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ATOM/448: Rußland - Mobile Kernkraftwerke zu Wasser ... (SB)



Rußlands erstes schwimmendes Kernkraftwerk ist nach einer mehrmonatigen Seereise in Murmansk angekommen. An Bord befinden sich zwei Meiler, die zusammen 70 Megawatt elektrische Leistung liefern sollen. Das russische Staatsunternehmen Rosatom will mit solchen Anlagen abseits gelegene Hafenstädte mit Kernenergie versorgen. An Bord der "Akademik Lomonossow"-Barke wird Kernbrennstoff für eine zwölfjährige Betriebszeit sein.

Abgesehen von der großen Gefahr einer radioaktiven Kontamination der Umwelt durch das schwimmende Kernkraftwerk, dessen Meiler über keine Betonummantelung verfügen, ist auch die Arbeit an Bord potentiell gesundheitsgefährdend, vergleichbar mit dem Leben in Atom-U-Booten. Es besteht ein nicht zu unterschätzendes Risiko strahlungsbedingter Schädigungen des Bedienpersonals. Die Möglichkeiten, Radioaktivität abzuschirmen und Freisetzungen von Radionukliden zu vermeiden, sind an Bord einer schwimmenden Plattform notwendigerweise kleiner als an Land - und dort klappt das bekanntlich nicht besonders gut. Die Geschichte der kleinen und großen Atomunfälle ist lang und sicherlich noch nicht zu Ende geschrieben.

Im Jahr 2010 lief die 144 Meter lange und 30 Meter breite "Akademik Lomonossow" in St. Petersburg vom Stapel. Ihre Reise durch die Ostsee begann am 28. April dieses Jahres. Der nun erreichte Nordmeerhafen Murmansk ist eine wichtige Etappe auf dem Weg des schwimmenden Kernkraftwerks, das über keinen eigenen Antrieb verfügt und geschleppt werden muß, entlang der Nordostpassage zu seinem Zielhafen Pewek im Autonomen Kreis der Tschuktschen in Ostsibirien.

In Murmansk und Umgebung liegt der größte Teil der russischen Nordflotte, darunter auch viele atomar betriebene U-Boote. Hier soll die Plattform mit Kernbrennstoff beladen werden, erst im nächsten Jahr wird sie zu ihrem Zielort geschleppt.

Mit zweimal 35 MW Leistung könnte normalerweise eine Stadt von 100.000 Einwohnern mit Strom versorgt werden. Am Standort in Pewek mit seinen weniger als 5.000 Einwohnern geht es nicht nur um Strom für die Stadt, sondern auch um die Versorgung von Ölförderplattformen. Und sollte sich die globale Erwärmung fortsetzen und die Nord-Ost-Passage sommers regelmäßig eisfrei werden, werden sich voraussichtlich dort mehr und mehr Menschen ansiedeln. Auch für den Fall eines wachsenden Energiebedarfs ist das schwimmende Akw vorgesehen. Länder wie Malaysia, Südkorea, Mosambik, Namibia, Indien und Vietnam haben bereits Interesse am Erwerb eines schwimmenden Kernkraftwerks aus russischer Fertigung bekundet. Auch China baut an einem Akw auf dem Wasser, will dies im nächsten Jahr zum Abschluß bringen und später mit dem Modell in Serie gehen.

Ursprünglich sollten die beiden Meiler der "Akademik Lomonossow" bereits in St. Petersburg mit Brennstäben beladen und dort auf ihre Tauglichkeit hin geprüft werden. Das heißt, man wollte den Prototyp inmitten einer fünf Millionen Einwohner zählenden Stadt testen. Keine gute Idee, meinten örtliche Umweltgruppen und auch Greenpeace, und protestierten. Viele Bürgerinnen und Bürger schlossen sich dem Protest an. Schließlich wurde der Test nach Murmansk verlegt, das "nur" 300.000 Einwohner und sowieso schon ein veritables Radioaktivitätsproblem hat, weil dort Atom-U-Boote vor sich hin rosten.

Noch gravierender als diese schleichende Kontamination war ein Vorfall im Jahr 1957 in der geheimen Atomwaffenproduktionsstätte Majak im Ural. Die Folgen dieses sehr schweren Unfalls wirken bis heute nach. Eine Fläche von 20.000 km² - "die Spur" genannt -, und 270.000 Menschen wurden radioaktiv kontaminiert. Durch weitere Unfälle in Majak im Laufe der nächsten Jahrzehnte erhöhte sich die Zahl der verstrahlten Personen auf schätzungsweise eine halbe Million.

Und dann der Super-GAU: Am 26. April 1986 explodierte Block 4 des Akw Tschernobyl in der damals zur Sowjetunion gehörenden Ukraine. Diesem bislang folgenschwersten Nuklearunfall waren Experimente in dem Akw vorausgegangen ... Die Geschichte speziell der russischen bzw. sowjetischen Kernenergienutzung trägt nicht unbedingt zur Beruhigung bei, daß der Testlauf in Murmansk oder, falls nichts schiefgeht, der Betrieb der Anlage in Pewek glimpflich ablaufen wird.

Vermutlich sind viele Bewohner Peweks sowohl über die Erdölförderung vor ihrer Küste als auch über die geplante Fortsetzung der Versorgung mit Atomstrom froh. Denn bislang wird die kleine Stadt vom 250 Kilometer entfernten Akw Bilibino mit Strom beliefert, das jedoch 2021 abgeschaltet werden soll. Woher Pewek seinen Strom bezieht, sollte einmal der Prototyp eines schwimmenden Akw ausfallen, ist unklar. Durch die Akademik Lomonossow wird eine umweltschädliche Energieform, Erdöl, ausgerechnet durch eine andere, nämlich Kernenergie, gestützt.

31. August 2018


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