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KLIMA/587: Aktivisten blockieren Kohlehafen von Newcastle (SB)


Break Free from Fossil Fuels 2016 - Zum Beispiel Australien

Fortsetzung der weltweiten Kampagne zum Abschied von fossilen Energieträgern


Rund fünf Monate nach dem Beschluß des Klimaschutzabkommens von Paris fordern zivilgesellschaftliche Organisationen rund um den Globus ihre Regierungen auf, den Worten endlich Taten folgen zu lassen. Im Rahmen der auf sechs Kontinenten organisierten, zwölf Tage dauernden Protestkampagne "Break Free from Fossil Fuels 2016" (Befreiungsschlag von fossilen Brennstoffen) haben in Australien nach Angaben der Organisatoren mehr als 1000 Personen den Kohlehafen von Newcastle, 160 Kilometer nördlich von Sydney gelegen, mit mehreren hundert Kajaks und anderen Booten dichtgemacht und die wichtigste Eisenbahnverbindung zum Kohlehafen blockiert. Die australische Polizei hat 66 Personen vorübergehend festgenommen, wie die britische Zeitung "Guardian" berichtete. [1]

Am Montag begann in der Lausitz ein achttägiges Klima- und Energiecamp. Deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer fordern ebenfalls einen Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Gleiches gilt für die Beteiligten an Aktionen des zivilen Ungehorsams, die gegen Ende dieser Woche von der Initiative "Ende Gelände" für die Lausitz angekündigt werden.

Durch das Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Erdgas wird Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Atmosphäre freigesetzt, das die Eigenschaft besitzt, die Wärmerückstrahlung aufzuhalten. Dadurch steigen die Durchschnittstemperaturen im globalen Maßstab an. Der Zusammenhang gilt als wissenschaftlich hinreichend erforscht, weshalb Berechnungen zufolge rund 80 Prozent der bekannten Vorkommen an fossilen Energieträgern nicht gefördert und nicht verbrannt werden dürfen, andernfalls als Folge der Treibhausgasemissionen gravierende Umbrüche verschiedener Erdsysteme eintreten und die Lebensvoraussetzungen nicht von Millionen, sondern Milliarden Menschen gefährdet werden.

Nach zwei Jahren Dürre wüten derzeit in der kanadischen Provinz Alberta riesige Waldbrände; rund ein Viertel der indischen Bevölkerung leidet unter akutem Wassermangel; in Ostafrika siechen die Menschen dahin ähnlich wie zur Zeit der Hungerkatastrophe von 1984, auf die das Konzert Live Aid aufmerksam gemacht hatte. Selbstverständlich trägt keine dieser und vieler weiterer Katastrophen, die zur Zeit rund um den Globus stattfinden, das Label "Wetterextrem als Folge des Klimawandels". Aber erstens erlebt die Erde bereits einen allmählichen Temperaturanstieg und zweitens lassen die wissenschaftlichen Klimaprojektionen vermehrt eben solche Feuersbrünste und Hungerkatastrophen in Folge von Dürren erwarten - aber natürlich auch Überschwemmungen, Artensterben, Versauerung der Meere, Anstieg des Meeresspiegels und ähnliches mehr.

Wenn also vor diesem Hintergrund immer mehr Menschen ihre Regierungen auffordern, das Abkommen von Paris nicht zu einem Papiertiger zu machen, der durch den fossilen Weltenbrand entzündet zur Asche wird, dann werden dabei möglicherweise die Grenzen der Legalität berührt und überschritten, indem beispielsweise das Getriebe jenes größten Kohleexporthafens Australiens zeitweilig gestört wird. Aber gewiß werden nicht die Grenzen dessen, was man als legitim ansehen müßte, überschritten. Schließlich geht es darum, einen Schaden abzuwenden, und der ist nicht geringzuschätzen, sollten die Erdsysteme jene unaufhaltsame Dynamik entfalten, die ihnen unter dem Stichwort "Kippelement" oder auch "Kippunkt" zugesprochen wird.

Geologische Forschungen zeigen, daß im Laufe der Erdgeschichte, als es die Menschen entweder noch nicht gab oder sie zumindest noch keine motorisierten Laubsauger, Rasenkantenschneider und anderen bahnbrechenden Errungenschaften des technologischen Fortschritts entwickelt hatten, mehrfach solche raschen klimatischen Entwicklungen eingetreten waren. Diesmal dreht der Mensch an den Stellschrauben des globalen Klimas. Das ist auch der Grund dafür, weswegen der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Prof. Hans Joachim Schellnhuber, kürzlich in einem Schattenblick-Interview erklärte, daß sich noch in diesem Jahrhundert das Schicksal der menschlichen Hochzivilisation entscheiden wird. Im selben Interview antwortete er auf eine entsprechende Frage, daß er mit Formen des Klimaschutzaktivismus zur Rettung des Hambacher Forsts im Rheinland "sympathisiere". (Gesetze natürlich nicht übertreten werden dürften.) [2]

Die australische Regierung will die Kohleförderung sogar noch intensivieren und dazu den Hafen Abbot Point, im Norden des Landes gelegen, zu einem der weltweit größten Kohlehäfen ausbauen - auch wenn das bedeutet, daß die Folgen der Kohleförderung auf einen totalen Verlust des Great Barrier Reef hinauslaufen könnten und zugleich 100 Millionen Kubikmeter Aushub und Schlamm in einem als Weltnaturerbe ausgewiesenen, küstennahen Gebiet verklappt werden. Zugleich zeichnet sich die Klimaschutzpolitik Australiens durch eine gewisse, um es vorsichtig zu formulieren, Zurückhaltung aus, was die Entschlossenheit des Abschieds von fossilen Energieträgern betrifft.

Aber man braucht sich gar nicht erst auf die andere Seite der Weltkugel zu begeben, um auf eine industriefreundliche Einstellung einer Regierung zu treffen. Auch Deutschland, das sich gern als Vorbildstaat in Sachen Klimawandel verkauft, hat noch einen verglichen mit anderen Ländern sehr hohen Anteil an Kohle im Energiemix, nämlich 24 Prozent bei Braunkohle und 18,2 Prozent bei Steinkohle. [3]

Wenn heute noch im Rheinland und der Lausitz neue Tagebaue aufgeschlossen und dafür ganze Dörfer abgerissen und Landschaften mit teils uraltem Baumbestand abgetragen werden, dann zeigt das die enge, von Interessenähnlichkeit befestigte Verflochtenheit von Staat und Wirtschaft, in diesem Fall der fossilen Energiewirtschaft. Diese Verflochtenheit, der auch Dorfgemeinschaften mit ihren kleinen bis mittelständischen Wirtschaftsbetrieben, geopfert werden, endet nicht mit dem Austausch einer Wirtschaftsform durch eine andere. Würde also beispielsweise die fossil betriebene, profitorientierte, kapitalistische Wirtschaft durch eine von regenerativen Energien betriebene, profitorientierte, kapitalistische Wirtschaft ausgetauscht, würde sich bestenfalls etwas an der klimatischen, aber wohl kaum an der sozialen Realität vieler Menschen ändern. Inwiefern sich eine globale Kampagne wie "Break Free from Fossil Fuels 2016", die von der Organisation 350.org [4] gesteuert wird, diesem Widerspruch stellt, bleibt unklar.


Fußnoten:

[1] http://www.theguardian.com/environment/2016/may/08/hundreds-of-anti-fossil-fuel-protesters-join-australian-coal-blockade

[2] http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html

[3] http://strom-report.de/

[4] http://350.org/

9. Mai 2016


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