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KLIMA/651: Wasserumverteilung - unsichtbar und prägend ... (SB)




Ein mindestens zehngeschossiges Hochhaus hinter einer Kreuzung, die bis in Höhe der Signalleuchten der Ampeln überflutet ist - Foto: © Rose and Trev Clough, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Das Carlisle Civic Centre im Vereinigten Königreich nach schweren Regenfällen durch einen atmosphärischen Fluß im Dezember 2015
Foto: © Rose and Trev Clough, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Die mit Abstand wasserreichsten Flüsse der Erde verlaufen nicht an Land, sondern in der Luft. Diese sogenannten atmosphärischen Flüsse werden mehrere tausend Kilometer lang und transportieren in rund 1,5 Kilometer Höhe gewaltige Mengen feuchter Luft aus den Tropen und Subtropen in nördlichere Breiten. Der Klimawandel könnte dafür sorgen, daß diese 400 bis 600 Kilometer breiten Strömungen zwar zahlenmäßig weniger, dafür aber länger und breiter werden und daß sie häufiger als bisher auftreten.

Man muß davon ausgehen, daß dieser Effekt dramatische Folgen für das gesamte Klimasystem der Erde haben wird. Oder umgekehrt formuliert: Die dramatischen Veränderungen des gesamten Klimasystems der Erde zeigen sich auch in dem Wandel, den die atmosphärischen Flüsse erfahren werden. Das betrifft den Menschen unmittelbar. Landwirtschaft, Infrastruktur, Industrie und Siedlungen sind von Überschwemmungen bedroht. So hatte 2009 ein atmosphärischer Fluß, der 25mal mehr Wasser mit sich brachte, als die Themse im Durchschnitt befördert, im Vereinigten Königreich für eine Jahrhundertflut gesorgt. Wenige Jahre darauf kam es in Irland und auf den britischen Inseln erneut zu schweren Überschwemmungen nach dem Eintreffen eines atmosphärischen Flusses.

Geht es nach einer von der US-Weltraumbehörde NASA geleiteten, im April dieses Jahres in den Geophysical Research Letters erschienenen Studie [1], dürfte das letzte Wort zu der Frage, was eigentlich eine Jahrhundertflut ist, noch nicht gesprochen sein. Da steht insbesondere Kalifornien und der übrigen Westküste Nordamerikas, aber eben auch der Westküste Europas und anderer Weltregionen noch einiges ins Haus.

Im Durchschnitt existieren weltweit elf atmosphärische Flüsse gleichzeitig. Sofern die anthropogenen Treibhausgasemissionen mit der gegenwärtigen Geschwindigkeit zunehmen, werden laut Studienleiter Duane Waliser vom Jet Propulsion Laboratory der NASA im kalifornischen Pasadena global gerechnet etwa zehn Prozent weniger atmosphärische Flüsse entstehen, zugleich werden diese jedoch je rund 25 Prozent breiter und länger werden. Somit steigt die Gefahr durch schwere Niederschläge und heftige Stürme auch in Regionen, die bislang nicht betroffen waren, beträchtlich an.

Im Fadenkreuz dieser Unwetter sind vor allem die Westküsten der Landmassen. Wenn die feuchten Luftmassen auf eine Bergkette wie die Sierra Nevada oder die Anden treffen, regnen sie sich aus; mitunter wochenlang. Unter bestimmten meteorologischen Bedingungen kommt das Wasser auch als Schnee herunter.

Klimaprojektionen, wie sie für diese Studie erstellt wurden, sind sicherlich das Beste, was die Wissenschaft auf diesem Gebiet zu leisten im Stande ist und worauf sich die Gesellschaft stützen kann. Die Validität, das heißt Plausibilität und Zuverlässigkeit der am Computer generierten Projektionen wird zum einen mit anderen Methoden der Klimatologie oder verwandter Forschungsrichtungen abgeglichen und zum anderen - sofern vorhanden - an den in der Vergangenheit erstellten Daten, die auf konkreten Messungen beruhen, überprüft. Denn in der Wissenschaft geht man davon aus, daß eine Klimasimulation, die zurückliegende Entwicklungen relativ genau herleitet, auch zukünftige Prozesse vergleichsweise genau zu projizieren oder zumindest eine Spanne, in der sich das Klimageschehen voraussichtlich abspielen wird, anzugeben vermag.

Ein prinzipielles Problem dieser Herangehensweise liegt auf der Hand: Die Wissenschaft bleibt im Nachvollzug. Sie versucht, Entwicklungen nachzuzeichnen und mit ihnen zu rechnen, die längst eingeleitet sind und deren Folgen sich - möglicherweise - erst viel später zeigen. Sollte sich jedoch das globale Klima in einer Weise wandeln, wie es in der Erdgeschichte noch nicht vorkam, dürften die wissenschaftlichen Projektionen an ihre Grenzen stoßen. Feststellen läßt sich das aber erst, wenn es soweit ist. Bis dahin bleibt es Studien wie der oben erwähnten überlassen, auf vermeintliche Randerscheinungen des globalen Klimawandels aufmerksam zu machen.

Die Forscher erwähnen es nicht eigens, doch wenn es den Regierungen weltweit ernst damit wäre, die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden, müßten hierzu sehr viel entschlossenere Maßnahmen ergriffen werden, als sie selbst noch im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbart wurden. Indes verfehlt die Bundesrepublik Deutschland ihre Klimaziele, verabschiedet sich die US-Regierung vom Klimaschutz, , wird der Amazonas-Regenwald weiter abgeholzt, intensiviert die australische Regierung den Kohleabbau, baut Rußland die Erdgasförderung weiter aus, und so weiter.

Die Intensivierung der Wasserumverteilung ist nur ein Effekt von vielen, die unter dem Stichwort Klimawandel subsumiert werden. Die Politikerinnen und Politiker, die das zu verantworten haben, gibt es am Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr. Sie müssen die Folgen ihrer Entscheidungen nicht tragen. Eine enkeltaugliche Politik sieht anders aus.


Fußnote:

[1] https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1029/2017GL076968

28. Mai 2018


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