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STANDPUNKT/283: "Bedingt vorbereitet?" - 10 Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juni 2012

Standpunkt: "Bedingt vorbereitet?" - 10 Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser

von Christian Kuhlicke



Im August 2002 traf das sogenannte "Jahrhunderthochwasser" weite Teile des Elbegebietes mit bislang nicht gekannter Wucht und führte insbesondere in Sachsen zu Schäden in Milliardenhöhe. Zehn Jahre nach dieser Katastrophe stellt sich die Frage: Inwieweit ist Sachsen vorbereitet auf ein neues Extremereignis dieser Größenordnung?

Getan hat sich in den letzten Jahren tatsächlich viel: Es wurden Hochwasserkarten erstellt, die Bürger und Planer über die Hochwassergefahr informieren, und Hochwasserschutzkonzepte entwickelt, die Maßnahmen auflisten, um das Hochwasserrisiko zu mindern. Alle diese Maßnahmen wurden nach hydrologischen, wirtschaftlichen und sozialen Kriterien bewertet und mit einer Priorität versehen. Etwa 400 Millionen Euro wurden seit 2002 bereits in Maßnahmen der höchsten Prioritäten, wie etwa den Hochwasserschutz in Dresden, Eilenburg oder Grimma investiert; bis 2020 sollen es insgesamt eine Milliarde Euro sein. Darüber hinaus wurde mit dem Landeshochwasserzentrum eine Einrichtung geschaffen, die alle relevanten Informationen bündelt und Hochwasserwarnungen schnell an die Bürger und den Katastrophenschutz weitergibt.

Nimmt man die EU-Richtlinie von 2007 "über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken" zum Maßstab, so lässt sich insgesamt eine nahezu vorbildliche Umsetzung des Hochwasserrisiko-Managementkonzepts konstatieren. Ohne diese Anstrengungen hätte vermutlich auch das Hochwasser von 2010 an der Neiße zu höheren Schäden geführt.

Heißt das nun, Sachsen ist gut vorbereitet auf ein neues Extremhochwasser? Sicherlich sind wir besser gewappnet, nicht zuletzt wegen neuer gesetzlicher Regelungen auf Bundes- und Landesebene, die die Bauvorhaben in gefährdeten Flussauen deutlich erschweren und darauf zielen, den Flüssen wieder mehr Raum zu geben. Allerdings führt die Umsetzung des Risiko-Managementkonzepts zu einigen neuen Problemen, die aus unserer Sicht bislang in der Diskussion nicht ausreichend thematisiert wurden.

Erstens kommt es zu einer zunehmenden Verschiebung der Verantwortung, denn der Gesetzgeber setzt vermehrt auf die Eigenverantwortung der Bürger. Wurden 2002 vom Hochwasser Betroffene noch entschädigt, so verweist die Landesregierung nun auf die Eigenverantwortung der Bürger und fordert diese zur privaten Vorsorge auf. Staatliche Hilfen für Betroffene gibt es nur noch in Ausnahmefällen. Es obliegt also dem Einzelnen, darüber zu entscheiden, mit welchem Aufwand er Hochwasserschutz betreibt: Reicht die Anschaffung einiger Sandsäcke oder sollte das gesamte Haus, gleichsam als private Trutzburg, hochwassersicher gemacht werden? Der Bürger wird so zum Manager seines eigenen Risikos. Allerdings geht diese Zuschreibung von Verantwortung einseitig vom Gesetzgeber aus und schafft neue Ungleichheiten. Denn die Investitionsbereitschaft hängt nicht allein von der Wahrnehmung des Risikos ab, sondern vor allem von den vorhandenen Ressourcen eines privaten Haushalts.

Das führt zu einem zweiten kritischen Punkt. Der traditionelle Hochwasserschutz sah einen zwar technischen, aber immerhin gleichwertigen Schutz für die Bewohner von Flussauen vor. Vor dem Hintergrund eines risikobasierten Managementansatzes ist dies nur noch eingeschränkt gegeben. So werden öffentliche Investitionen u.a. hinsichtlich ihrer Effizienz zeitlich priorisiert. Dort wo weniger Vermögenswerte durch eine Investition in eine Maßnahme geschützt werden, das Kosten/Nutzen-Verhältnis also schlecht ist, wird möglicherweise erst in vielen Jahren ein Deich gebaut. Eine Ansammlung von 200 Häusern ist somit schützenswerter als die von nur zwei Gebäuden. Dies mag aus Effizenzgründen nachvollziehbar und gerechtfertigt sein, nur ist es auch gerecht? Während einigen Siedlungen der durch die Allgemeinheit finanzierte Schutz gewährt wird, bleiben andere (vorerst) ungeschützt, und deren Bewohner müssen im Schadensfall die Kosten selbst tragen. Wir meinen deshalb: Es ist notwendig, ein rechtliches oder politisches Instrument zu entwickeln, das die beschriebenen neu entstandenen Ungleichheiten ausgleichen bzw. mindern kann.

Dieser Gedanke führt zu einem dritten Punkt, der aus unserer Sicht kritisch zu hinterfragen ist und sich auf den Schutz vor Hochwassern generell bezieht. Man scheint sich zunehmend sicherer zu fühlen hinter den verstärkten Deichen und Rückhaltebecken und glaubt, die Natur sei damit unter Kontrolle. Unterstützt durch die Kommunikationsstrategie mancher Kommunen und einiger Medien begibt man sich damit ohne es zu wollen in eine Situation, die 2002 zur Katastrophe geführt hat. Eines sollten wir alle deshalb immer im Hinterkopf behalten: Deiche, egal wie viele wir bauen und wie hoch sie sind, können immer nur bis zu einem gewissen Grad Schutz bieten. Suggerieren wir also gar nicht erst, dass sie absolute Sicherheit garantieren würden.

Dr. Christian Kuhlicke, Wissenschaftler im Department Stadt- und Umweltsoziologie, forscht seit mehr als zehn Jahren gemeinsam mit Dr. Volker Meyer aus dem Department Ökonomie zum Thema Naturgefahren. Schwerpunkt ist dabei die Bewertung von ökonomischen und sozialen Verwundbarkeiten und Risiken. Aktuelle Forschungsprojekte befassen sich u.a. mit Fragen partizipativer Risikokartierung, mit den Kosten von Naturkatastrophen und der Resilienz von Städten gegenüber Extremereignissen. e-mail: christian.kuhlicke[at]ufz.de

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Quelle:
UFZ-Newsletter Juni 2012, Seite 5
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2012