Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

KLIMA/302: Was hat der CO2-Anstieg mit dem Nyos-See zu tun? (SB)


Stärkerer Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre als gedacht


Horrormeldung gefällig? Bitte sehr: Die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre steigt deutlich schneller als befürchtet. Umgekehrt nimmt die CO2-Aufnahmekapazität der Ozeane mehr ab als angenommen. Beides zusammen läßt nichts Gutes ahnen für die Klimaentwicklung in diesem Jahrhundert. Dabei wurde in der Debatte über allgemeine Erderwärmung eine Frage noch gar nicht berührt: Was passiert, wenn sich das CO2 in Bodennähe ansammelt und den Sauerstoff verdrängt?

Am Dienstag wurde eine Studie des australischen Global Carbon Project von der australischen Forschungsinstitution CSIRO in der Online-Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Science" veröffentlicht. Projektleiter Josep G. Canadell und seine Mitarbeiter berichteten, daß die weltweiten CO2-Emissionen im Jahr 2006 um 35 Prozent über dem Wert von 1990 lagen (und damit deutlich über dem, was in den meisten Klimamodellen angenommen wurde). In den neunziger Jahren betrug die jährliche Steigerungsrate der CO2-Emissionen 1,3 Prozent (1,58 ppm - Teilchen pro Million), von 2000 bis 2006 schnellte sie auf 3,3 Prozent (1,93 ppm) empor. Wurden im Jahr 2000 noch 7,0 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre entlassen, waren es 2006 bereits 8,4 Milliarden Tonnen.

65 Prozent des CO2-Anstiegs gehen nach Ansicht der Forscher auf das Wirtschaftswachstum - also den unmittelbar menschlichen Anteil - zurück, die übrigen 35 Prozent hingegen auf natürliche Faktoren wie Verschiebungen der Windsysteme im südlichen Ozean sowie auf eine Serie von Dürren in den mittleren Breiten.

Auf der anderen Seite schwinden weltweit die natürlichen "Kohlenstoffsenken". Darunter werden sämtliche Faktoren zusammengefaßt, bei denen Kohlendioxid der Atmosphäre entzogen wird. Ein Wald kann eine Kohlenstoffsenke sein oder auch die Ozeane. Letztere besitzen sogar einen kräftigen Einfluß auf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, da sie das Treibhausgas aufnehmen.

Nun haben aber der britische Professor Andrew Watson von der Universität von East Anglia und seine Kollegen in der vergangenen Woche die Auswertung von mehr als 90.000 Messungen aus dem Nordatlantik in der Zeit von 1995 bis 2005 vorgestellt und erklärt, daß der Trend "höchst beunruhigend" sei. Es habe sich gezeigt, daß die CO2-Aufnahme des Meeres um 50 Prozent abgenommen hat. In anderen Studien war bereits festgestellt worden, daß auch die CO2-Absorbtionsrate des Südpolarmeers im Verlauf von Jahrzehnten kontinuierlich rückläufig war. Wenn aber die Ozeane immer weniger Treibhausgase speichern, könnte dies den CO2-Anstieg in der Atmosphäre nochmals drastisch beschleunigen.

Die Erdatmosphäre verändert sich. Möglicherweise auf eine Weise, wie es in den bisherigen Prognosen zur Steigerung der Kohlendioxidkonzentration und damit des Treibhauseffekts noch nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Denn es verändert sich nicht nur die chemische Zusammensetzung, sondern damit logischerweise auch das Gasmischungsverhältnis der Atmosphäre. Darüber hinaus beobachten Wissenschaftler Veränderungen in der Höhe und Ausdehnung der Stockwerke. (Die Bezeichnung "Stockwerk" vereinfacht zwar auf gröbste die differenzierten physikalisch-chemischen Verhältnisse, soll hier aber der einfachen Verständigung wegen verwendet werden.)

Der Kohlendioxidanteil der Atmosphäre scheint mit gegenwärtig 381 ppm gering vergleichen mit dem Sauerstoffgehalt von rund 20,9 Prozent auf Meeresspiegelniveau. Wenn man jedoch bedenkt, daß der CO2-Gehalt zu Beginn des Industriezeitalters bei 280 ppm lag und daß er den Proxydaten zufolge (gewonnen u.a. aus Eisbohrkernen, Sedimenten, Baumringen, etc.) in den letzten 650.000 Jahren noch nie so hoch war, schwindet der Eindruck, man könne den Kohlendioxidanstieg ignorieren.

So wie die Ozonschicht große Bedeutung für das Leben auf der Erde hat, so kommt auch dem mengenmäßig unbedeutend scheinenden Kohlendioxid eine besondere Bedeutung zu. Je höher seine Konzentration in der Atmosphäre, desto mehr langwellige Wärmerückstrahlung von der Erdoberfläche wird absorbiert, mit der Folge, daß sich die Erde aufheizt.

Es ist logisch, daß eine Erhöhung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre bedeutet, daß im gleichen Verhältnis der Anteil eines oder mehrerer anderer Gase zurückgeht. Welche Folgen hat das? Nimmt man nur den Verlauf der atmosphärischen Sauerstoffkonzentration in der Erdgeschichte, so zeigt sich etwas Bemerkenswertes: Je höher der Sauerstoffanteil (bis über 30 Prozent), desto größer auch die Tiere und Pflanzen. Umgekehrt starb das sogenannte höhere Leben, wozu sich, wen wundert's, selbstverständlich auch der Mensch zählte, massenhaft aus, wenn die Sauerstoffkonzentration wieder abnahm (bis auf rund 10 Prozent). Es scheint, daß wir heute mit knapp 21 Prozent im grünen Bereich liegen. Aber wie sicher ist das?

Falls die offenkundigen Verschiebungen innerhalb der Atmosphäre dazu führen, daß sich schwerere Moleküle bilden, werden diese dann vorzugsweise bis in Bodennähe absinken. Dabei könnten sie unter anderem den Sauerstoff verdrängen. Solch ein Phänomen ist regional bekannt. In Kamerun liegt der Nyos-See. Der hat sich in einem nahezu erloschenen Vulkan angesammelt, der keine Lava ausstößt, sondern nur noch Gase abdampft. Vom Druck des Wasser unten gehalten, sammelt sich das Gas am Seeboden. Doch 1986 hatte sich aus Kohlendioxid bestehende Blase vom Grund gelöst, war an die Oberfläche gestiegen und hatte sich über den Hang des Vulkankraters in die Senken des Umlands ergossen. Die Bewohner der benachbarten Dörfer im Tal sahen nicht, was auf sie zukam, denn Kohlendioxid ist unsichtbar, und erstickten elendig. 1700 Menschen verloren ihr Leben. Heute wird der See permanent überwacht und das gefährliche Gas abgepumpt, damit sich keine Blase bilden kann.

Dieses drastisches Beispiel zeigt jedoch einen Effekt, der bei der Klimadebatte bislang vernachlässigt wurde: Das CO2, das der Mensch produziert, hat die Neigung, sich in Bodennähe anzusammeln. Deshalb kann selbst eine geringe Menge im Verhältnis zur übrigen Menge an Stickstoff, Sauerstoff und Edelgasen weitreichende Konsequenzen für die Bewohner der Erdoberfläche haben.

24. Oktober 2007