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KLIMA/596: Fluchtgrund Dürre - Die Not kennt keine Obergrenze ... (SB)


2-Grad-Welt - Studie sagt beispiellose Wüstenbildung für den Mittelmeerraum voraus


Am 7. November tritt das "Pariser Abkommen" zum Schutz des Klimas in Kraft. Regierungen, regierungsnahe Organisationen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feiern das bereits als historischen Erfolg der internationalen Klimapolitik, hatte man doch vermutet, daß das Abkommen erst 2019 oder 2020 in Kraft treten wird. Doch innerhalb nicht einmal eines Jahres wurde es von mehr als 55 Ländern, die für mehr als 55 Prozent der anthropogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, ratifiziert. Damit waren die entscheidenden Bedingungen erfüllt. Zu den Unterzeichnern gehört auch die Europäische Union, die bei den bevorstehenden UN-Klimaschutzverhandlungen in Marrakesch (COP 22) im November nicht am Katzentisch Platz nehmen wollte und deshalb einen Schnellgang eingelegt hat. Denn wer bis dahin das Abkommen nicht ratifiziert, hat kein Mitspracherecht, wenn es in die Details der Verhandlungen geht.


Beim Interview - Foto: © 2016 by Schattenblick

"Es gab eine Vereinbarung, die man das Pariser Abkommen genannt hat. Doch das muß nun endlich auch in die Tat umgesetzt werden."
(Dr. Omar Zniber, 27. September 2016, Berlin)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Die marokkanische Regierung hat sich für die Klimakonferenz einiges vorgenommen, wie der Botschafter des Königreichs in Deutschland, Dr. Omar Zniber, Ende September am Rande eines Treffens im Auswärtigen Amt gegenüber dem Schattenblick sagte: "Das erste und prinzipiell wichtigste Ziel ist auf jeden Fall, die COP 22 in Marrakesch zu einer Konferenz des Zupackens und des Handelns zu machen." Für Marokko selbst haben die Folgen des Klimawandels "überaus ernste Ausmaße angenommen", so Zniber. "Schon zu Beginn des Jahres, im Februar 2016, hatten wir es mit einer langanhaltenden, schweren Dürre zu tun." [1]

Der nördlichste Staat Afrikas liegt in einer Region, in der sich die Erde überdurchschnittlich stark erwärmt, und doch spricht vieles dafür, daß das erst das Vorspiel zu einer Entwicklung ist, in der die Wüste über Marokko hinaus nach Spanien, Südfrankreich, Italien und Griechenland greift. Im Abkommen von Paris wurde vereinbart, die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen zu lassen. Man will sogar "deutlich" darunter bleiben, möglichst sogar den Wert von 1,5 Grad einhalten. Wunsch und Wirklichkeit klaffen hier weit auseinander. Die gegenwärtigen Treibhausgasemissionen steuern auf eine Welt zu, die im Durchschnitt drei bis vier Grad wärmer ist, und selbst die Absichtserklärungen der Staatengemeinschaft, so sie je erfüllt werden, würden auf eine 2,7 Grad wärmere Welt zusteuern.

In einer vergangene Woche im Wissenschaftsmagazin "Science" veröffentlichen Studie von Joel Guiot und Wolfgang Cramer von der Aix-Marseille Université und dem Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS - Centre national de la recherche scientifique) wird der Unterschied in den Folgen einer 1,5 oder 2 Grad wärmeren Welt für den Mittelmeerraum deutlich vor Augen geführt. [2]

Letzteres, von dem die Staatengemeinschaft noch weit entfernt ist, wäre katastrophal. Die Anrainerstaaten des Mittelmeers haben schon wärmere und kältere, trockenere und niederschlagsreichere Zeiten erlebt, aber was sie in einer 2-Grad-Welt erwartet, wäre historisch beispiellos. Davon betroffen wären 466 Millionen Einwohner. Sie verlören große Gebiete landwirtschaftlichen Anbaus. Dabei gelten in Spanien, das derzeit eine Hitzeperiode mit Temperaturen von über 30 Grad erlebt [3], bereits 20 Prozent des Territoriums als Wüste. In einer 2-Grad-Welt würde die Landwirtschaft Südspaniens kollabieren, und die sowieso schon wenigen Waldflächen verschwänden vollends.

Der Niedergang der mediterranen bronzezeitlichen Kulturen vor rund 3000 Jahren wird mit der damaligen, mehrere Jahrhunderte anhaltenden Dürre in Verbindung gebracht. In einer 1,5-Grad-Welt wäre ebenfalls mit solch schwerwiegenden Trockenzeiten zu rechnen. Die 2-Grad-Welt jedoch würde die damaligen Klimaverhältnisse noch weit übertreffen - ebenso wie das soziale Konfliktpotential einer so schweren Dürre die gegenwärtige Flüchtlingskrise weit hinter sich zurückließe. Denn unter der sengenden Sonne und bei allgemeiner Wassernot würden die Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten nicht nach Süden, Westen oder Osten migrieren, sondern nach Norden.

Im letzten halben Jahrhundert wurde Syrien statistisch gesehen jedes zweite Jahr von Dürre heimgesucht, aber der mehrjährige Mangel an Niederschlägen im vergangenen Jahrzehnt, der dem Ausbruch des bis heute andauernden Konflikts vorausging, wird auch von den Syrern selbst als "Jahrhundertdürre" bezeichnet. [4] Damit soll nicht behauptet werden, daß 2011 das Klima ausschlaggebend für den Ausbruch des Aufstands war, der, schon zu einem frühen Zeitpunkt angefacht von ausländischen Interessen, rasch zu einem Bürgerkrieg auswuchs und längst zu einem Krieg mit mehreren Dutzend verschiedenen Akteuren (Staaten, Organisationen, Banden), von denen einige geopolitische Hegemonialinteressen verfolgen, ausgewachsen ist. Das Klima spielt eine Rolle, und die dürfte immer bedeutender werden.

Mit welcher Art von "Willkommenskultur" werden wohl Flüchtlinge rechnen, wenn sie nicht zu Hunderttausenden, sondern vielen Dutzend Millionen eine neue Bleibe suchen? Selbst die deutsche Willkommenskultur hieß nicht nur Decken und warme Getränke für Flüchtlinge, sondern auch, ihnen den roten Hahn aufs Dach zu setzen. Als im vergangenen Jahr Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, hat hier durchschnittlich jeden dritten Tag eine Asylunterkunft gebrannt, und die Dunkelziffer dürfte noch höher gewesen sein. [5]

Die Europäische Union baut die südlichen Grenzen ihre Mitgliedstaaten militärisch weiter aus und errichtet ein abgestuftes System der Durchlässigkeit. Wobei zusätzlich der Bereich der politischen Einflußnahme weit ins Vorfeld verlagert wird, indem beispielsweise Länder wie Niger, durch das jährlich Hunderttausende Flüchtlinge migrieren, um einen Mittelmeerstaat zu erreichen, von dem sie sich eine Überfahrt nach Europa erhoffen, mit Zuckerbrot und Peitsche dazu bewegt werden, Maßnahmen gegen die Zuwanderung zu ergreifen. So hat Bundeskanzlerin Merkel vor kurzem bei ihrem Besuch in Niger dem Land 17 Millionen Euro Hilfe für die Bekämpfung von Armut und Flüchtlingen zugesagt. [6]

17 Millionen Euro für eines der ärmsten Länder der Welt, das dreieinhalbmal so groß wie Deutschland ist, sind Almosen. Die hätten nicht einmal für die Fenster des Hamburger Prestigeobjekts Elbphilharmonie gereicht. [7] So ist Merkels Zusage denn mindestens zur Hälfte als Warnung zu verstehen, daß die nigrische Regierung gefälligst mehr tun sollte, um die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa aufzuhalten, jetzt, wo man sich zum Partner des Landes erklärt hat ...

Der Klimawandel wird die Konflikte verstärken, darin sind sich die Bundeswehr, die US-Streitkräfte und andere Militärapparate einig. Selbstverständlich belassen sie es nicht bei der Analyse, sondern bieten den politischen Entscheidungsträgern Handlungsempfehlungen an. Noch nehmen die NATO-Schiffe im Mittelmeer Flüchtlinge auf, und von seiten der EU-Grenzschutzagentur Frontex wird offiziell nicht auf die Flüchtlinge geschossen. Aber die EU arbeitet beispielsweise mit der libyschen Küstenwache zusammen, die laut einem Bericht der Zeitung "junge Welt" Flüchtlingsboote attackiert und in mindestens einem Fall mehr als zwei Dutzend Menschen auf dem Gewissen hat. [8]

Die Klimaprojektionen lassen ahnen, daß wahrscheinlich eine Zeit der Völkerwanderung bevorsteht, und die politischen Entwicklungen lassen für die Flüchtlinge nichts Gutes erwarten. Selbst Merkel, die für ihre angeblich zu flüchtlingsfreundliche Politik unter Druck geraten ist, spricht zwar nicht offen über Obergrenzen des Zustroms, betreibt aber eine Politik, die faktisch eben darauf hinauslaufen wird. Für andere, wie beispielsweise ihren CSU-Koalitionspartner Horst Seehofer, ist das Boot quasi schon voll. Der Zustrom an Flüchtlingen nach Deutschland hat in diesem Jahr deutlich gegenüber dem Vorjahr abgenommen - ganz und gar nicht abgenommen hat dagegen die Not in den Herkunftsländern. Die Not kennt keine Obergrenze.


Blick aus dem Fenster eines Helikopters (mit dem US-Außenminister John Kerry und sein libanesischer Amtskollege Nasser Judeh einen Rundflug unternommen haben) auf ein Meer von Zelten, Häusern und Baracken - Foto: U.S. State Department

Za'atri - Lager mit rund 130.000 syrischen Flüchtlingen im Libanon, 18. Juli 2013
Foto: U.S. State Department


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0252.html

[2] http://science.sciencemag.org/content/354/6311/465

[3] http://blogs.klimaretter.info/paris-marrakesch/2016/10/29/sierra-nevada-ohne-nevada/

[4] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0111.html

[5] https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/reportagen/neue-dimension-der-gewalt-2016-06

[6] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-angela-merkel-sagt-niger-millionen-hilfen-zu-a-1115988.html

[7] Laut Hochtief-Manager Thomas Möller kostet ein Fenster etwa 20.000 Euro. Das macht bei 1089 Fenstern insgesamt fast 21,8 Mio. Euro.
http://www.stern.de/kultur/kunst/richtfest-elbphilharmonie-das-wunder- von-hamburg-3095430.html

[8] https://www.jungewelt.de/2016/10-24/001.php


30. Oktober 2016


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