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GENTECHNIK/318: Glyphosat - und so weiter und so fort ... (SB)



Trotz der vielen Proteste in der Bevölkerung gegen den Wirkstoff Glyphosat nimmt dessen Gebrauch sowohl als Herbizid als auch als Sikkationsmittel weltweit deutlich zu. Dadurch gelangt mehr und mehr Glyphosat in Futter- und Lebensmittel. Die gesundheitlichen Auswirkungen dessen sind noch unerforscht, und die viel zu laschen Risikobewertungen der Behörden beruhen auf veralteten Daten. Diese stammen aus einer Zeit, als die Landwirte nur halb oder ein Viertel so viel Glyphosat eingesetzt haben wie heute, heißt es in einer Untersuchung im Journal "Food" vom Dezember 2019. [1]

Über gentechnisch veränderte Sojabohnen, die als Futtermittel beispielsweise aus den USA, Argentinien und Brasilien importiert werden, nicht zuletzt weil in der Europäischen Union ein Anbauverbot für Gentechsoja besteht, gelangt das Herbizid, das unter Markennamen wie Roundup vertrieben wird, auch in hiesige Futtertröge und von dort in die Nahrungskette des Menschen. Forschungsleiter Thomas Böhn vom norwegischen Institut für Marineforschung in Tromsö sagte gegenüber der Internetseite FoodNavigator, daß man das toxische Pestizid Glyphosat eigentlich überhaupt nicht in der Nahrungskette antreffen sollte. [2]

In den drei genannten Ländern verbleiben pro Saison schätzungsweise 2.500 bis 10.000 Tonnen Glyphosat als Rückstände in den Pflanzen und werden somit von Tier und Mensch konsumiert. Um die potentielle Giftigkeit des einst vom Agrokonzern Monsanto und heute unter anderem von Bayer vertriebenen Totalherbizids wird seit Jahren eine kontroverse Debatte geführt. Im Jahr 2015 hat das Internationale Krebsforschungsinstitut (IARC), das der Weltgesundheitsorganisation unterstellt ist, Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Wohingegen die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) wenige Jahre darauf Entwarnung gaben, indem sie feststellten, daß keine hinreichenden Belege für einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs existieren.

Laut Böhn und seinem Co-Autoren Erik Millstone von der Universität von Sussex in Brighton hat sich von 1996 bis 2014 die Glyphosatmenge, die pro Behandlung auf dem Feld ausgebracht wird, mehr als verdoppelt. Zugleich hat sich ungefähr im gleichen Zeitraum auch die Häufigkeit, mit der Glyphosat pro Saison versprüht wird, von zwei- auf mehr als viermal verdoppelt. Außerdem gehen die Forscher davon aus, daß ein oder zwei Ausbringungen erst gegen Ende der Saison durchgeführt werden, was die Rückstandsmenge von Glyphosat in den weitgehend ausgereiften Sojabohnen um das bis zu Zehnfache erhöht.

Inzwischen wird das Mittel auch vermehrt zur Sikkation (Reifesteuerung) von nicht gentechnisch veränderten Sojabohnen benutzt. Das heißt, daß die grünen Anteile des besprühten Krauts, das im Unterschied zu gentechnisch veränderten Bohnen nicht immun ist gegenüber Glyphosat, regelrecht austrocknen und verdorren. Die Bohnen jedoch reifen aus und können geerntet werden. Sikkation wird unter anderem betrieben, um die Bohnen rechtzeitig vor einem angekündigten Regenwetter reifen zu lassen und zu ernten oder auch, um zu vermeiden, daß sie aufwendig getrocknet werden müssen.

Sojabohnen sollten unter "repräsentativen" und "realistischen" Bedingungen geprüft werden, fordern die beiden Forscher und begründen ihren Standpunkt mit einer Vielzahl von Argumenten. Dazu zählen:

- In Fütterungsstudien ist festgestellt worden, daß selbst geringe, noch unterhalb der Grenzwerte liegende Glyphosatmengen die Sterblichkeit erhöhen sowie die Fruchtbarkeit und Reproduktionsrate beeinträchtigen.

- Bei einer Neubewertung der Toxizität von Glyphosat sollte nicht nur der Wirkstoff für sich genommen analysiert werden, sondern auch in Kombination mit Begleitstoffen, wie sie beispielsweise in dem Markenprodukt Roundup verwendet werden. Jene Begleitstoffe können die Toxizität um ganze Größenordnungen erhöhen. Das stellt den bisherigen Grenzwert der Tagesdosis in Frage.

- Glyphosat-basierte Herbizide sind in rund 750 Formulierungen enthalten, was die Angelegenheit weiter verkompliziert. Zudem treten synergistische Effekte aufgrund des Zusammenspiels mit anderen Agrochemikalien und Schwermetallen auf.

- Die gentechnisch veränderte Sojabohne "Balance Bean" ist gegen drei Wirkstoffe - Glyphosat, Glufosinatammonium und Isoxaflutol - immun. Bei der Risikobewertung wurde jedoch überhaupt keine Fütterungsstudie durchgeführt. Dennoch hat die EFSA den Import dieser Bohne in die EU genehmigt.

- Saatgut und Proben von GM-Pflanzen sind nicht offen verfügbar, womit ein unabhängiges Überprüfen der Angaben verunmöglicht wird. Ein Schutz der öffentlichen Gesundheit kann daher nicht gewährleistet werden.

Da sich der Umgang der Landwirtschaft mit Glyphosat gewandelt hat, wäre es eigentlich erforderlich, die administrativen Bestimmungen der Realität anzupassen. Doch die Risikoanalysen der Aufsichtsbehörden stammten noch aus einer Zeit, als die Bohnen mit viel geringeren als den heute üblichen Dosen besprüht wurden, warnen die Forscher. Sie sprechen von einer "Wissenslücke" und einem "potentiell gefährlichen Unterschätzen des Gesundheitsrisikos für Konsumierende". Von daher sollten alle machbaren Maßnahmen ergriffen werden, um die Einnahme von Glyphosat zu vermeiden und auch keine Sikkation mehr zu betreiben.

Die Beobachtungen ähneln denen, die der Schattenblick bei seinen Recherchen vor zehn Jahren vor Beginn der breiten Glyphosatdebatte gemacht hatte: Die EU genehmigt Sikkationsmittel, deren potentielle Schadenswirkungen entweder von vornherein gar nicht oder aber viel zu oberflächlich untersucht worden sind. [3] Offenbar hat sich daran seitdem kaum etwas geändert. "Schutz der öffentlichen Gesundheit" und "Vorsorge" bleiben Täuschungsbegriffe, die allein den Zweck haben, die Menschen zu beruhigen, sprich: zu befrieden, damit sie willfährig schlucken, was ihnen vorgesetzt wird.


Fußnoten:

[1] https://www.mdpi.com/2304-8158/8/12/669

[2] https://www.foodnavigator.com/Article/2020/01/16/Much-higher-herbicide-residues-found-in-glyphosate-resistant-soybeans-Glyphosate-should-not-be-in-the-food-chain

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umko0005.html

17. Januar 2020


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