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KLIMA/347: Kohlekraftwerk Kingsnorth - Aktivisten voll rehabilitiert (SB)


Britischer Staatssekretär entschuldigt sich

Entgegen der offiziellen Darstellung wurden bei Demonstrationen gegen das geplante Kohlekraftwerk Kingsnorth in Großbritannien im August dieses Jahres 70 Polizisten nicht durch die Hand von Aktivisten verletzt


Nicht nur für die britische Gesellschaft gilt: Wer gegen Kohlekraftwerke protestiert, macht sich verdächtig und zieht die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich. Wohingegen jene Menschen, die Kohlekraftwerke in die Welt setzen, in der Regel als angesehene Mitglieder der Gesellschaft gelten. Als im August dieses Jahres in der Nähe des Standorts des ersten neuen Kohlekraftwerks in Großbritannien seit 30 Jahren, Kingsnorth bei Kent, Aktivisten aus dem In- und Ausland zusammenkamen, ein sogenanntes Klima-Camp errichteten und versuchten, sich über die Problematik des Klimaschutzes und die Schädlichkeit von Kohlekraftwerken auszutauschen sowie mit Hilfe zahlreicher Aktionen die Öffentlichkeit auf den Widerspruch zwischen den selbstgesteckten Kohlendioxid-Einsparungszielen der Regierung und der Genehmigung neuer Kohlekraftwerke aufmerksam zu machen, wurden sie nicht nur von der britischen Polizei besonders hart rangenommen, sondern auch noch Gewalttaten bezichtigt, die sie nicht begangen haben. Von daher ist es eine späte Genugtuung, daß sich der britische Staatssekretär Vernon Coaker, im Innenministerium für Sicherheit, Terrorismusbekämpfung, Kriminalität und Polizei zuständig, diese Woche vor dem Unterhaus für seine Behauptung entschuldigt hat, während der Proteste vor vier Monaten seien 70 Polizeibeamte verletzt worden.

Tatsächlich wurden damals im Rahmen der Proteste 70 Beamte medizinisch behandelt, aber nicht weil sie von den Demonstranten verletzt worden waren, sondern weil sie entweder von Insekten gestochen wurden, ihnen die Sonne zugesetzt hatte oder ähnliches! Das berichtete die britische Zeitung "The Guardian" am Dienstag (16.12.2008, online).

Der Staatssekretär versuchte sich mit einer recht fadenscheinigen Erklärung, die Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit in noch viel wichtigeren Bereichen der Inneren Sicherheit aufkommen lassen, herauszureden: "Mir wurde gesagt, daß 70 Polizeibeamte verletzt wurden, und natürlich hatte ich angenommen, daß sie in einer direkten Auseinandersetzung als Folge der Proteste verletzt wurden. Das traf eindeutig nicht zu, und ich entschuldige mich, falls dies bei irgend jemandem zu einem falschen Eindruck geführt hatte."

Ein Staatssekretär verbreitet Zahlenangaben über verletzte Polizisten während einer Demonstration und will sich nicht erkundigt haben, wie schwer die Beamten verletzt wurden? Das ist nicht glaubhaft.

Die oppositionellen Liberaldemokraten hatten eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestartet und auf diese Weise herausgefunden, daß kein einziger Beamter von den Aktivisten verletzt wurde. Aus den Dokumenten geht hervor, daß die medizinische Einheit der Polizei Zahnschmerzen, Durchfall, Schnittverletzungen an den Fingern und "möglicherweise Bienenstiche" behandelt hat.

Polizisten wurden nicht von Demonstranten verletzt, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Laut David Howarth, rechtspolitischer Sprecher der Liberaldemokraten, wurde "eine große Zahl von Protestierern" durch die Hand von Polizisten verletzt, insbesondere aufgrund des Schlagstockeinsatzes. Die Beamten waren mit außerordentlicher Härte und Rücksichtslosigkeit gegen die friedlichen Aktivisten vorgerückt. Beispielsweise durchkämmten zu Beginn des Klima-Camps in der Nacht vom 3. auf den 4. August rund 200 Polizisten der Aufstandsbekämpfungseinheiten das Zeltlager, knüppelten seine Bewohner nieder und konfiszierten Hunderte extrem brisante Gegenstände wie Zeltvordächer, Wasserpfeifen und Malstifte oder auch Auffahrrampen für Rollstuhlfahrer, Brettspiele und Brandschutzausrüstungen.

Nick Thorp, Sprecher des Klima-Camps, begrüßte laut dem "Guardian" die Entschuldigung des Staatssekretärs, zeigte sich indessen wenig überrascht. Man sei eine rein friedliche Bewegung. Doch seit drei Jahren werde man von Polizei und Regierung ohne jeden Beweis als gewalttätige Minderheit gebrandmarkt. Wenigstens sei schlußendlich die Wahrheit ans Licht gekommen, meinte Thorp.

Polizei und Politik haben inzwischen die üblichen und stets griffigen Verschleierungsmaßnahmen in die Wege geleitet. So kündigte Coaker an, daß er sich mit Vertretern der Association of Chief Police Officers treffen wollen, um darüber zu sprechen, welche Lehren man aus Kingsnorth gezogen habe, und daß die National Police Improvement Agency eine Untersuchung über die Art und Weise, wie mit der Demonstration umgegangen wurde, durchführe. Das alles wird von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen, wohingegen die Polizeirazzia im Klima-Camps durch die Presse ging und der Eindruck erweckt wurde, daß das knüppelharte Vorgehen der Beamten irgendwie berechtigt war. Tatsächlich gab es jedoch keinen nennenswerten Widerstand, sieht man von einer passiven Verweigerung der Kooperation mit der Polizei ab. Auch wenn sich der Staatssekretär nun entschuldigt hat - übrigens nicht bei den mißhandelten Aktivisten, sondern bei den Parlamentariern, die von ihm falsch informiert wurden -, bleibt in der Öffentlichkeit der Eindruck haften, die Klimaschützer seien gewaltbereit.

Es sollte allerdings nicht überraschen, wenn dem einen oder anderen ob der permanenten Diffamierung durch die Obrigkeit irgendwann der Kragen platzt und er sich sagt, daß er dem Bild entsprechen werde, wessen er fälschlicherweise bezichtigt wird, weil es ja sowieso nichts ändere. Ein hartes Vorgehen der Polizei kann zur Radikalisierung einer Bewegung führen, was dann wiederum ein noch brutaleres Vorgehen der Beamten nach sich zieht. Vielleicht lag genau darin die Absicht des Einsatzes der Aufstandsbekämpfungspolizei im britischen Klima-Camp.

17. Dezember 2008