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KLIMA/475: Ambo Declaration - die Stimme der kleinen Inselstaaten ohne Wachstumskritik (SB)


Auffällige Ignoranz gegenüber der "Klimakonferenz der
Unterprivilegierten" in Bolivien

Kleine Inselstaaten und am wenigsten entwickleten Länder verabschieden Deklaration zum Klimawandel ohne Bezug zu Cochabamba


Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz Ende des Monats in Cancún (COP 16) positionieren sich die Staaten neu und schließen sich zu Interessengruppen zusammen, um ihrer Stimme bei den Verhandlungen mehr Gewicht und Durchsetzungskraft zu verleihen. China hatte sich bereits im Dezember 2009 auf der Konferenz zur UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change) in Kopenhagen zur Gruppe der Entwicklungsländer gerechnet und versucht, eine Führungsrolle unter den am wenigsten entwickelten Ländern (LDC - least developed countries) und den kleinen Inselstaaten (SIS - Small Island States) einzunehmen. Daran knüpft der Exportweltmeister 2010 an und hat am 10. November die Ambo Declaration [1] unterzeichnet.

Dem ging ein eintägiges Treffen in Ambo, einem Dorf, in dem das Parlament des Pazifikstaats Kiribati seinen Sitz hat, voraus. Die Abschlußerklärung dient den Unterzeichnern dazu, sich auf wesentliche Eckpfeiler der Klimapolitik zu einigen. Daß diese in weiten Zügen Wiederholungen früherer Erklärungen bilden und keine konkreten Handlungsanweisungen an die Unterzeichner liefern, kann in Anbetracht der Unverbindlichkeit der Kopenhagener Beschlüsse (Copenhagen Accord) nicht erstaunen. Dennoch läßt sich aus der Ambo Declaration eine Position herauslesen, die dem Standpunkt der meisten industrialisierten Staaten, die lediglich als Beobachter an der Tarawa Climate Change Conference in Kiribati teilnahmen, entgegensteht. Eine Fundamentalkritik wird jedoch nicht geleistet.

Kaum Dissenz dürfte in der internationalen Staatengemeinschaft darin bestehen, daß der Klimawandel hauptsächlich menschengemacht ist und konkrete Gefahren von ihm ausgehen. Der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane und Extremwetterereignisse mitsamt ihren zerstörerischen Folgen werden in der Ambo Declaration als primäre Folgen des klimatischen Trends bezeichnet. Solche Aussagen von eher allgemeiner Art werden in fast allen Unterpunkten getroffen. Der vermutlich entscheidendste Streitpunkt dürfte unter Punkt 10 stehen. Dort werden die entwickelten Länder aufgefordert, finanzielle Mittel freizusetzen, "die neu und zusätzlich, angemessen, zuverlässig und nachhaltig" sind und auf einer transparenten Grundlage an Beihilfen beruhen, um die vom Klimawandel am schwersten betroffenen Staaten bei der Bekämpfung der Folgen der klimatischen Entwicklung zu unterstützen. Auch daß der Technologietransfer von den entwickelten in die Entwicklungsländer zu den "Prioritäten" gehört, dürfte nicht unbedingt auf Wohlwollen stoßen. Auch wenn allgemeiner Konsens zu diesem Punkt besteht, blieb die Frage bislang unbeantwortet, auf welche Weise der Technologietransfer zu erfolgen hat.

Das und vieles mehr waren strittige Themen, die dazu beigetragen haben, daß sich die sogenannte internationale Staatengemeinschaft in Kopenhagen nur auf einen Minimalkonsens einigte. In der Ambo Declaration wird keine Lösung für diese Streitpunkte geboten. Unterzeichnet wurde die Erklärung von China, dessen Vertreter erst zum Schluß seine Unterschrift gegeben hat, Australien, Brasilien, Fidschi, Japan, Kiribati, Kuba, Malediven, Marshall-Inseln, Neuseeland, Solomon Inseln und Tonga.

Daß ausgerechnet Australien mit im Boot ist, dürfte nicht nur mit der jüngeren Klimapolitik der australischen Labor-Regierung zu tun haben, sondern vor allem mit dem regionalen Hegemonialanspruch des Landes. Es empfindet sich als Schutzmacht der kleinen Inselstaaten im Pazifik. Zudem haben einige von ihnen bei der australischen Regierung angefragt, ob sie auf den Kontinent übersiedeln dürfen, wenn der Meeresspiegel weiter steigt und ihre zumeist niedrig gelegenen Atolle überflutet.

Auffälliger als das, was in der Ambo Declaration steht, ist das, was sie nicht enthält. In erster Linie ist da an die Abschlußerklärung der internationalen Klimakonferenz in diesem Jahr in Cochabamba, auf die indigene Gemeinschaften und zivilgesellschaftliche Kräften einen starken Einfluß ausübten, zu denken. Die Erklärung enthielt äußerst kritische Aussagen zum vorherrschenden Wachstumsmodell und zur Förderung der Kapitalakkumulation. Hier ein Ausschnitt:

"Wir stehen der Endkrise des patriarchalischen Zivilisationsmodells gegenüber, das sich auf die Unterwerfung und Zerstörung von Menschen und Natur stützt, ein Prozess, der sich mit der industriellen Revolution beschleunigte. Das kapitalistische System hat uns eine Denkweise der Konkurrenz, des Fortschritts und des Wachstums ohne Grenzen aufgezwungen. Dieses Produktions- und Konsumregime strebt nach schrankenlosem Profit, es trennt den Menschen von der Natur und richtet ein folgerichtiges System der Herrschaft über diese auf, es verwandelt alles in Ware: das Wasser, den Boden, die menschlichen Gene, die überlieferten Kulturen, die Biodiversität, die Gerechtigkeit, die Ethik, die Rechte der Völker, den Tod und selbst das Leben." [2]

Daß die am wenigsten entwickelten Länder und kleinen Inselstaaten faktisch keinen Bezug auf die Abschlußerklärung von Cochabamba genommen haben, ist als klare Absage an eine konsequente Kapitalismuskritik zu verstehen. Und das, obschon doch selbst konservative Kreise nicht in Abrede stellen, daß die Industriestaaten mit ihren Kohlendioxidemissionen die Hauptverantwortung für den menschlichen Anteil an der Erderwärmung tragen. Anscheinend versprechen sich die kleinen Inselstaaten von einem Bündnis mit China, Japan, Brasilien und Australien mehr als von einer Verbindung zu den "Paria-Staaten" Bolivien und Venezuela, die sich weigern, "Hinterhof der USA" zu spielen. Es ist nicht nur im übertragenen Sinn zu verstehen, daß sich die kleinen Inselstaaten möglicherweise verrechnet haben und dabei untergehen.


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Anmerkungen:

[1] http://www.climate.gov.ki/pdf/AMBO_DECLARATION%2010th%20November%202010.pdf

[2] "Abkommen der Völker Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde"
http://www.decroissance-bern.ch/storage/files/Cochabamba_.pdf

15. November 2010