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GENTECHNIK/291: Aktivisten kündigen "Dekontamination" von Rothamsted-Weizenfeld an (SB)


Gentechnisch veränderter Weizen soll Pheromone produzieren, durch die Blattläuse vertrieben werden

Die Organisation "Take the Flour Back" kritisiert Freilandversuch



Britische Gentechnikgegner haben angekündigt, ein Versuchsfeld mit gentechnisch verändertem Weizen "zu dekontaminieren", weil er eine Gefahr für die Umwelt darstelle. Dagegen vertreten die an dem Freilandversuch beteiligten Wissenschaftler vom Forschungszentrum Rothamsted Research in Harpenden, Grafschaft Hertfordshire, den Standpunkt, daß sie Grundlagenforschung beitreiben, die unbedingt erforderlich ist, um die Produktion der Nahrungsmenge zu steigern.

Nicht nur im Vereinigten Königreich (UK) sind die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern der Grünen Gentechnik seit den neunziger Jahren verhärtet. Damals war herausgekommen, daß die USA, wo der Agrarmulti Monsanto ansässig ist, nach Abstimmung mit der britischen Regierung UK heimlich als Brückenkopf in die Europäische Union benutzen wollten, um dort gentechnisch manipulierte Pflanzen zu verbreiten. Seitdem konnte das Mißtrauen gegenüber den Biotechkonzernen und ihren Produkten nicht mehr ausgeräumt werden.

Heutige Agrounternehmen sichern sich ihre Pflanzenzüchtungen auf der Rechtsgrundlage von Sortenschutzgesetzen mittels Patenten ab und nehmen von den Landwirten Lizenzgebühren ein. Das gilt in besonderer Weise für die Grüne Gentechnik. Unternehmen wie Monsanto unterhalten ein Heer von Anwälten, welche die Landwirte wegen mutmaßlicher Patentverletzungen verklagen, und sie bezahlen Detektive dafür, die Felder zu überprüfen, auf denen möglicherweise GM-Pflanzen (GM = genetically modified - gentechnisch verändert) angebaut werden, ohne daß dafür Lizenzgebühren entrichtet wurden. Deshalb zielt eine von vielen Kritikpunkten der Gentechnikgegner auf die Wirtschaftsweise hinter der Grünen Gentechnik.

Aufgrund des hohen Konfliktpotentials ihrer Forschungen hat die Rothamsted-Forschungseinrichtung eine beispiellose PR-Offensive gestartet. Unter anderem hat der Forschungsdirektor am 3. April dieses Jahres einen offenen Brief an die Protestler geschrieben und sie zum Dialog aufgefordert. Am 3. Mai dankte er der Prostestgruppe für ihre Antwort vom Vortag und stimmte mit ihnen überein, daß ein Bedarf für einen öffentlichen Dialog bestehe. Er begrüße ihren Vorschlag zu einem Treffen auf neutralem Boden. Am 9. Mai wurde die Gruppe nochmals angeschrieben und sich höflichst erkundigt, ob die Email vom 3. Mai angekommen sei, man sähe ihrer Antwort mit Erwartung entgegen. Fast könnte man meinen, die Kritiker sollten durch solch herzlich-warme Umarmungen mundtot gebracht werden.

Worum geht es? Das älteste landwirtschaftliche Forschungsinstitut der Welt hat sich viele Jahre darauf vorbereitet, einen Weizen zu entwickeln, in den mittels gentechnischer Verfahren Pheromone eingezüchtet wurden, die Blattläuse davon abhalten, die Pflanze zu befallen. Der Weizen wurde nun im Freilandversuch ausgebracht und wächst heran. Für den 27. Mai haben Gegner des Versuchs, die ihre Organisation "Take the Flour Back" (wörtlich: Nehmt das Mehl zurück) angekündigt, ein öffentliches Picknick zu veranstalten und das Feld zu zerstören.

Der übermannshohe Metallzaun um das Gelände dürfte kein ernsthaftes Hindernis sein, und ob die Forschungseinrichtung das Feld zusätzlich durch Patrouillen auf Dauer erfolgreich bewachen kann, ist fraglich. Die Gegner des Versuchs befürchten unter anderem, daß sich der Weizen in der Umgebung ausbreitet und es zu unkontrollierten Mutationen in der Pflanzenwelt kommt.

Dem halten die Gentechforscher entgegen, daß sie die eigentlichen Umweltschützer sind, denn wenn sie Erfolg hätten, müßten weniger Insektizide gegen Blattläuse gespritzt werden. Das Konzept, die Schadinsekten mit Pheromonen zu bekämpfen, sei der Natur abgeschaut. Deshalb nennen die Forscher ihre Arbeit auch "second generation GM technology", also Gentechnologie der zweiten Generation. Mit dieser Kategorie wollen sie sich offenbar von der bisherigen Gentechnologie, bei der art- und teilweise gattungsfremde Substanzen (u.a. Fisch-Gene) in die Pflanzen eingezüchtet werden, abgrenzen.

Der gentechnisch einzüchtete Duftstoff, das Protein (E)-nesene synthase, werde natürlicherseits von Pflanzen wie der Wildkartoffel verwendet, um Blattläuse zu vertreiben, berichten die Forscher. Zugleich würden Marienkäfer und andere Insekten, die sich von Blattläusen ernähren, angelockt. Beim Versprühen von Insektiziden hingegen, wie es ansonsten im Weizenanbau üblich sei, würden nicht nur die Schädlinge getötet, sondern auch andere Insekten. Das beeinträchtige die Biodiversität. Ein weiteres gentechnisch eingebrachtes Protein, farnesyl pyrophosphate synthase, sei ebenfalls in der Natur weitverbreitet und auch Bestandteil der menschlichen Nahrung. Das Protein phosphinothricin acetyltransferase sei bakteriologischen Ursprungs. Alle drei Proteine seien ungiftig und non-allergen.

Der Versuch soll auf acht Felder zu je sechs mal sechs Metern, mit erheblichem Abstand zu anderen Feldern, durchgeführt werden. Es ist geplant, daß im nächsten Jahr der gleiche Versuchsaufbau, lediglich örtlich versetzt zum ersten, durchgeführt wird.

Die Forschung wird von der britischen Regierung über den Biotechnology and Biological Sciences Research Council (BBSRC) finanziert und dient angeblich keinem kommerziellen Unternehmen. Vielmehr zählen die Forscher ihre Versuche zu einer umfänglicheren Strategie, die Nahrungs- und Energieproduktion nachhaltig zu gestalten. Deshalb habe man sich erst dann für die Gentechnik entschieden, nachdem Versuche, den Duftstoff zu versprühen oder mit Ölen auszubringen, keinen nennenswerten Erfolg zeigten, heißt es.

Also: Keine kommerzielle Verwertung der Forschung, keine "Chemie", ein natürlicher Abwehrmechanismus durch Duftstoffe, Ertragssteigerung durch sanfte Abwehr von Schadinsekten, ökonomische Ersparnisse für die britische Landwirtschaft - haben die Befürworter des Freilandversuchs nicht alle guten Argumente auf ihrer Seite?

Nun, sie haben viele Argumente auf ihrer Seite, aber längst nicht alle. Die so sehr betonte Grundlagenforschung findet nicht losgelöst vom übrigen Wirtschaftsgeschehen statt. Im Erfolgsfall wird das Ergebnis kommerzialisiert, und zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit durch größere Agrounternehmen. Man könnte auch sagen, daß die britischen Steuerzahler eine Forschung finanzieren, die sich die Konzerne sparen können; sie würden sowieso davon profitieren.

Die Finanzierung durch die staatliche BBSRC besagt nicht einmal, daß in dem Rat die Privatwirtschaft nicht personell vertreten wäre. Die Gentechnikbranche ist bekannt für den sogenannten Drehtüreffekt, dem Wechsel von Personen aus der Wirtschaft in die Politik oder umgekehrt. Beispielsweise ist die Vorsitzende des Verwaltungsrats der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), Diána Bánáti, am 8. Mai zurückgetreten. Sie werde eine berufliche Position beim International Life Sciences Institute (ILSI) übernehmen, heißt es. Diese Woche hat das EU-Parlament der EFSA wegen mutmaßlich zu großer Wirtschaftsnähe die Haushaltsentlastung verweigert. Und es hat eine Resolution verabschiedet, in der das Europäische Patentamt (EPA) und die Europäische Kommission aufgefordert werden, das europäische Recht, das die Patentierung von Pflanzensorten und Tierarten untersagt, zu respektieren.

Die in Rothamsted betriebene Grundlagenforschung unterscheidet sich im Prinzip nicht von anderen Pflanzenzüchtungen auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik und ist somit Bestandteil der vorherrschenden konzerngetriebenen Produktionsverhältnisse. Neben den keineswegs ausgeräumten gesundheitlichen Bedenken hinsichtlich gentechnisch veränderter Produkte sowie ökologischer Vorbehalte, die mit den gesammelten Erfahrungen im Laufe der Jahre gewachsen und nicht weniger geworden sind, richtet sich eine grundlegende Kritik, die über diesen Forschungsbetrieb im Süden Englands hinausreicht, auf die Produktionsverhältnisse an sich. Um ein Beispiel zu nennen: Selbst wenn es der Einrichtung gelänge, einen Weizen zu züchten, den die Blattläuse fliehen, und die Erntemenge zu steigern, ist nicht erkennbar, wieso das den Menschen zugutekommen sollte, die unter Nahrungsmangel leiden. Die Forscher würden vermutlich den Standpunkt vertreten, daß es nicht ihre Aufgabe sein, den Hunger in der Welt zu beenden, das sei Sache der Politik. Weil sich das die meisten Forscher sagen, die "nur" ihre Arbeit machen, sind sie seit eh und je an der Durchsetzung vorherrschender Interessen beteiligt und werden es wohl immer sein.

11.‍ ‍Mai 2012