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KLIMA/589: Die Schnecke müßte den Rennwagen überholen ... (SB)


Rasanter Anstieg der globalen CO2-Konzentration


Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Klimawandel und Extremwetterereignissen ist nicht bewiesen. Das behaupten sogenannte Klimaskeptiker, die PR-Berater der fossilen Energiewirtschaft und andere Profiteure der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas zur Energie- und Wärmegewinnung. Auf diese drei Energieträger entfällt der Hauptanteil an menschengemachten Emissionen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2).

Die aktuellen Überschwemmungen und Hangrutschungen in Sri Lanka, die extreme Hitzewelle in Indien und der Wassernotstand dort für mehrere hundert Millionen Einwohner, die 50 Millionen von akutem Hunger bedrohten Menschen im dürregeplagten südlichen Afrika, die verheerenden Waldbrände in Kanada und - noch harmlos, aber bezeichnend für das turbulente Weltklima -, die außergewöhnliche Schneekatastrophe in Kalifornien sowie viele Extremwetterereignisse mehr, über die allein in den vergangenen zwei Tagen berichtet wurde, beweisen nicht den Klimawandel. Aber wenn die wissenschaftlichen Projektionen zur globalen Erwärmung und ihren klimatischen und meteorologischen Folgen zutreffen, dann ist mit exakt solchen verheerenden Ereignissen zu rechnen.

Ein wesentlicher Faktor der wissenschaftlichen Klimasimulationen ist die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre. Der globale Temperaturanstieg folgt der Zunahme des menschengemachten CO2-Anteils auf dem Fuße. Als vor drei Jahren an einer Meßstation auf dem hawaiianischen Vulkan Mauna Loa erstmals mehr als 400 ppm (parts per million) CO2 pro Kubikmeter Luft registriert wurden, war damit gewissermaßen eine psychologische Schwelle überschritten worden. Der Kohlenstoffdioxidgehalt sank zwar wieder jahreszeitlich bedingt unter 400 ppm, weil die Pflanzen während des Sommers (vor allem während des Sommers auf der Nordhalbkugel, weil dort die größere Landmasse mit einer entsprechend größeren Vegetationsfläche ist) CO2 in ihren Blättern binden, aber seitdem verlängert sich Jahr für Jahr der Zeitraum, an dem der CO2-Gehalt über 400 ppm bleibt.

Inzwischen hat er beinahe die nächste "Schwelle", 410 ppm, überschritten, und die Wissenschaft rechnet damit, daß er in den nächsten Jahren dauerhaft über 400 ppm bleiben wird. Die Entwicklung schreitet erheblich schneller voran als vermutet, was zur Folge hat, daß sich die Erde ebenfalls schneller erwärmt. In den letzten Monaten haben die Temperaturen global mit 1,43 Grad Celsius beinahe schon die politische Grenzmarke von 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau erreicht.

Das ist insofern bemerkenswert, als daß im November/Dezember 2015 bei den als "historischer Durchbruch" gefeierten Klimaverhandlungen in Paris von den politischen Entscheidungsträgern vereinbart worden war, den globalen Temperaturanstieg auf "deutlich unter 2 Grad Celsius" zu halten. Dutzende Länder, insbesondere aus dem globalen Süden, fordern sogar, daß die 1,5-Grad-Grenze nicht überschritten wird. Dafür ist es offensichtlich zu spät.

Gegenwärtig sitzen in Bonn Klimadiplomaten zusammen, um das Abkommen von Paris zu konkretisieren. Die ersten vier Tage des zweiwöchigen Treffens haben sie darüber verhandelt, über was sie eigentlich wie und wann verhandeln wollen. Anders gesagt, sie haben nur die Tagesordnung besprochen. Inzwischen verhandeln sie darüber, wie und wann eigentlich die nationalen Klimaschutzziele (INDCs) umgesetzt werden sollen. Jene freiwilligen, unverbindlichen und nicht einklagbaren Ziele würden allerdings rechnerisch zu einem Temperaturanstieg von fast drei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau führen! Man war also mit dem "historischen Klimavertrag" von Paris bereits weit im Hintertreffen, so daß nicht einmal mehr die Redewendung, "die Entwicklung wird von den realen Ereignissen überholt", zutrifft. In Paris und Bonn wurden bzw. werden die desaströsen Folgen von Auswirkungen abzumildern versucht, die längst stattgefunden haben.

In Verbindung mit den oben genannten aktuellen Katastrophen und der Messung von beinahe 410 ppm auf Mauna Loa wird immer wieder als mutmaßliche Erklärung das Klimaphänomen El Niño bemüht. Das tritt alle drei bis fünf Jahre auf und zeigt sich in diesem Jahr als eines der stärksten, die jemals beobachtet wurden. Das Problem bei solchen Erklärungen besteht darin, daß mit ihnen nahegelegt wird, solche Katastrophen würden in "normalen" Jahren nicht vorkommen. Bei dieser Vorstellung wird jedoch übersehen, daß auch El Niño selbstverständlich Bestandteil des globalen Klimas ist. Man kann davon ausgehen, daß El Niño das globale Klima beeinflußt und umgekehrt von ihm beeinflußt wird.

Die Vorstellung, daß in einem Nicht-El-Niño-Jahr alles wieder "normal" wird, ist irrig. So wird zwar der größte jemals gemessene Sprung von sagenhaften 3,05 ppm CO2 in der Atmosphäre vom Jahr 2014 auf 2015 auf das El-Niño-Phänomen zurückgeführt, aber dieses Extrem sattelt einem generellen Trend auf, der nichts mit dieser globalen Klimaerscheinung zu tun hat: Seit fünf Jahren in Folge wächst der CO2-Anteil um rund 2,5 ppm. Zum Vergleich: Im Jahr 1958, dem Ausgangspunkt der sogenannten Keeling-Kurve - benannt nach dem US-Wissenschaftler Charles Keeling, der erstmals auf Mauna Loa den Jahresverlauf der CO2-Konzentration gemessen und als mathematische Kurve dargestellt hat - betrug die jährliche CO2-Steigerung nur um die 0,75 ppm. Aktuelle Daten zeigen, daß zwischen April 2015 und April 2016 der CO2-Gehalt sogar um vier ppm angeschwollen ist. Die Wissenschaft rätselt, wie es dazu kommen konnte.

Nicht nur der Kohlenstoffdioxidanteil in der Atmosphäre nimmt beschleunigt zu, das gleiche gilt auch für das zweitwichtigste Treibhausgas, Methan. Es entfaltet die rund 25fache Treibhausgaswirkung von CO2, liegt aber in deutlich geringerer Konzentration vor, so daß sein Atmosphärenanteil nicht in "Teile pro Million", sondern "Teile pro Milliarde" gemessen wird. Aus dem jährlichen Treibhausgasindex der US-Behörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) geht hervor, daß der Methangehalt zwischen 2014 und 2015 sprunghaft um elf ppb (parts per billion) angestiegen ist, was doppelt so hoch ist wie in den Jahren 2007 bis 2013.

"Das sind keine Modellrechnungen. Das sind präzise und saubere Messungen, und sie erzählen uns, wie die Menschen das Wärmegleichgewicht der Erdsysteme verändern", zitiert die Website "Climate Central" (19.5.2016) aus einer Stellungnahme des Direktors der Global Monitoring Division der NOAA, Jim Butler. "Wir drehen den Thermostaten der Erde in einer Weise auf, daß dadurch für Tausende von Jahren mehr Wärme im Meer und der Atmosphäre gespeichert wird."

20.000 Jahre lang hatte sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre um 278 ppm herum bewegt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, also zu Beginn der industriellen Revolution, stieg der Wert an. Und er klettert mit wachsender Geschwindigkeit.

Es ist nicht so, daß die ganze Welt dem Geschehen passiv zuschaut. So arbeitet der weltweit größte Erdölförderer, Saudi-Arabien, bereits an einem Umbau seiner Wirtschaft weg von den fossilen Energien. Auch große Ölgesellschaften wie Total satteln um. Die Verbrennung von Kohle ist nicht nur in Deutschland ein Auslaufmodell. Die Frage lautet jedoch, ob all diese auf Jahre und Jahrzehnte angelegten Maßnahmen reichen werden, den bereits eingeleiteten Wandel der Natursysteme rechtzeitig und vor allem nennenswert zu beeinflussen.

22. Mai 2016


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