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GENTECHNIK/279: Kritische Forscher von Fachkollegen verunglimpft (SB)


"Nature"-Bericht über Hetzkampagne nach Veröffentlichung von Negativberichten zur Grünen Gentechnik


Die Grüne Gentechnik spaltet die Gesellschaft. Die Linie, an der sich die Befürworter und Kritiker meist unversöhnlich gegenüberstehen, läuft quer durch Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und andere Interessensgruppen. Bis heute kann keine Einigkeit darüber erzielt werden, ob die Produkte der modernen Hybridpflanzenforschung, bei der mit Hilfe mikrobiologischer Verfahren sogar tierische Zellen in Saatgut eingebracht werden, so sehr gesundheits- und umweltschädlich sind, daß sie vollständig verboten gehören müßten.

In der Öffentlichkeit herrscht der Eindruck vor, als verhalte sich nur eine Seite dieses Konflikts radikal, nämlich die Gegner der Grünen Gentechnik. Das ist eine Fehlannahme. Zwar werden Gentechnikgegner mitunter handgreiflich, indem sie Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen "befreien" und die Pflanzen ausreißen - mit dem Berufsimker Michael Grolm muß jetzt erstmals ein Feldbefreier ins Gefängnis -, aber was ist die Befreiung eines oder mehrerer Felder verglichen mit der kreuzzugartigen Kampagne der Biotechindustrie und einiger von der Gentechnik überzeugter Wissenschaftler gegen ihre Berufskollegen, sobald diese unliebsame, das heißt, die Grüne Gentechnik ins schlechte Licht rückende Studien veröffentlichen? Der Entschlossenheit, mit der die Feldbefreier das Problem an der Wurzel packen, stehen die wissenschaftlichen Gentech-Befürworter an Radikalität in nichts nach, indem sie Forscher verunglimpfen und deren Studien schlecht reden.

Davon wissen Emma Rosi-Marshall und ihre Kollegen ein Lied zu singen. Die Gewässerökologin von der Loyola University Chicago in Illinois hatte am 9. Oktober 2007 in dem anerkannten Wissenschaftsmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) die Ergebnisse einer zweijährigen Untersuchung von zwölf Flüssen im US-Bundesstaat Indiana, die von Feldern mit gentechnisch verändertem Mais gesäumt waren, präsentiert. In den Flüssen fand die Forscherin Blätter, Pollen, Stengel und Kolben, die das in den Gentechpflanzen eingebaute Bt-Toxin (Bt = Bacillus thuringiensis) enthielten. Das Gift wurde der Pflanze eingezüchtet, damit sie vor Schädlingen wie dem Maiszünsler geschützt ist.

In Laborversuchen wurde nun beobachtet, daß Köcherfliegenlarven (Trichoptera), die in den Flüssen leben und sich von Pflanzenresten ernähren, nur halb so schnell wachsen, wenn sie ausschließlich mit Bt-Maisresten gefüttert werden. Larven, die ausschließlich Pollen mit Bt-Toxinen in hoher Konzentration zu fressen bekamen, starben doppelt so schnell wie Larven aus einer Vergleichsgruppe, die ausschließlich Maispollen ohne Bt-Gift erhielt.

Die Forscherin behauptete, daß der transgene Mais negative Auswirkungen auf die Flußbewohner von landwirtschaftlichen Anbauregionen haben könnte. Das war vorsichtig formuliert. Wohingegen im Abstract der Studie festgestellt wurde, daß der "verbreitete Anbau von Bt-Pflanzen unerwartete Folgen auf der Ökosystem-Ebene" hat. Diese Behauptung hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, wie das Wissenschaftsmagazin "Nature" berichtete. [1] Tatsächlich war die Verallgemeinerung nicht korrekt, da es faktisch ausgeschlossen werden kann, daß sich die Larven in der Natur ausschließlich von Bt-Maispollen ernähren.

Gentech-Befürworter haben noch eine Reihe weiterer Schlußfolgerungen der Studie sowie ihren methodischen Ansatz, die ihrer Meinung nach wissenschaftlich unsauber waren, kritisiert, aber dabei einen diffamierenden Ton an den Tag gelegt und sich in einer keineswegs zurückhaltenden Weise geäußert, daß ihre Intention kaum zu übersehen war. Sie wollten eine Forschungsarbeit und damit die Autorin schlecht machen, weil sie zu unerwünschten Ergebnissen gelangt ist.

Bereits der Forschungsansatz an sich, bei dem die Auswirkungen des Bt-Gifts auf die Gewässerökologie untersucht wurde, dürfte die Gegenkräfte auf den Plan gerufen haben. Denn warum Produkte untersuchen, die - angeblich - längst als unbedenklich gelten? Nicht zuletzt sandte der Quasi-Monopolist Monsanto einen sechsseitigen Bericht an die US-Umweltschutzbehörde EPA, in dem die Studie vermeintlich verrissen wird.

Emma Rosi-Marshall und ihre Kollegin Jennifer Tank von der University of Notre Dame in Indiana erhielten allerdings auch reichlich Zuspruch, und ihrem Ruf hat die Kampagne anscheinend nicht geschadet. Rosi-Marshall wird seitdem als Co-Autorin einer weiteren Studie genannt und arbeitet inzwischen am Cary Institute of Ecosystem Studies in Millbrook, New York, auf dem Forschungsgebiet "von Menschen beeinflußte Ökosysteme".

Die französische Zulassungsbehörde bezog sich bei der Ablehnung des Monsanto-Maises MON810 am 9. Januar 2008 unter anderem auf diese Gewässerstudie aus den USA - zwei Tage darauf sprach Frankreich ein Anbauverbot für MON810 aus. Kritiker der Studie wie der Pflanzengenetiker Wayne Parrott von der University of Georgia in Athens sind jedoch davon überzeugt, daß die Arbeit einen aus ihrer Sicht noch größeren Schaden hinsichtlich der politischen Konsequenzen angerichtet hätte, wenn sie nicht interveniert hätten, berichtete "Nature".

Auch in der berühmten und ebenfalls von Fachkollegen heftig kritisierten Monarchfalter-Studie, die der Entomologe John Losey von der Cornell University in Ithaca, New York, 1999 in "Nature" veröffentlichte, wurde mit Pollen gearbeitet, die in dieser Menge in der Natur nicht vorkommen. Fast die Hälfte der Monarchfalterraupen, die mit Bt-Maispollen bestäubte Blätter fraßen, waren nach vier Tagen gestorben, wohingegen aus der Vergleichgruppe keine einzige Raupe verendet war. Kritisiert wurde daraufhin, daß sich die Ergebnisse bei anderen Maissorten nicht wiederholen lassen und daß die verwendete Pollenmenge zu groß war, als daß sich daraus Schlußfolgerungen für natürliche Verhältnisse ziehen ließen.

Auch der schottische Lektin-Experte Arpad Pusztai - eines der frühesten Opfer einer Diffamierungskampagne der Gentechlobby -, hatte für die Biotechindustrie nachteilige Forschungsergebnisse erzielt und wurde entlassen, nachdem er zu einem frühen Zeitpunkt im Fernsehen über seine erkrankten Ratten sprach, die Gentechgetreide gefressen hätten. Daraufhin hat ihn sein Arbeitgeber, das Rowett Research Institute der Universität Aberdeen, fristlos entlassen. Es heißt, daß der damalige britische Premierminister Tony Blair einen Anruf aus dem Weißen Haus in Washington erhalten und seinerseits den Direktor des Instituts angerufen hat, um Pusztai zum Schweigen zu bringen.

Pusztais Laborratten, Loseys Monarchfalterraupen und Rosi-Marshalls Köcherfliegenlarven verweisen auf die potentielle Schädlichkeit von Bt-Produkten. Damit wird zwar weder eine Gesundheitsgefahr für Menschen noch eine konkrete Umweltschädlichkeit bewiesen, dennoch besteht der Verdacht, daß es in der Natur zu Grenzfällen kommen kann, die den jeweiligen Laborbedingungen nahekommen, oder aber daß es natürliche Konstellationen gibt, in denen auch geringere Bt-Giftmengen Schäden verursachen.

Diese und weitere Studienergebnisse verweisen auf das unter anderem in der Umweltforschung bestehende prinzipielle Meß- und Nachweisproblem. Wissenschaftliche Untersuchungen zeichnen sich bekanntlich dadurch aus, daß in ihnen eine simplifizierte Vorstellung dessen, was der Mensch als Wirklichkeit erfährt, zur Grundlage der Arbeit genommen wird. Die Forscher machen Vorannahmen schließen auf dieser Basis Faktoren von vornherein als irrelevant aus. Doch ist die Geschichte der Medizin, Pharmazie, Umweltschadstoff- oder auch Klimaforschung nicht voller Beispiele für wichtige, die Gesundheit und Umwelt betreffende Erkenntnisgewinne, nachdem zuvor unbeachtet gebliebene Faktoren in eine spätere Forschungsarbeit einbezogen worden waren? Die Geschichte des zulässigen Grenzwerts für radioaktive Strahlenbelastung ist in dieser Hinsicht ein Klassiker.

Jedenfalls haben die Feldbefreier der Anti-Gentechnikbewegung ihr Pendant in den "Feldbefreiern" der Lobbyisten, die sich darum bemühen, das wissenschaftliche Forschungsfeld von Negativberichten zu befreien, was als nicht weniger wirksam angesehen werden muß.


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Anmerkungen:

[1] "GM crops: Battlefield" von Emily Waltz, online veröffentlicht am 2. September 2009
Nature 461, 27-32 (2009), doi:10.1038/461027a

4. September 2009