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KLIMA/618: Globale Erwärmung - wessen Sicherheit ist gefährdet? (SB)


Gefährdung der Sicherheit - ein Herrschaftsdiskurs


Der Begriff "Sicherheit" im Zusammenhang mit Klimawandel ist vollständig von den gesellschaftlich vorherrschenden Kräften besetzt. Sie haben die Definitionshoheit darüber und richten daran ihre Antwort auf die zukünftigen Bedrohungen aus. Wenn zum Beispiel die Bundeswehr, die US-Streitkräfte, regierungsnahe Nichtregierungsorganisationen, von staatlichen Geldern abhängige wissenschaftliche Institute oder Think Tanks und andere nationale Ideologieschmieden davon sprechen, daß der Klimawandel die "Sicherheit" bedroht, ist immer die eigene Sicherheit Maßstab der Bewertung. Das gilt selbst dann, wenn zunächst die Sicherheit anderer Menschen bedroht wird.

Ein treffendes Beispiel hierfür liefert eine neue Studie des Center for Climate and Security (CCS), die den Titel "Epicenters of Climate and Security: The New Geostrategic Landscape of the Anthropocene" (z. Dt.: Epizentren von Klima und Sicherheit: Die neue geostrategische Landschaft des Anthropozäns") trägt. [1] Der in Washington ansässige Think Tank zählt eine Reihe ehemaliger Generäle und Admirale zu seinen Beratern - ein Berufsstand, der schon vor über zehn Jahren vor den Folgen des Klimawandels für die nationale Sicherheit gewarnt hat.

Zwölf "Epizentren" der Klimawandelrisiken haben die Autorinnen und Autoren des 139seitigen Berichts ausgemacht. Die "Epizentren" sind definiert als "Kategorie systematischer Risiken", die "von einem sich verändernden Klima im Wechselspiel mit anderen sozio-politisch-ökonomischen Dynamiken" angetrieben werden. Die Merkmale der Epizentren werden in drei Punkten zusammengefaßt:

1. Sie sind entscheidend für die globale Sicherheit. Beispielsweise kann die lokale Störung eines Epizentrums zu einem größeren, überregionalen oder internationalen Sicherheitsszenario auswachsen.

2. Sie sind verletzlich gegenüber einem sich rasch wandelnden Klima. Das betrifft zum Beispiel die erhöhte Intensität und Frequenz von Extremwetterereignissen oder auch den Meeresspiegelanstieg.

3. Es handelt sich um Risikokategorien, die nicht auf einen geographischen Ort beschränkt sind, sondern an vielen Orten rund um den Globus auftreten. Zum Beispiel Megacities, kleine Inselstaaten, Wasser als Waffe (Sprengung von Staudämmen, Absperren der Trinkwasserversorgung, etc.).

Wir wollen an dieser Stelle nur auf eines der geschilderten Szenarien für ein Epizentrum näher eingehen, um daran beispielhaft aufzuzeigen, wessen Sicherheit die eigentliche Sorge der Studienautorinnen und -autoren gilt. Laut der CCS-Studie bedeutet "die Verletzlichkeit dieser Epizentren eine potentiell dramatische Bedrohung der globalen Sicherheit mit einer erheblichen Störung der geostrategischen Landschaft". Unter dem Stichwort "Erosion der nationalen Souveränität" werden als Beispiel von "verschwindenden Staaten" die Malediven im Indischen Ozean genannt. Der Inselstaat ragt so wenig aus dem Meer, daß er bei einem steigenden Meeresspiegel vollständig unterzugehen droht. Die Sorge der Autoren: "Die internationale Gemeinschaft verfügt über keine Erfahrung, wie sie mit dem Verschwinden von Nationen als Folge von Umweltvorgängen umgeht. Tatsächlich gibt es keine internationalen Rechtsnormen, die für solch eine Eventualität geschaffen sind - ebensowenig wie eine formale Anerkennung von "Klimaflüchtlingen" oder "Umweltflüchtlingen".

Der Verlust ganzer Staaten oder zumindest großer Bereiche innerhalb von Staaten könnte zu einem massenhaften Anwachsen staatenloser Menschen führen, was eine humanitäre und politische Krise sowie eine Sicherheitskrise der höchsten Ordnung darstellt, heißt es in der Studie. Und weiter: "Die vollen Konsequenzen sind noch unausgelotet, und wenn man sich die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs anschaut, stellt die Ungewißheit eine Herausforderung für die gegenwärtige Weltordnung dar."

Im Klimaschutzdiskurs, wie er von den Regierungen und oben genannten gesellschaftlichen Gruppen geführt wird, dienen die Klimawandelfolgen lediglich als Anlaß, um die eigene Sicherheitsbedrohung aufgrund beispielsweise von zu erwartenden Flüchtlingsströmen, der möglichen Beanspruchung von Siedlungsfläche auf dem eigenen Staatsterritorium für die Klimawandelflüchtlinge oder finanzielle Unterstützung der akut gefährdeten Länder zu reflektieren.

Es geht in solchen Studien nicht um die Frage, ob beispielsweise eine somalische Familie ihre Sicherheit bedroht sieht, weil marodierende Banden landauf, landab Menschen töten, vergewaltigen, massenhaft zwangsrekrutieren und zudem ihre Religion durchsetzen wollen, die Repressionstruppen der Regierung und mit ihnen verbündete multinationale Interventionsstreitkräfte bei der Bekämpfung dieser Banden kaum Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen oder eine mehrjährige Dürre weder einen nennenswerten landwirtschaftlichen Anbau noch den Erhalt einer Viehherde ermöglicht. Vielmehr geht es erklärtermaßen um geostrategische Fragen im Kontext der nationalen - in diesem Fall der US-amerikanischen - Sicherheit.

Die kann laut dem Selbstverständnis der USA als einzig verbliebene Weltmacht an jedem Ort der Erde gefährdet sein, also auch durch Fischer von Somalia, die sich mittels Piraterie im Golf von Aden und westlichen Indischen Ozean über Wasser halten und dadurch den reibungslosen Ablauf des globalen Handelsverkehr stören. Daß die existentielle Sicherheit der Einwohner Somalias schon lange akut bedroht und dies auch eine Folge der mit militärischen Mitteln durchgesetzten und fossilen Energieträgern befeuerten Lebensstils des globalen Nordens ist, wird von Think Tanks wie dem Center for Climate and Security gar nicht erst berücksichtigt. Damit erweist es sich als Teilhaber des Herrschaftsdiskurses zu Klimawandel und Sicherheit, nicht etwa als Vertreter einer emanzipatorischen Herangehensweise an das Problem für Milliarden Menschen, daß sich das Klima der Erde wandelt und dabei die Lebensfeindlichkeit zunimmt.


Fußnote:

[1] https://climateandsecurity.files.wordpress.com/2017/06/epicenters-of-climate-and-security_the-new-geostrategic-landscape-of-the-anthropocene_2017_06_091.pdf

13. Juni 2017


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