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KLIMA/626: Entkopplung ohne Bruch - Fassadenmalerei (SB)


Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen auf getrennten Pfaden


Klimaschützer fordern, daß Wirtschaftswachstum und anthropogene CO2-Emissionen voneinander entkoppelt werden. Nur dann könne die globale Erwärmung verlangsamt und schließlich aufgehalten werden. Als notwendige Maßnahme zur Verringerung der CO2-Emissionen wurde ein Wechsel der Energiesysteme weg von der Verbrennung fossiler Energieträger hin zur Installation regenerativer Energieanlagen propagiert. Seit spätestens 2014/15, so scheint es, ist diese Form der relativen Entkopplung gelungen. Die Weltwirtschaft wächst, doch die CO2-Emissionen stagnieren. Befindet sich die Menschheit damit auf dem richtigen Kurs, um die weitere Aufheizung der Atmosphäre zu verhindern? Reicht das Tempo der Transformation?

In beiden Fällen ist die Antwort ein klares Nein. Die CO2-Emissionen stagnieren auf hohem Niveau, was zur Folge hat, daß die Erde auf klimatische Verhältnisse zusteuert, wie sie menschheitsgeschichtlich beispiellos sind. Bereits die Einhaltung des im Abkommen von Paris vereinbarten Klimaschutzziels, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wäre mit einer Steigerung der Zahl und Wucht von Naturkatastrophen verbunden. Doch die heutigen CO2-Emissionen, auch wenn sie in den Industriestaaten vom Wirtschaftswachstum entkoppelt sind, werden absehbar zu einem Temperaturanstieg von deutlich über drei Grad führen.

Die Konsequenzen einer solchen Entwicklung wären für große Teile der Menschheit verheerend, und das über viele Generationen hinweg. Die Wetterverhältnisse würden unkalkulierbar. Wahrscheinlich träten diverse sich selbst verstärkende Prozesse ein, die die Entwicklung noch beschleunigen: Schwund des arktischen Meereises, Schmelzen des Grönlandeispanzers, Auftauen des Permafrostes, Verlust des tropischen Regenwalds und vieles mehr. Möglicherweise werden solche "Kippelemente" in den Natursystemen sogar nahezu zeitgleich aktiviert, was die Eskalation beschleunigen würde.

Es fänden über einen langen Zeitraum Umwälzungen statt, bis wieder stabile Verhältnisse einkehren. Das könnte dann ein Zustand sein, wie er heute auf dem Planeten Mars herrscht. Der besitzt nur noch eine unscheinbare Restatmosphäre, und wohin das viele Wasser verschwunden ist, das einst seine Oberfläche geformt hat, weiß man nicht. Lebensspuren sucht man bislang vergeblich.

Schaut man sich genauer an, wie die relative Entkopplung von CO2-Emissionen und Wirtschaftswachstum zustande kommt, so wird schnell klar, daß "Entkopplung" für sich genommen noch wenig sagt. Wenn beispielsweise ein Energiekonzern wie Uniper im südfranzösischen Gardanne ein Kohlekraftwerk auf Holzpelletfeuerung umrüstet, dann wird damit zwar die Forderung nach einem Ende der fossilen Energiewirtschaft erfüllt, doch versucht man zugleich, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Denn für den Brennstoff Holz, von dem voraussichtlich jedes Jahr 800.000 Tonnen benötigt werden, müssen Wälder in der Region und in Übersee vernichtet werden. Eine erste Lieferung von 40.000 Tonnen Eukalyptus- und Akazien-Holz aus Brasilien sei bereits eingetroffen, berichtete im Juni dieses Jahres Nicholas Bell von der französischen Aktionsgruppe SOS Foret du Sud, der eigens zur Uniper-Hauptversammlung nach Essen angereist war. [1]

Wenn man nur den Brennstoff berechnet und nicht das viele Drumherum, um ihn herbeizuschaffen und zu verfeuern, gerät bei diesem Kraftwerk nicht mehr CO2 in die Atmosphäre, als vorher in Form von Biomasse gebunden war. Aber zugleich produzieren seine Betreiber ökologische Wüsten, beispielsweise in Form von Monokulturplantagen, in denen auch in Zukunft keine nennenswerten Mengen Kohlenstoff gebunden werden. Abgesehen davon greift man durch das Abholzen des tropischen Regenwalds, der unter anderem für die Pellet-Herstellung vernichtet wird, in den Wasserkreislauf ein, da die Wälder mittels starker Verdunstung ihren eigenen Regen produzieren, den sie zum Wachstum brauchen. Das kommt auch anderen Pflanzen zugute, und natürlich Tieren und Menschen ebenfalls. Zudem wird mit der industriellen Holzverfeuerung das Artensterben beschleunigt.

Die Produktion von Biomasse steht beispielhaft dafür, wie unter dem Deckmantel des Klimaschutzes zu Lasten der Allgemeinheit Profite erwirtschaftet werden. Solche und andere Machenschaften tastet die relative Entkopplung nicht an, mehr noch, sie werden von ihr legitimiert, wird doch das Wachstum der Wirtschaft weiter hochgehalten. Als sei das quasi eine naturgesetzliche Größe, die auf keinen Fall hinterfragt werden darf. Zur vermeintlichen Aufhebung dieses Widerspruchs wurde der Begriff der absoluten Entkopplung in die Diskussion geworfen. Der gesamte Ressourcen- und Naturverbrauch müsse berücksichtigt werden, und es genüge nicht, allein den Verbrauch vom Wachstum zum entkoppeln, er müsse sogar rasch reduziert werden, wird gefordert.

Auch wenn der Begriff der absoluten Entkopplung deutlich weiter greift als der der relativen Entkopplung, und dazu durchaus ausgearbeitete Konzepte entworfen wurden, wie eine umfassende Transformation der Gesellschaft vonstatten gehen soll, wird die vermeintliche Notwendigkeit des Wachstums wenig hinterfragt, und noch viel seltener wird der Verbrauch menschlicher Physis in entfremdeten Arbeitsverhältnissen zugunsten weniger Profiteure dieser Unterwerfung in Frage gestellt. Am Ende dürfen sich dann die Sachwalter der Transformation die Hoffnung machen, zu letzterer Gruppe zu gehören, indem sie Regeln vorschlagen, wie die Transformation der Gesellschaft vonstatten zu gehen hat. Ohne eine bis zum Bruch mit den vorherrschenden Produktionsbedingungen getriebene Entkopplung erhält das Gebäude der Gesellschaft einen neuen Anstrich, doch wenn das Wasser steigt, werden diejenigen, die das obere Stockwerk ihr eigen nennen, ihre Dauervorteilsposition gegenüber jene verteidigen, denen deswegen das Wasser bis zum Hals steht.


Fußnote:

[1] http://denkhausbremen.de/de/unipers-holzverbrennung-im-kraftwerk-provence-zerstoert-waelder/

28. August 2017


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