein übler Scherz, wenn es zu dem Zeitpunkt noch Gelder aus Grünen Klimafonds erhielte.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/y4p23pf7

[2] Das Akronym REDD+ steht für: Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries (z. Dt.: Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle des Waldschutzes, der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und des Ausbaus des Kohlenstoffspeichers Wald in Entwicklungsländern)

[3] https://globalforestcoalition.org/redd-and-the-green-climate-fund-confirming-the-worst-fears/

[4] https://news.mongabay.com/2019/02/fears-of-a-dire-precedent-as-brazil-seeks-results-based-redd-payment/

4. März 2019


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