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ATOM/321: Berlusconis Italien - Der Ausstieg aus dem Ausstieg (SB)


Neue italienische Regierung will wieder in die Kernenergiegewinnung einsteigen


Ob die neue italienische Regierung unter Silvio Berlusconi all ihre Wahlversprechen wahr machen wird, ist ungewiß, aber eines scheint sie tatsächlich erfüllen zu wollen: Noch in dieser Wahlperiode soll mit dem Bau mehrere Kernkraftwerke begonnen werden. Das bestätigte der neue Industrieminister Claudio Scajola diese Woche auf der Hauptversammlung des italienischen Unternehmer- und Arbeitgeberverbandes Confindustria. Berlusconi, das ist seit Jahren bekannt, favorisiert die Kernenergietechnologie.

Die Argumente der Akw-Befürworter, obgleich zigfach widerlegt und durch Alternativkonzepte ad absurdum geführt, wiederholen sich: "Nur Kernkraftwerke erlauben es, Energie in großen Mengen sicher, zu wettbewerbsfähigen Kosten und umweltfreundlich zu produzieren", wird Scajola, der ein enger Vertrauter Berlusconis ist, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (23.5.2008) zitiert.

Allein in dieser Aussage verbergen sich vier Irrtümer. Wenn die Uranvorräte der Erde noch viele Jahrhunderte reichten, könnte man das Argument der "Energie in großen Mengen" gelten lassen. Doch die bekannten Uranreserven, die zu einigermaßen erschwinglichen Kosten ausgeschöpft werden können, reichen beim gegenwärtigen Verbrauch noch maximal 60 bis 70 Jahre. Wobei diese Zahlen erheblich reduziert werden müssen, je mehr Länder auf die Kernenergienutzung setzen.

Sollten China, Indien, Rußland, Großbritannien, Frankreich, die USA und eine Reihe anderer Staaten ihre Pläne zum Bau neuer Kernkraftwerke in den nächsten Jahren verwirklichen, so ginge bereits im Jahr 2040 oder 2030 das Natururan aus - jedenfalls würde es anschließend nur noch unter einem riesigem Aufwand gefördert werden können. Dadurch stiegen nicht nur die Kosten beträchtlich, auch der energetische Aufwand des Uranabbau wäre immens und dürfte sogar höher liegen als der spätere energetische Nutzen. Es handelte sich also um eine Energieverbrauchs- und nicht -gewinnungstechnologie.

Eingedenk der Erfahrung, daß von Planung bis Inbetriebnahme eines Kernkraftwerks mit mindestens zehn Jahren gerechnet werden muß, dürfte Italiens Ausstieg aus dem Atomausstieg von lediglich kurzfristiger Natur sein. Menschheitsgeschichtlich dürfte die Kernenergiegewinnung ein technologisches Auslaufmodell sein.

Der zweite Irrtum betrifft das Wort "sicher". Als in den fünfziger Jahren die weltweit ersten Kernkraftwerke ans Stromnetz angeschlossen wurden, hatte es geheißen, daß die Technologie sicher sei. Der Unfall im britischen Kernkraftwerk Windscale 1957 bewies das Gegenteil. Mit jedem Jahrzehnt und jeder Modifikation der Technologie behaupteten die Betreiber und ihre Lobbyisten in den Regierungen, daß die Anlagen jetzt aber wirklich sicher seien. Three Miles Island (1979) in den USA und Tschernobyl (1986) in der Ukraine sind nur zwei herausragende Ereignisse aus der langen Liste an Unfällen in nukleartechnischen Anlagen.

Der neue Europäische Druckwasserreaktor EPR 1000 soll nun das Nonplusultra an Sicherheit darstellen - aber wurde das nicht bereits von all den Vorläufermodellen behauptet? Keine Technologie gilt als absolut sicher - das Charakteristische an der Kerntechnologie besteht allerdings darin, daß die Folgen eines Versagens um viele Größenordnungen gravierender sein können als beim Versagen anderer Energiegewinnungstechnologien, beispielsweise Solarzellen.

Italien muß 60 Milliarden Euro für Energieeinfuhren bezahlen, begründete Scajola den geplanten Wiedereinstieg in die Nukleartechnologie. Doch nicht nur die Preise für Erdöl und Erdgas sind in den letzten Jahren gestiegen, sondern auch für Uran. Der Wert unterliegt zwar noch starken Schwankungen, aber generell klettert er nach oben, zumal eine Reihe von Ländern die Kernenergienutzung forcieren wollen. Das macht den Rohstoff um so wertvoller.

Bei der Behauptung, daß die Nukleartechnologie wettbewerbsfähig sei, wird unter anderem nicht berücksichtigt, daß die Wirtschaft nicht für die Folgeschäden im Falles eines Unfalls aufkommen muß. Aus gutem Grund haben sich bislang keine Versicherungen gefunden, die einen GAU abzusichern bereit sind, denn ein einziges Ereignis dieser Art, und die Versicherung wäre pleite. Das stellt die behauptete Wirtschaftlichkeit der Kerntechnologie fundamental in Frage.

Auch sind Kernkraftwerke nicht umweltfreundlich. Noch immer versuchen Lobbyisten der Öffentlichkeit des Kaisers neue Kleider zu verkaufen, indem sie behaupten, daß aus den Kühltürmen von Atomkraftwerken nur harmloser Wasserdampf entweicht. Dabei wird der riesige Energieverbrauch der weitverzweigten nuklearen Infrastruktur, vom Uranabbau über die Anreicherung bis zur Zwischen- bzw. Endlagerung aufgebrauchter Brennelemente, wohlweislich aus der Rechnung herausgestrichen, ganz so, als käme der Strom einfach aus der Steckdose.

Zudem bestehen erhebliche Zweifel an der Harmlosigkeit des Wasserdampfes oder anderer Stoffe wie Kühlwasser, die den Kernkraftwerken entweichen. Wenn statistisch gesehen um Akw-Standorte in Deutschland oder Großbritannien herum die Krebsrate bei Kindern höher liegt als im Landesdurchschnitt, so sollte man das Wort "umweltfreundlich" nicht in den Mund nehmen, solange nicht der Verdacht, daß eben diese Kernkraftwerke Krebs in der Bevölkerung auslösen, restlos ausgeräumt wurde.

Vor rund zwanzig Jahren hat die italienische Bevölkerung unter dem Eindruck der Tschernobyl-Katastrophe per Referendum beschlossen, die vier Kernkraftwerke des Landes stillzulegen. Nun bemüht sich Scajola den Bruch Berlusconis mit dem Votum des Volkes zu verschleiern, indem er erklärt, daß die Rückkehr zur Kernenergie für den neuen Ministerpräsidenten eine "feierliche Verpflichtung" ist. Und weil der italienische Minister weiß, daß sich nach der Bekanntgabe des Wiedereinstiegs in die Nukleartechnologie sofort die Frage stellt, wohin mit dem Nuklearabfall, plädierte er für glaubwürdige Lösungen.

Meint er etwa so glaubwürdig wie der Endlagerstandort Gorleben, bei dem trotz eines Erschließungsaufwands von mehreren Milliarden Euro bis heute nicht die grundlegende Unsicherheit potentieller Wassereinbrüche aus der Welt geräumt wurde? Oder meinte er so glaubwürdig wie das in den USA im Aufbau befindliche Endlager in den Yucca Mountains, bei dem tatsächlich keine Unsicherheit hinsichtlich eines möglichen Wassereinbruchs besteht ... es gilt als nahezu sicher, daß es dazu kommt. Vielleicht will Scajola aber auch die alten Pläne aus der Schublade ziehen und in Scanzano Ionico in der süditalienischen Region Basilicata ein Endlager einrichten. Entsprechende Absichten der früheren Berlusconi-Regierung waren am heftigen Widerstand der Region gescheitert. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß der Unmut wegen solche Pläne abgeflaut ist.

23. Mai 2008