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ATOM/328: Akw Tricastin und sein verhängnisvoller Fehlalarm (SB)


Pannenserie im französischen Akw Tricastin setzt sich fort

Ursache für jüngsten Alarm bleibt unklar


Im französischen Atomkraftwerk Tricastin kam es zum dritten Mal innerhalb des Monats Juli zu einem Unfall, bei dem teilweise Radioaktivität in die Umwelt gelangt ist. Die in die Kritik geratene Betreiberfirma Areva versucht, den jüngsten Vorfall zu verharmlosen, indem sie erklärt, daß es sich um einen Fehlalarm gehandelt hat. Damit hat man sich jedoch selbst in den Fuß geschossen, denn in einer Nuklearanlage sollte es keine Fehlalarme geben. Sie sind ein Beweis für Unsicherheit.

Am 29. Juli 2008 um 10.40 Uhr wurde in dem Akw Tricastin bei Wartungsarbeiten Alarm ausgelöst. Rund hundert Beschäftige wurden in Sicherheit gebracht und anschließend medizinisch untersucht. Laut einer Sprecherin des Unternehmens wurde "keinerlei Kontaminierung" festgestellt. Eine Aussage, die so nicht stimmte. Bei zwei Mitarbeitern waren leicht erhöhte Strahlenwerte registriert worden, die radioaktive Verseuchung stammte jedoch von einem Unfall, der sich bereits am 23. Juli ereignete und bei dem hundert Mitarbeiter leicht verstrahlt wurden. Damals sprach der Betreiber zwar davon, daß die Grenzwerte der zulässigen radioaktiven Belastung bei weitem nicht erreicht wurden, doch muß auch diese Aussage als Verharmlosungsversuch gedeutet werden, denn die kontaminierten Personen hatten offenbar radioaktiven Staub eingeatmet, und dafür gibt es keinen unteren Grenzwert der Belastung. Jedes Partikel kann zu Schäden an einem benachbarten Zellkern führen und damit Krebs auslösen.

Zudem verstecken sich die Betreiber hinter der Angabe, daß die Betroffenen lediglich 0,5 Millisievert und damit einen Bruchteil der zulässigen Jahresdosis von 20 Millisievert abbekommen hatten. Damit soll die Bedeutung des Vorfalls verschleiert werden. Rechnet man nämlich die Jahresdosis auf die zulässige Tagesdosis um, so haben die Arbeiter bei diesem Vorfall mehr als das 10fache der Tagesdosis an radioaktiver Strahlung abbekommen. Das ist nun wirklich nicht harmlos.

Würden die Betreiber nicht die Jahresdosis als Grenzwert nehmen, sondern die Tagesdosis oder sogar die Stundendosis, was zur Bewertung des Risikos einer körperlichen Schädigung durch Radioaktivität angemessen wäre, so käme es womöglich dazu, daß Kernkraftwerke gar nicht mehr betrieben werden könnten, weil ständig Mitarbeiter aus dem Strahlenbereich entfernt werden müßten.

An dem jüngsten Zwischenfall hingegen ist entscheidend, daß, wenn in einem Kernkraftwerk Alarm ausgelöst wird, es aber keine erkennbare Ursache dafür gibt, genau das einen Sicherheitseinbruch darstellt. Denn logischerweise kann aus dem Fehlalarm hergeleitet werden, daß das System an anderer Stelle, an dem es tatsächlich zu einem radioaktiven Austritt kommt, ebenfalls zu versagen droht, indem es diesmal nichts meldet.

Somit gibt der Fehlalarm keinen Anlaß zur Beruhigung, sondern eher zur Beunruhigung. Und wenn man bedenkt, daß die Betreiber dies wissen, die Öffentlichkeit aber nicht über das Gefahrenpotential aufklären, so ist das als Zeichen der Verantwortungslosigkeit, mehr noch, der gezielten Rücksichtslosigkeit gegenüber den Menschen, mit deren körperlicher Unversehrtheit Vabanque gespielt wird, zu werten.

Wenn ein Mensch einen anderen erschießt, wird er dafür nach Recht und Gesetz bestraft und muß für lange Zeit ins Gefängnis. Wenn jedoch ein Arbeiter Tricastins oder ein Bewohner in der Umgebung der Nuklearanlage radioaktiv verstrahlt wird, Jahre später an Krebs erkrankt und stirbt, wird dafür niemand zur Rechenschaft gezogen. Die Betreiber von Nuklearanlagen können sich aus der Verantwortung stehlen, weil eine radioaktive Kontamination womöglich erst Jahre später seine schädigende Wirkung entfaltet und eine Ursachenbestimmung damit nahezu ausgeschlossen ist.

Der (angebliche) Fehlalarm von Tricastin ist kein Zeichen für die hohe Empfindlichkeit der dortigen Schutzsysteme, sondern für ihre Unzuverlässigkeit.

1. August 2008