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KLIMA/600: Wärmespeicher Arktis - Meereis am Minimum (SB)


Der arktische Ozean ist so warm, daß sich das Meereis in diesem Jahr nur sehr verzögert entwickelt


Der Trend der sommerlichen Meereisausdehnung in der Arktis ist der bekannteste Vergleichsmaßstab, anhand dessen die Temperaturentwicklung kenntlich gemacht wird. Seit Beginn der regelmäßigen Satellitenbeobachtungen wurde nur 2012 ein noch geringeres Minimum als in diesem Jahr registriert. Es gibt aber noch weitere Kriterien zur Verdeutlichung des Klimawandels. Beispielsweise die maximale Ausdehnung, die das Meereis im Winter erreicht, oder die Geschwindigkeit, mit der Vorgänge wie Auftauen im Frühling und Sommer oder Zufrieren im Herbst und Winter ablaufen.

Bei letzterem hat das Jahr 2016 die Nase vorn, was konkret bedeutet, daß die Arktis noch nie zuvor so langsam zugefroren ist wie in diesem Jahr. Der Durchschnittswert für Oktober lag bei 6.474.970 Quadratkilometern und ist damit 399.894 Quadratkilometer kleiner als der bisher niedrigste Stand aus dem Jahr 2007. Regionen wie die Beaufortsee und Tschuktschensee in Alaska sowie die ostsibirischen Randmeere weisen selbst noch im November eine vergleichsweise geringe Eisausdehnung auf, meldete das Journal Scientific American unter Berufung auf Angaben des National Snow and Ice Data Center. [1]


Kurvendiagramm zur Meereisausdehnung 2016, 2012 und des Durchschnitts des Zeitraums 1981 bis 2010 - National Snow and Ice Data Center

Die blaue Linie zeigt, daß sich das Meereis in diesem Jahr noch langsamer entwickelt als 2012, dem Rekordjahr des Meereisminimums.
Quelle: National Snow and Ice Data Center

Hinter so einem Zahlenschwall, wie er in ähnlicher Form dieser Tage häufiger zu vernehmen ist, da sich die internationale Staatengemeinschaft von den Medien begleitet zum Klimagipfel in Marrakesch getroffen hat, verbergen sich sehr konkrete, von Menschen, Tieren und Pflanzen bemerkbare Entwicklungen. Die Arktis zählt zu den Weltregionen, in denen die globale Erwärmung deutlicher zu spüren ist als woanders. Den Stimmen der Einwohner wird allerdings weniger Gewicht beigemessen, als wenn sich Mitteleuropa oder die USA um mehrere Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmt hätten. Würde man die Klimaentwicklung in der Arktis auf Verhältnisse in unseren gemäßigten Breiten übertragen, so wären womöglich die Alpen bereits gletscherfrei; die Schiffahrt auf Rhein und Elbe wäre nur noch eingeschränkt möglich; im kontinentalklimatischen Brandenburg könnte nur noch Bewässerungswirtschaft möglich sein, wobei die Brunnen immer tiefer gebohrt werden müßten; in Frankreich und anderen Mittelmeeranrainerstaaten träten verstärkt Waldbrände auf; auf den britischen Inseln regnete es nicht mehr regelmäßig "Katzen und Hunde", statt dessen wäre der Sommer von Dürre und landwirtschaftlichen Verlusten geprägt; die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) und andere Überträger des Denguefiebervirus wären inzwischen in ganz Europa, einschließlich Skandinavien, verbreitet.

Der Hitzesommer 2003 hatte europaweit zwischen 40.000 und 70.000 Tote gefordert. Unter den Opfern waren vor allem ältere Menschen, Kranke und Kinder. Das wäre kein Ausnahmeereignis mehr, sondern Normalität, was sich möglicherweise an einem Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung zeigen würde.

Wie gesagt, das wären die Folgen, hätte sich Europa seit Beginn der Industrialisierung so stark erwärmt wie die Arktis. Das ist aber zugleich eine nicht mehr allzu ferne Zukunft, auf die Europa zusteuert, und zwar unabhängig davon, ob ab sofort drastische Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden oder nicht. Die Entwicklung ist längst angelaufen, nur verhalten sich die Erdsysteme so träge, daß die "Rechnung" des technologischen Fortschritts und der Globalisierung in Folge der billigen fossilen Energieträger noch nicht vollständig präsentiert wurde. Das dicke Ende kommt noch. Beispielsweise würden sich die Weltmeere mehrere Jahrzehnte lang weiter erwärmen, auch wenn die CO2-Emissionen augenblicklich gestoppt werden.

Die von der Klimaforschung verbreiteten Simulationen besagen, daß nur noch die Wahl zwischen einer milderen Katastrophen- und einer exorbitant katastrophalen Entwicklung besteht. Die Verhandlungen in Marrakesch über die konkrete Umsetzung des Pariser Abkommens deuten nach gegenwärtigem Stand der Dinge auf letzteres hin. Bezeichnend hierfür ist der "Klimaschutzplan 2050", mit dem am Montag Bundesumweltministerin Barbara Hendricks nach Marokko gereist und in die Verhandlungen eingetreten ist. Theoretisch birgt er beide Optionen, die der milden und die der schwerwiegenden Katastrophe. Der Plan soll alle fünf Jahre dahingehend überprüft werden, ob damit die Bundesrepublik noch auf dem Weg ist, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1991 zu verringern. Der Plan bietet somit Chancen zur Korrektur. Allerdings genügte selbst seine Erfüllung nicht, wie die Energy Watch Group (EWG) in einem kürzlich veröffentlichten Gutachten bekanntgab. [2]

Es bedarf also keines "Trumpeltiers", das angekündigt hat, die Klimaschutzpläne in die Tonne zu treten, um die geringe Chance zu verspielen, der globalen Erwärmung signifikante Grenzen zu setzen. Das schaffen andere wachstumsorientierte Staaten, zu denen auch die Bundesrepublik Deutschland gehört, ohne ihren großen Bruder.


Kurvendiagramm zur sommerlichen Meereisausdehnung von 1979 bis 2016. Die Kurve zeigt einen deutlichen Trend nach unten - Quelle: meereisportal.de

Seit Beginn der regelmäßigen Satellitenmessungen hat das Meereisminimum, das regelmäßig im September eintritt, zugenommen.
Quelle: meereisportal.de


Fußnoten:

[1] https://www.scientificamerican.com/article/arctic-makes-ice-at-record-slow-pace/

[2] http://energywatchgroup.org/wp-content/uploads/2015/05/EWG-Klimapolitik-Deutschland-Nov-2016.pdf


16. November 2016


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