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KLIMA/503: Austernlarven erweisen sich als die "Kanarienvögel" der Ozeanversauerung (SB)


Das Meer versauert - Austern-Brutstation an US-Westküste vor dem wirtschaftlichen Ruin



Die Weltmeere gelten als die größte Senke für anthropogene Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2). Dessen Anteil an der Atmosphärenzusammensetzung hat seit Beginn der Industrialisierung vor 150‍ ‍bis 200 Jahren um etwa ein Drittel zugenommen und heute einen Wert von rund 392 ppm erreicht. Die Maßeinheit ppm steht für "parts per million", also Teile auf eine Million. Der Kohlendioxidanteil wirkt vielleicht nicht sonderlich beeindruckend, stehen den 390 Teilen CO2 doch 999.610 andere Luftanteile gegenüber. Dennoch kommt der kleinen Menge eine besondere Bedeutung zu. Sie verringert ein Entweichen der von der Erdoberfläche reflektierten langwelligen Sonnenstrahlung ins Weltall, was zur Folge hat, daß sich die Erde aufheizt wie ein Treibhaus.

Der Trend zur Erwärmung macht auch vor den Ozeanen nicht halt, wenngleich sie sehr träge auf den globalen Klimawandel reagieren. Deutlich läßt sich die klimatische Veränderung zur Zeit an der Versauerung der Weltmeere als Folge der steigenden CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre und der Aufnahme dieses Treibhausgases im Meer ablesen. Das zunehmend saurere Milieu macht aber all jenen Meeresbewohnern besonders zu schaffen, die Kalkschalen bilden.

Kalk mag's nicht sauer, deshalb rückt frau bzw. man ihm auf Wasserhähnen, in Badewannen oder der Kaffeemaschine schon mal mit Essig zu Leibe; im Schwimmbadbereich wird auch mit verdünnter Salzsäure gearbeitet (was hier bitte nicht als Empfehlung verstanden werden soll). Deutlich wird an diesen Beispielen, daß sich Kalk und sauer nicht vertragen.

Nur unter bestimmten Voraussetzungen können sich die marinen Kalkbildner der Versauerung ihrer Umgebung anpassen, nämlich wenn ihnen genügend Zeit eingeräumt wird. Gegenwärtig nimmt jedoch die Versauerung der Weltmeere in einer Geschwindigkeit zu, wie es die Erde vermutlich in den letzten 300 Millionen Jahren nicht erlebt hat, erläuterte der Paläobiologe Prof. Wolfgang Kießling vom Berliner Museum für Naturkunde und Co-Autor einer "Science"-Studie kürzlich in einem Interview mit dem Schattenblick:

"Im Laufe von 300 Millionen Jahren haben tatsächlich die Menschen heute den größten Einfluß auf die klimatische Entwicklung des Erdsystems genommen. Also die ganzen Naturereignisse, alle Vulkane, die damals ausgebrochen sind - und das waren ja gigantische Eruptionen, so etwas kennen wir heute gar nicht, all das lag noch eine Größenordnung unter dem, was wir heute an Klimagasen fabrizieren. Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis, vor allem für jene Geologen, die gerade, wenn es um Klimawandel geht, häufig Argumente anführen, wie 'Das ist alles halb so schlimm. Das hatten wir doch alles schon...'." [1]

Die interdisziplinäre Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Erdatmosphäre und Ozeanen hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Beispielsweise berichteten Anfang dieses Monats Forscher von der Staatsuniversität von Oregon im Fachjournal "Limnology and Oceanography" [2], daß die Austernzucht eines Unternehmens im US-Bundesstaat Oregon "definitiv" als Folge der Versauerung des Meeres zusammengebrochen ist. Das Larvenwachstum wurde so beeinträchtigt, daß die Betreiber der Austernfarm keine Chance sehen, ihren Betrieb ohne hohe wirtschaftliche Verluste weiterzuführen.

Das zunehmend saurere Meerwasser behindert die allererste Kalkschalenbildung der Austernlarven und damit ihr generelles Wachstum. Austernlarven könnten deshalb als "Kanarienvogel" der Auswirkungen der Ozeanversauerung auf Schaltentiere dienen, meinten die Forscher. (Kanarienvögel wurden früher im Untertage-Bergbau bei der Kohlegewinnung eingesetzt. Die Tiere sollten durch ihren Tod davor warnen, wenn es zu einer gefährlichen Gasentwicklung kam.)

Mehr oder weniger zum ersten Mal habe man zeigen können, daß die Ozeanversauerung die Entwicklung der Austernlarven in einem entscheidenden Stadium behindert, sagte der Ozeanograph und Co-Autor der Studie, Burke Hales. "Die prognostizierte Zunahme von atmosphärischem CO2 in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten könnte dazu führen, daß das Austernlarvenwachstum unter der Gewinnschwelle der Produktion bleibt." [3]

Vor einigen Jahren stellten jene nun existenzbedrohten Betreiber der Austernbrutstation Whiskey Creek Shellfish Hatchery in der Netarts Bay an der Westküste der USA erstmals einen Rückgang der Larvenproduktion fest. Alan Barton, Mitarbeiter des Unternehmen und ebenfalls Co-Autor der Studie, konnte ausschließen, daß ein niedriger Sauerstoffgehalt oder bakterielle Krankheitserreger das Larvenwachstum stören. Forscher der Staatsuniversität von Oregon und des Pacific Marine Environmental Laboratory der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) untersuchten von Barton eingesandte Proben und gelangten zum gleichen Ergebnis: Der Kohlendioxidgehalt des Meerwassers setzt den Larven, die darin die ersten vierundzwanzig Stunden ihres Lebens verbringen, entscheidend für die weitere Entwicklung so schwer zu, daß sie im Wachstum und der Bildung ihrer ersten Schale gehemmt werden.

Die Austernproduktion an der Westküste Nordamerikas macht einen Jahresumsatz von rund 273 Millionen Dollar. Seit den 1970er Jahren ist der Wirtschaftszweig so ausdifferenziert, daß er auf eigene Brutbetriebe, die eine ständige Versorgung mit Austernlarven gewährleisten, angewiesen ist. Bei dem jetzt beobachteten Phänomen handelt es sich offenbar um keine Folge der künstlichen Aufzucht. Auch die wild lebenden Austern zeigen ähnliche Beeinträchtigungen des Wachstums.

Die chemische Zusammensetzung des Meerwasser in der Netarts Bay ist saisonalen, tageszeitlichen und Gezeiten-Schwankungen unterworfen. Beispielsweise kann eine nachmittägliche Sonneneinstrahlung die Photosynthese des Planktons anregen, so daß ein Teil des Kohlendioxids dem Wasser entzogen und gebunden wird, erklärt Hales. In einer früheren Studie hatte er festgestellt, daß das Meerwasser, das an der pazifischen Küste vor Oregon aufströmt, sich rund 50 Jahre lang in größerer Tiefe befand und nun erstmals mit einer sehr viel stärker CO2-haltigen Atmosphäre in Berührung kam. Das bedeutet, daß das in Zukunft aufschwellende Meerwasser von vornherein saurer und damit aggressiver sein werde.

In dem von der Wissenschaftsseite ScienceDaily.com veröffentlichten Bericht [3] wird nicht näher darauf eingegangen, was Hales mit dieser Aussage noch alles mitteilen wollte, aber die Implikationen sind insofern wichtig, als daß er hier einen sich beschleunigenden Mechanismus beschreibt: Das aufquellende Tiefenwasser wird in Zukunft von vornherein einen höheren Säuregrad mitbringen und kann somit nicht wie bisher zur Linderung der Klimaerwärmung beitragen. Der Prozeß schaukelt sich auf, möglicherweise wird die Versauerung exponentiell zunehmen. Auch wenn es sich in diesem Beispiel zunächst um ein lokales Phänomen handelt, bestimmen viele solcher Trends zusammengenommen die globale Entwicklung.

Das Argument der Klimaskeptiker, wonach die Meere im Verlauf der Erdgeschichte schon viel saurer gewesen waren als heute, konnte die Forschergruppe, an der Prof. Kießling beteiligt war, entkräften: Nicht der absolute Säuregehalt, sondern die Geschwindigkeit der Veränderung ist für das Überleben der Arten entscheidend. Am Beispiel der Austern-Aufzuchtstation in Oregon - also im ganz, ganz kleinen Maßstab - zeigt sich, daß möglicherweise auch der Mensch mit der raschen Veränderung der natürlichen Voraussetzungen der von ihm gewählten wachstums- und profitorientierten Produktionsverhältnisse nicht zurechtkommt.


Fußnoten:

[1]‍ ‍INTERVIEW/012: Ozeanversauerung - Eine neue Studie gräbt Klimaskeptikern das Wasser ab, Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Kießling (SB), 14. März 2012.
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0012.html

[2]‍ ‍Alan Barton, Burke Hales, George G. Waldbusser, Chris Langdon, Richard A. Feely: "The Pacific oyster, Crassostrea gigas, shows negative correlation to naturally elevated carbon dioxide levels: Implications for near-term ocean acidification effects", Limnology and Oceanography, 2012; 57 (3): 698 DOI: 10.4319/lo.2012.57.3.0698

[3]‍ ‍"Ocean Acidification Linked to Larval Oyster Failure", ScienceDaily, 11. April 2012.
http://www.sciencedaily.com/releases/2012/04/120411132219.htm

16.‍ ‍April 2012