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GENTECHNIK/299: Grünes Licht für GVO-Pflanzen - EU-Parlament kippt Anbauverbot (SB)


EU gibt geschlossene Ablehnung von Gentechsaat auf

"Opt-Out-Regelung" erweist sich im Kern als "Opt-In-Regelung"



Die Europäische Union hat ihr Nein zum Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen faktisch aufgegeben. Agrounternehmen wie Monsanto und Syngenta, die seit langem versuchen, Europa für diese Züchtungsmethode aufzubrechen, dürfen frohlocken. Zwar wird den einzelnen EU-Mitgliedern die Option gelassen, auch dann ein nationales Anbauverbot zu verhängen (Opt-Out-Regelung), wenn auf EU-Ebene eine Zulassung besteht, aber ein Deich ist nun mal nur so stark wie seine schwächste Stelle. Er kann noch so hoch und breit und gut befestigt sein, das alles nutzt nichts, wenn an einer Stelle eine Lücke klafft. Nachdem am Dienstag das EU-Parlament eine bereits im Dezember mit den zuständigen EU-Ministern ausgehandelte Vereinbarung mit 480 Stimmen angenommen hat (bei 159 Gegenstimmen und 58 Enthaltungen), weist jener Deich nun sehr viele Lücken auf.

Bis jetzt stand der EU-Rat dem Anbau von Pflanzen mit GVO (gentechnisch veränderten Organismen) im Wege. Die in diesem Gremium vertretenen Minister der Mitgliedstaaten waren stets sehr zerstritten, es gab entschiedene Gegner und nicht minder entschiedene Befürworter dieser umstrittenen Methode der Pflanzenzüchtung, gegen deren Resultate immer wieder der Verdacht erhoben wurde, sie schadeten Umwelt und Gesundheit. Am Ende oftmals zäher Verhandlungen mußte der Rat jedoch mit einer Stimme sprechen. Auch wenn diese nur über Mehrheitsverhältnisse zustande kam und Mitglieder überstimmt wurden, gab es anschließend keine einander diametral gegenüberstehenden Beschlüsse. Das gilt nun nicht mehr. Künftig kann jedes Unionsmitglied selbst über eine mögliche GVO-Zulassung entscheiden.

Formal besitzt der EU-Rat weiterhin Entscheidungsbefugnis. Die Frage ist allerdings, ob die Ratsmitglieder in Zukunft das gleiche Abstimmungsverhalten zeigen werden wie in der Vergangenheit, als es die Opt-Out-Regelung noch nicht gab. Wer vorher eine unschlüssige Position einnahm, wird sich jetzt vielleicht sagen, daß seine Ablehnung nicht mehr so wichtig ist, weil ja sein Land Entscheidungen nur für sich treffen kann. Oder er wird Zugeständnisse machen, wie das in der Politik bei der Suche nach Kompromissen üblich ist, wenn man ihm bei einer anderen Streitfrage entgegengekommt.

Auch die aktuelle Vereinbarung ist das Ergebnis solcher Kompromisse. Da fragt man sich, was die Befürworter der Gentechnik als Gegenleistung für ihre Zustimmung zu einer Regelung erhalten haben, die sie früher strikt abgelehnt hätten. Denn es bricht mit der bisherigen Politik, nach der nur ein wissenschaftlicher Beweis der Schädlichkeit von GVO-Produkten als Grund für die Zulassungsverweigerung gelten darf. Nach den neuen Bestimmungen dürfen hingegen die EU-Mitgliedstaaten den GVO-Anbau auch aus Gründen der Stadt- und Raumordnung, der Landnutzung oder aufgrund sozioökonomischer Auswirkungen untersagen.

Die GVO-Lobbyisten haben also erreicht, daß das bisherige Nein zu gentechnisch veränderten Pflanzen im EU-Rat aufgeweicht wurde, ohne daß sich rechtlich etwas geändert hätte. Die nächste Schwelle im administrativen Ablauf ist eigentlich keine Schwelle, denn es gibt keinen geschlossenen Deich mehr, der die Flut aufhalten könnte. Länder wie Spanien, Großbritannien und die Niederlande werden (vorausgesetzt die EU hat grünes Licht gegeben) den GVO-Anbau zulassen.

Anschließend wird es richtig kompliziert. Dem üblichen Handel entsprechend wird die genveränderte Saat kreuz und quer durch Europa transportiert (was bei GVO-Futtermitteln bereits Praxis ist). Das wird einen hohen administrativen Aufwand erfordern und dürfte auch in Ländern wie Österreich, die vollkommen gentechnikfrei bleiben wollen, nicht nur zu Kontaminationen auf allen Stufen der Produktionskette, sondern wahrscheinlich auch der allgemeinen Lebensmittelherstellung führen, da oftmals die einzelnen Zutaten für ein Produkt aus einer ganzen Reihe von Ländern stammen.

Wenn sich demnach in einigen Jahren das GVO-Chaos innerhalb der Europäischen Union zur vollen Blüte entfaltet, könnte der für die EU-Administration charakteristische Wunsch nach Vereinheitlichung der Regelungen aufkommen. Mit einem GVO-Verbot wäre dann eher nicht zu rechnen. Möglicherweise werden aber vorher schon die den Gentech-Lobbyisten - vermeintlich im zähen Kampf - abgerungenen Zugeständnisse von den Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) geschliffen wie der letzte Festungswall gegen eine Technologie, die in besonderer Weise den Monokulturanbau fördert, Resistenzentwicklungen bei Schadinsekten und Beikräutern beschleunigt und mit noch völlig unausgeloteten chemischen Kontaminationen von Mensch und Natur einhergeht.

Die entscheidende Hürde gegen GVO, der EU-Rat, ist gefallen, und die Agroindustrie, die bereits in den Startlöchern steht, verfügt jetzt nicht nur über einen, sondern eine ganze Reihe von Brückenköpfen, über die in Zukunft gentechnisch veränderte Pflanzen in die EU eingebracht werden können.

Die sind derzeit noch nicht mehrheitsfähig. Das könnte sich aber ändern, wenn der globale Nahrungsmangel nicht zuletzt als Folge der Erderwärmung, des Bodenverlusts und der Wasserknappheit weiter zunimmt und die bisher zuverlässigen Importwege der EU für Nahrung und Futtermittel aufgrund des wachsenden Konkurrenzdrucks beschnitten werden.

14. Januar 2015


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