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KLIMA/666: Antarktis - doppelte Erwärmung ... (SB)



Luftaufnahme der Schelfeiskante und des abgetrennten Eisbergs, dazwischen eine Wasserfläche, die größtenteils von zergliedertem Meereis bedeckt ist - Foto: NASA/Nathan Kurtz, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Klimakatastrophe mit Ansage
31. Oktober 2017: Der riesige Eisberg Larsen C hat sich vom Schelfeis der Westantarktis gelöst. Je mehr die antarktischen Gletscher ihr vorgelagertes Schelfeis verlieren, desto schneller fließen sie ins Meer.
Foto: NASA/Nathan Kurtz, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Seit den 1950er Jahren erwärmt sich das Randmeer rund um die Antarktis fast doppelt so schnell wie die übrigen Meere. Das könne nicht mehr mit natürlichen Temperaturschwankungen erklärt werden, sondern gehe auf den menschlichen Einfluß zurück, heißt es in einer neuen Studie einer Forschergruppe um Neil Swart vom Canadian Centre for Climate Modelling and Analysis, Environment and Climate Change, die im Journal Nature Geoscience erschienen ist [1].

Was geht es uns in Mitteleuropa an, wenn sich irgendwo auf der Südhalbkugel Meerwasser geringfügig erwärmt? Wird hier nicht ein Popanz aufgebaut, um die Bevölkerung zu kontrollieren und zu einem sinnlosen Verhalten der Energieeinsparung und Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen zu verleiten? In dieser Art fragen schon mal Leute, die den Klimawandel für Humbug halten, und so könnte man vielleicht fragen, wenn die Südhalbkugel eines anderen Planeten gemeint wäre. Doch was klimatisch in der Antarktis (und der Arktis) geschieht, wirkt sich auf die gesamte Erde aus, manchmal unmittelbar, manchmal langfristig.

Wenn beispielsweise die Gletscher in der Antarktis schmelzen, steigt der Meeresspiegel global an, und wenn die Ozonschicht in der Stratosphäre über dem südlichsten Kontinent ausgedünnt wird, erhöht das nicht nur dort die gefährliche UV-Strahlung von der Sonne, sondern auch die ultraviolette Strahlung in niedrigeren Breiten, da das Ozon von dort her nachfließt. Zwei Folgewirkungen, die beispielhaft zeigen, daß uns die Antarktis nicht so fern ist, wie es den Anschein hat.

Ebenfalls seit den 1950er Jahren verringert sich der Salzgehalt des zirkumantarktischen Randmeeres, was vor allem eine Folge der zunehmenden Gletscherschmelze ist. Das alles sind Anzeichen einer globalen Veränderung, wie sie erdgeschichtlich möglicherweise in ähnlicher Form schon mal vorkam, aber da gab es auch noch keine Menschen, denen das Wasser bis zum Hals stehen könnte ...

Nach eigenen Angaben haben die Forscher unter anderem auch der Scripps Institution of Oceanography der Universität von Kalifornien in San Diego erstmals Daten eines globalen Netzwerks von Ozean-Bojen des 2004 begonnenen Argo-Programms ausgewertet und mit Daten aus früheren Zeiten sowie mit ihren Klimamodellen abgeglichen. Von Vorteil war, so die Co-Autorin der Studie und physikalische Ozeanographin Sarah Gille, daß zwar bisher wenige historische Meßergebnisse aus dem Südozean vorliegen, aber daß sie für ihre Studie an den gleichen geographischen Punkten Daten aufnehmen konnten wie bei Messungen in den 1950er und 1960er Jahren. Hierdurch habe sich herausgestellt, daß die Ergebnisse den gleichen Trend wiedergeben, wie er in den Klimamodellen berechnet worden war.

Neil Swart behauptet, ihres Wissens nach sei es das erste Mal, daß der Einfluß des stratosphärischen Ozonverlusts im Ozean nachgewiesen worden sei. Ob das zutrifft, wollen wir gern Fachwelt überlassen; auffällig ist jedoch, daß in früheren Untersuchungen unter anderem von Prof. Dr. Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Potsdam dem stratosphärischen Ozon genau die gegenteilige Wirkung zugesprochen wird. Demnach hat das Ozonloch dafür gesorgt, daß mehr Wärmerückstrahlung von der Erde ins Weltall abgegeben werden konnte. Wohingegen sich eine geschlossene Ozonschicht wie eine Heizdecke verhielte. Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 2017 in Bremen sagte Prof. Rex gegenüber dem Schattenblick:

"Der größte Teil der gesamten Eismasse der Erde liegt momentan noch im Kühlschrank. Dieser Kühlschrank wird unter anderem vom Ozonloch angetrieben, dem wir gerade den Stecker ziehen. Dafür haben wir gute Gründe, denn wir wollen, daß das Ozonloch wieder verschwindet. Doch das könnte insgesamt dazu führen, daß sich die Antarktis in der Zukunft erwärmt, was Folgen für die Eismassenbilanz dort haben und deswegen auch den Meeresspiegel mit beeinflussen wird. Wenn man sich diese Zusammenhänge vorstellt, ist schon zu erwarten, daß irgendwann jemand mit der Frage kommt, ob es wohl eine so gute Idee ist, das Ozonloch jetzt zu bekämpfen, wenn es uns doch die Antarktis so schön kühlt." [2]

Wie gesagt, zumindest hinsichtlich der Erwärmung des Meeres geht Swart von einem gegenteiligen Effekt des Ozonlochs aus, wenn er sagt: "In Zukunft erholt sich die Ozonschicht, während die Treibhausgase weiter zunehmen, was zu gegenläufigen Trends führt. Unsere Arbeit legt nahe, daß Treibhausgase bei der Bestimmung der Trends im Südlichen Ozean wichtiger sind als Ozon." [3]

Die hier mutmaßlich voneinander abweichenden Einschätzungen der Bedeutung des Ozonlochs für den Wärmehaushalt der Erde zeigen vor allem eines: Die Forschungen zur Antarktis und ihren Randmeeren sind noch nicht abgeschlossen. Dagegen ist man sich in der Wissenschaft weitgehend einig, daß die Prozesse in den Natursystemen des Südlichen Ozeans von immenser Wichtigkeit für den gesamten Planeten sind. Der Ozean hat einen beträchtlichen Teil der Wärme und des Kohlenstoffs absorbiert, die von Menschen produziert wurden. Um möglichst präzise Aussagen über die globale Klimaentwicklung treffen zu können, kann nicht darauf verzichtet werden, sich mit Antarktis zu befassen.

Die Geschwindigkeit, mit der dort Gletscher schmelzen, hat im Laufe des vergangenen Jahrhunderts zugenommen und sich auch in den letzten knapp zwei Jahrzehnten weiter beschleunigt. Von den Gletschern der Westantarktischen Halbinsel wird bereits angenommen, daß sie unaufhaltsam schmelzen werden, selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, daß die Menschheit ihre Klimaschutzziele einhält. Eine komplette Gletscherschmelze in der Westantarktis würde im Laufe der nächsten Jahrhunderte einen Meeresspiegelanstieg von rund drei Metern bewirken.

Die Entwicklung ist eindeutig. Der Anstieg des globalen Meeresspiegels betrug im Zeitraum 1901 bis 2010 rund 1,7 Millimeter pro Jahr. Betrachtet man nur den Zeitraum 1993 bis 2010, so liegt der Anstieg schon bei durchschnittlich 3,2 mm pro Jahr. Dieser Trend wird auch in den Jahren seit 2010 weiter beobachtet. Wobei mehr als die Hälfte des Anstiegs auf die Gletscherschmelze zurückgeht, der Rest auf die thermische Ausdehnung des Meeres.

Was in der Antarktis geschieht, geht alle Menschen an, denn wenn flache Inselstaaten und niedrige Küstenbereiche überschwemmt werden, wenn Flußmündungen weiter ins Landesinnere zurückverlegt werden und eine Vielzahl von Millionenstädten in unmittelbarer Meeresnähe unbewohnbar wird, dann werden Menschen in großer Zahl ihre Heimat verlieren und abwandern. Bei einem anhaltenden Erwärmungstrend und dadurch bedingter Gletscherschmelze werden bis Ende des Jahrhunderts fast 20 Prozent der Menschheit ihre Heimat verlassen und trockenere Gestade aufsuchen. Nicht nur die Siedlungs-, sondern auch die landwirtschaftliche Anbaufläche schrumpft. Es besteht die große Gefahr, daß der Hunger zunehmen wird.

Allein durch Landverlust, Zuwanderung und eine geringe Nahrungsproduktion würde der Überlebensdruck auf die Menschheit gewaltig wachsen. Wenn man bedenkt, wie sehr in den letzten Jahren nicht nur in Deutschland bereits durch die geringe Zuwanderung (verglichen mit dem, was auf die relativen Wohlstandsräume zukommen könnte) ausgerechnet jene Zeitgenossen Zuspruch erhalten, die weitreichende Vertreibungsphantasien ventilieren, ist am Ende des Jahrhunderts mit noch weit exzessiveren Reaktionen auf die Klimawandelfolgen zu rechnen.


Überflutete Straße mit einer Reihe von Rikschafahrern, die sich durchs knietiefe Wasser vorkämpfen - Foto: masud ananda, CC BY-ND 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/]

Überschwemmungen in Dhaka. Die Hauptstadt von Bangladesch liegt zwar ziemlich genau in der Mitte des Landes und damit eigentlich weit von der Küste entfernt, doch nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Bangladesch zählt zu den vom Meeresspiegelanstieg gefährdetsten Staaten der Erde. Doch schon heute sorgen starke Monsunniederschläge und die Gletscherschmelze im Himalaya für weitreichende Überschwemmungen.
Foto: masud ananda, CC BY-ND 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/]


Fußnoten:


[1] https://www.nature.com/articles/s41561-018-0226-1

[2] http://schattenblick.de/infopool/natur/report/nrin0022.html

[3] https://scripps.ucsd.edu/news/human-causes-only-plausible-source-warming-southern-ocean


27. September 2018


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