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KLIMA/406: EU-Gipfel stellt Weichen für Klimakonferenz in Kopenhagen (SB)


Soziale Fragen bei Klimaschutzverhandlungen weitgehend ausgeklammert

Industriestaaten verteidigen ihren wirtschaftlichen und
technologischen Vorsprung


Wie kann es uns gelingen, das im Jahr 2000 in Lissabon beschlossene Ziel, die Europäische Union zum führenden Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort zu machen, in ein grünes Gewand zu kleiden und der übrigen Welt als dringend gebotene Klimaschutzmaßnahme zu verkaufen? Diese Frage stellt sich den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsländer auf ihrer zweitägigen Konferenz in Brüssel, die am Freitag zu Ende geht. Thematisiert wird abgesehen von Personalfragen und der Durchsetzung des Reformvertrags auch das Verhandlungsmandat für die UN-Klimakonferenz im Dezember in Kopenhagen.

Nachdem die europäischen Länder und andere Industriestaaten ihren wirtschaftlichen Aufschwung und relativen Wohlstand dadurch erkauft haben, daß sie Treibhausgase produzierten, die das Weltklima auf vermutlich atemberaubende Weise verändern werden, wollen sie die Kosten, von denen man erwartet, daß sie den angerichteten Schaden zumindest begrenzen können, so weit es irgend geht auf andere abwälzen.

Die EU-Kommission hat die Rechnung aufgestellt, daß die Entwicklungsländer bis 2020 jährlich 100 Milliarden Euro aufbringen müßten, um die schlimmsten Klimawandelfolgen aufzufangen. Würde sich die EU an diesen Kosten beteiligen, entfielen auf sie mindestens zwei Milliarden, höchstens 15 Milliarden Euro pro Jahr.

Über den Kommissionsentwurf streiten sich die Geister. Die Finanzminister halten ihn für inakzeptabel und überlassen es den Staats- und Regierungschefs, darüber abschließend zu befinden. Womöglich wird es einen Kompromiß geben, der dann ein Schlupfloch enthält, so daß die bisherige Entwicklungshilfe mindestens teilweise in eine Klimaschutzmaßnahme umdefiniert wird. Umgekehrt könnten darüber hinausgehende Maßnahmen zum Schutz des Klimas als Entwicklungshilfe gerechnet werden, so daß EU-Mitglieder wie Deutschland ihre bislang nicht eingehaltene Zusage zur Erhöhung der Entwicklungshilfe auf wundersamerweise nach Jahren der Vernachlässigung erfüllen würden.

Das könnte ein Mitnahmeeffekt sein, auf den die EU womöglich nicht verzichten wird. Von entscheidender Bedeutung bleiben jedoch die ökologischen und sozial wirksamen, marktwirtschaftlich geprägten Konzepte, mit denen die EU-Länder auf der Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen antreten werden. Bis 2020 sollen die Kohlendioxidemissionen um 20 Prozent reduziert werden. Sollten die USA mitmachen, könnte das Reduktionsziel auf 30 Prozent erhöht werden. Um dies zu erreichen, bedarf es einer technologischen Ausrichtung, die von den fossilen Energieträgern wegführt. Deutschland wird versuchen, mittels der Europäischen Union einen Technologietransfer in andere Weltregionen zu etablieren, von dem vor allem die hiesige Wirtschaft profitiert. Umwelttechnik ist eine Branche, in der Milliarden Euro Umsatz gemacht werden. Ein Transfer der Technologie bedeutet nicht zwangsläufig, die Vormachtstellung auf dem Gebiet preiszugeben. Oder, anders herum gesagt, Länder wie China und Indien holen den technologischen Vorsprung sowieso auf. Wer zur Spitze gehören will, muß sich ständig weiterentwickeln und andere dazu bringen, ihm zu folgen. (Was, nebenbei gesagt, bei der "deutschen" Magnetschwebebahn nicht gelang.)

Auch wenn von dem zweitägigen EU-Gipfel keine endgültigen Entscheidungen in Sachen Klimaschutz zu erwarten sind, werden die Positionen abgeklärt, sofern dies noch nicht geschehen ist, und Verhandlungen über die Modalitäten eines gemeinsamen Standpunkts geführt. Ein bedeutender Dissenz besteht noch hinsichtlich der Verwendung der ungenutzten Emissionszertifikate der osteuropäischen Länder. Nach dem Zusammenbruch der Industrien in Polen, Ungarn und anderen ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten im Anschluß an den Zerfall der Sowjetunion wurden diesen viele Verschmutzungsrechte zuerkannt - Berechnungsjahr war 1990, als die Kessel noch dampften -, aber anschließend nicht in Anspruch genommen. Nun vertreten die osteuropäischen Länder den Standpunkt, daß die ungenutzten Emissionszertifikate nicht verfallen, sondern im Kyoto-Nachfolgeabkommen, das den Zeitraum 2012 bis 2020 umfaßt, weiterhin Geltung haben sollen. Zumal die Modernisierung der eigenen Wirtschaft in Richtung neuester Umwelttechnologie noch immer nicht abgeschlossen sei.

Der osteuropäische Vorschlag liefe darauf hinaus, daß Deutschland und andere westeuropäische Staaten verhältnismäßig hohe Reduktionsziele erfüllen müßten, was als übermäßige Belastung der Wirtschaft betrachtet wird. Dieser innereuropäische Streitpunkt enthält eine pikante Note, denn bislang hat die Europäische Union insgesamt wiederum gegenüber allen Nicht-EU-Staaten vom industriellen Einbruch der osteuropäischen Industrie profitiert. Nicht zu vergessen, daß ausgerechnet Deutschland, das sich jetzt gegen die Übertragung der verbliebenen Verschmutzungsrechte auf das neue Abkommen ausspricht, Vorteile vom industriellen Wegfall der an die Bundesrepublik angegliederten DDR erwarb und seine ansonsten gar nicht so prächtige Klimaschutzbilanz verbessern konnte.

Selbst wenn diese EU-internen Unstimmigkeiten rechtzeitig bis zum Kopenhagen-Gipfel ausgeräumt werden sollten, erwarten Experten keinen erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen. Ohnehin stellt sich die Frage, was ein Erfolg und was ein Mißerfolg sein soll. Wenn Erfolg darin besteht, daß künftig ein noch umfangreicherer Handel mit Verschmutzungsrechten stattfindet als bisher und sich die reichen Länder "freikaufen" oder daß Entwicklungsländer das Nutzungsrecht über ihre Naturräume verlieren, weil zum Beispiel der Schutz eines Stücks Regenwald an einen Industriestaat verkauft wurde, was dieser sich als Klimaschutzmaßnahme anrechnen kann, und es gar zu Vertreibungen der indigenen Bevölkerung aus diesem Regenwaldgebiet kommt, dann wäre das Nicht-Zustandekommen der Kopenhagen-Konferenz als Erfolg anzusehen.

29. Oktober 2009