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KLIMA/630: Pazifische Inselstaaten stehen vor tiefen sozialen Verwerfungen (SB)


Ungezählte Verluste in Folge des Klimawandels


Wenige Wochen vor Beginn der nächsten großen UN-Klimakonferenz, die in diesem Jahr in Bonn veranstaltet, jedoch von der Republik Fidschi geleitet wird, hat das Pacific Island Forum (PIF) ein Kommuniqué [1] verabschiedet, in dem die Weltgemeinschaft zu mehr Anstrengungen beim Klimaschutz aufgefordert wird. Zu den im PIF organisierten 16 Mitgliedstaaten gehört auch die Republik Fidschi, die zwei Jahre nach dem als "historisch" gewerteten UN-Klimaabkommen von Paris den von ihr übernommenen Vorsitz über den UN-Verhandlungsprozeß dazu nutzen wird, die Aufmerksamkeit auf eine häufig vernachlässigte Weltregion zu lenken. Zu den fünf Prioritäten, die Fidschi für die 23. Conference of the Parties (COP 23) formuliert hat, gehören neben der Ausarbeitung der Leitlinien für das Abkommen von Paris auch die Belange indigener Völker sowie die Verabschiedung eines "Ozeanpfads bis 2020", auf dem der Wirkzusammenhang zwischen Ozeanentwicklung und Klimawandel stärker beleuchtet werden soll.

Zwar ist im Prinzip bekannt, daß pazifische Inselstaaten wie Tuvalu und Kiribati, die nur bis zu zwei Meter aus dem Meer ragen, vom Anstieg des Meeresspiegels sowie im Zuge der globalen Erwärmung immer wuchtigeren Stürmen heimgesucht werden, und diese Länder werden auch regelmäßig genannt, wenn es darum geht, die Dringlichkeit wirksamer Klimaschutzmaßnahmen zu verdeutlichen. Aber welche menschlichen Konsequenzen der Klimawandel hat, darüber wird wenig berichtet.

Kiribati und Tuvalu werden von der Landkarte verschwinden, und ihre Bewohnerinnen und Bewohner, die bis dahin ihre Heimat noch nicht verlassen haben, geraten zu Klimaflüchtlingen. Wer auf diesen Inseln heute Kinder in die Welt setzt, tut dies in dem Wissen, daß diese eines Tages höchstwahrscheinlich in anderen Ländern so wenig wohlgelitten sein werden wie die Flüchtlinge von heute. Australien beispielsweise ist ein potentielles Einwanderungsland, geht jedoch teils mit großer Härte gegen Flüchtlinge vor. Diese werden rigoros abgewehrt, damit sie keinen Fuß auf australisches Festland setzen, und statt dessen in Lagern unter anderem auf der Insel Nauru untergebracht. In diesen Lagern brachen schon mehrmals Unruhen aus, weil die Lebensverhältnisse dort katastrophal sind.

Das alles wissen die Menschen auf den pazifischen Inseln sehr genau. Deshalb kann man sagen, daß der Klimawandel bereits heute Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt, die individuellen Lebensentwürfe und beruflichen Perspektiven hat. Je zögerlicher die Weltgemeinschaft ihren Zusagen nachkommt, über Klimafonds und andere "globalen Finanzströme" die am stärksten betroffenen Staaten vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, desto mehr wird die Unsicherheit der Betroffenen über ihre zukünftige Entwicklung wachsen. Wer möchte in einem Staat und in einer Weltregion leben, von denen er vermuten muß, daß sie innerhalb dieser oder spätestens der nächsten Generation nicht mehr existieren werden?

Einer solchen Perspektivlosigkeit kommen vielleicht die Empfindungen jener Menschen am nächsten, die dem Braunkohletagebau weichen müssen. In der Lausitz, in der bereits über 100 Orte ganz oder teilweise "devastiert" wurden, sollen allen notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zum Trotz weitere Dörfer und Stadtteile abgerissen werden, um Braunkohle zu fördern. Zwischen der Bekanntgabe der Abrißpläne und dem Vollzug liegen meist viele Jahre. In dieser Zeit ziehen die ersten Einwohner weg, Banken geben keine Kredite, Investitionen bleiben aus, notwendige Reparaturen an den Häusern und der Infrastruktur werden nicht mehr durchgeführt. Es wächst eine allgemeine Vernachlässigung. Die örtlichen Geschäfte verlieren ihre Kundschaft.

Außerdem ist der soziale Frieden "massiv gestört", wie vor einigen Jahren die frühere CDU-Landtagsabgeordnete in Brandenburg Monika Schulz-Höpfner aus Atterwasch berichtete: "Wenn wir eine Familienfeier haben oder im örtlichen Freundeskreis zusammenkommen, treffen wir vorher immer eine Vereinbarung: 'Wir reden heute abend nicht über Kohle.' Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist, das dann einzuhalten! Wir kommen natürlich irgendwie immer zu dem Thema, und das geht nicht gut, selbst im Kreis von vierzehn, fünfzehn Leuten gibt es schon unterschiedliche Meinungen." [2]

Sozialer Unfrieden und daß die alten Menschen lieber sterben, als daß sie sich umsiedeln lassen, dürfte auch zu den typischen Reaktionen der Menschen auf den vom Klimawandel bedrohten Inselstaaten gehören. Zumal zur Zeit nicht absehbar ist, daß die im Abkommen von Paris beschlossenen Nationalen Klimaschutzzusagen eingehalten werden. Deutschland zum Beispiel, das mit der Verabschiedung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) einst als Vorbild galt, hat eine Kehrtwende vollzogen und zögert den Umbau der Energiewirtschaft hinaus.

Die Bundesregierung will den jährlichen CO2-Ausstoß bis 2020 um 200 Millionen Tonnen verringern, hat aber in den letzten fünf Jahren nur rund ein Fünftel davon erreicht. Es ist überhaupt nicht erkennbar, daß der Wille besteht, in einem verlängerten Endspurt auf den letzten drei Jahren nachzuholen, was man bis dahin nicht bereit war, in die Wege zu leiten. Zumal nach der nächsten Bundestagswahl möglicherweise die FDP als Juniorpartner der CDU mitregiert, und mit den Liberalen wird die Energiewende vermutlich noch mehr ausgebremst.

Selbst wenn die globale Erwärmung nicht rechtzeitig verzögert und gestoppt werden kann, so daß zumindest einige der flachen Inselstaaten bewahrt würden, entlastete man die betroffenen Menschen vor Ort sicherlich um einen Teil ihrer Zukunftssorgen, wüßten sie, daß sie im Ernstfall in einem anderen Land eine sichere Aufnahme finden. Doch das sich abzeichnende Scheitern des Klimaschutzes hängt wohl damit zusammen, daß ihnen auch diese naheliegende Perspektive nicht geboten wird. In Folge des Klimawandels geht noch viel mehr verloren, als es sich in nackten Zahlen ausdrücken läßt.


Fußnoten:

[1] http://www.talamua.com/wp-content/uploads/2017/09/Forum-Leaders-communique.pdf

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrn0002.html

12. September 2017


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