Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → MEINUNGEN

STANDPUNKT/011: Studien zum nationalen Energiekonzept beantworten falsche Fragen (NaturFreunde)


NaturFreunde Deutschlands - 27. August 2010

Pressemitteilung des Bundesvorsitzenden der NaturFreunde Deutschlands Michael Müller vom 27. August 2010:

Die Trickserei der schwarz-gelben Bundesregierung
Studien zum nationalen Energiekonzept beantworten falsche Fragen


Berlin, 27. August 2010 - Die Energieszenarien als Basis für das angekündigte nationale Energiekonzept von Schwarz-Gelb werden heute von einer Bietergemeinschaft aus PROGNOS, Energiewirtschaftlichem Institut an der Universität zu Köln (EWI) und Gesellschaft für Strukturforschung (GWS) der Bundesregierung übergeben. Diese Institute haben die volkswirtschaftlichen Effekte einer Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken (AKW) um vier, zwölf, 20 und 28 Jahren berechnet. Doch ging es dabei nicht etwa um den Umstieg in eine solare Zukunft, erklärt der Bundesvorsitzende der NaturFreunde Deutschlands Michael Müller und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium a. D. Stattdessen sollten allein die Vorteile eine Laufzeitverlängerung aufgezeigt werden. Diese Energieszenarien seien ein schwerer Rückschlag für die ökologische Modernisierung unseres Landes, so Müller, der auch im Präsidium des Deutschen Naturschutzrings vertreten ist.

Was eigentlich getan werden müsste, um zu einer sicheren, umweltverträglichen und preisgünstigen Energieversorgung zu kommen, ist spätestens seit den energiepolitischen Debatten Ende der siebziger Jahre klar: eine konsequente Weichenstellung hin zu Energiedienstleistungen und erneuerbaren Energien und weg von der monopolartigen Verbundwirtschaft. Dabei ist der Umstieg in eine hocheffiziente Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien keine technische, sondern eine politische Frage. Die Umsetzung erfordert den Bruch mit der Verbundwirtschaft und die Beendigung der fossilen und nuklearen Stromerzeugung. Das heißt auch: Die Politik darf die Machtauseinandersetzung mit den großen Energiekonzernen nicht scheuen.

Die Bundesregierung trickst aber. Denn sie behauptet, die Atomenergie sei die Brückentechnologie in ein solares Zeitalter. Zwar ist das eine unsinnige These: Zahlreiche Studien belegen, dass die tatsächliche Brücke in das Solarzeitalter die umfassende Nutzung der Effizienztechnologien ist, die den Energieumsatz um bis zu 42 Prozent reduzieren könnte. Doch die Bundesregierung hielt sich bei der Studienvergabe nicht einmal an ihre eigene Vorgabe. Sie stellte nämlich nicht etwa die Frage, wie schnell und unter welchen Bedingungen eine Versorgung mit erneuerbaren Energien erreicht werden könnte. Vielmehr gab sie eine Verlängerung von AKW-Laufzeiten vor.

Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel nimmt also ihre eigene Begründung nicht ernst, sondern macht Vorgaben, die den Weiterbetrieb der abgeschriebenen Atomkraftwerke als besonders vorteilhaft herausstellen. Sie unterstützt damit die Konzerne, die über nukleare und fossile Großkraftwerke verfügen - zulasten der Stadtwerke und zulasten der erneuerbaren Energien und damit zulasten von Innovationen und Klimaschutz. Damit wird allein das eigene wirtschaftliche und ideologische Klientel befriedigt. Denn mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun und schon gar nichts mit Zukunftsverantwortung und der Nutzung der Innovationschancen. Das ist ein schwerer Rückschlag für die ökologische Modernisierung unseres Landes.

Man muss unrealistische Vorgaben nehmen, um Vorteile zu errechnen. Denn verschiedene Studien haben gezeigt, dass es beispielsweise keinen empirischen Zusammenhang zwischen Strompreisen und Atomkraftwerken gibt. Im Gegenteil: In den Atomländern Bayern und Baden-Württemberg liegt der Strompreis über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Deshalb auch wurden die Studien vergeben an das besonders konservative Energiewirtschaftliche Institut (EWI). Das EWI hatte sich in der Vergangenheit einerseits als atomfreundlich und andererseits als besonders kritisch gegenüber erneuerbaren Energien gezeigt. Nicht von ungefähr ist das EWI auch das "Lieblingsinstitut" der großen Energiekonzerne.

So wurde das Ergebnis schon vorher politisch vorgegeben: Eine Verlängerung der Laufzeiten von AKWs auf 60 Jahre ließe die Strompreise im Jahr 2030 um knapp 20 Prozent niedriger ausfallen, was wiederum zur Sicherung von 100.000 bis 200.000 Arbeitsplätzen führe - unter Status-quo-Bedingungen. Dabei fallen schon bei einer Verlängerung um 20 Jahre die "finanziellen Vorteile" deutlich geringer aus, bei den ersten beiden Fristen sind sie erst gar nicht gegeben. Für diese scheinbaren Vorteile werden aber auch die Risiken verlängert, die Monopolstruktur festgeschrieben und die Innovationschancen blockiert.

Was schert es schon die Auftraggeber, dass die bisher abgeschalteten AKWs im Schnitt noch nicht einmal eine Laufzeit von 30 Jahren erreicht hatten. Was schert es sie, dass es gar keine Erfahrungen gibt, ob Atomkraftwerke überhaupt 60 Jahre laufen können, was ein AKW-Alter von rund 65 Jahren bedeuten würde. Dieses Alter hat noch nicht einmal die gesamte Geschichte der nuklearen Stromerzeugung erreicht.

Das EWI rechnet die Studien, die schwarz-gelbe Bundesregierung und die Atomkraft schön, denn:

Trotz der zum Teil massiven Preissprünge der letzten Jahre kalkuliert das EWI nur mit moderaten Energiepreissteigerungen bei Gas, Kohle und Öl.
Die Atomenergie wird nur im Status quo gerechnet, eine Verlängerung der Laufzeiten stellt aber auch die Frage nach einer höheren Sicherheit. Schließlich haben viele Kraftwerke einen erheblichen Nachrüstungsbedarf. In die Szenarien wurden aber nur Nachrüstungen gerechnet, die nicht die grundlegenden Schwächen vieler Kraftwerke (Containment, Kühlsysteme, Stahllegierungen) berücksichtigen.
Die erneuerbaren Energien werden auch teurer angesetzt, was das EWI schon häufig machte. Im Gegensatz dazu kommen Untersuchungen von Fraunhofer-Gesellschaft und DLR zu dem Ergebnis, dass sich schon in kurzer Zeit die Kostenrelationen umdrehen, weil die erneuerbaren Technologien preiswerter, die konventionellen Energien deutlich teurer werden.
Das EWI plädiert für eine Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und seinen Ersatz durch ein Quotensystem. Offenkundig ist es der Bundesregierung so wichtig, die Laufzeitverlängerung als ökonomisch günstig darzustellen, dass sie mit dem EWI sogar einen Akteur beauftragt hat, der sich gegen das Hauptziel der Bundesregierung - Ausbau der erneuerbaren Energien durch das EEG - stellt.
Die Arbeitsplatz- und Innovationseffekte eines Ausbaus der erneuerbaren Energien werden in den Energieszenarien viel zu niedrig angesetzt.
Zugleich übernimmt das EWI unbewertet eine Prognos-Studie, die die sogenannte CCS-Technik ungeachtet aller Erkenntnisse günstig rechnet, was unter Experten nur ein allgemeines Kopfschütteln ausgelöst hatte.

Bei all diesen Annahmen schneidet eine besonders lange Laufzeitverlängerung natürlich gut ab. Zumal den erarbeiteten Energieszenarien eine aktive Energiepolitik unterstellt wird und man sich in der Bewertung auch auf ein Referenzszenario bezieht, das weit hinter dem zurückbleibt, was eine engagierte Energiepolitik tun könnte: zum Beispiel durch den verstärkten Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung. Allein deren Potenzial zur Energie- und CO2-Einsparung wäre schon viel höher als die vermeintlichen Vorteile der Atomkraft. Insofern gibt es nachweislich keinen positiven Effekt für den Klimaschutz, zumal die Rahmenbedingungen der erarbeiteten Energieszenarien durch eine fragwürdige Berechnung des Zertifikatspreises beim Emissionshandel und der spekulativen Preisfestsetzung über die Strombörse ungünstig für mehr Klimaschutz sind.

All diese Anstrengungen verfolgen allein den durchsichtigen Zweck, die Laufzeitverlängerung der Atomkraft als wirtschaftlich vorteilhaft hinzustellen. Die sogenannte Brückentechnologie ist reines Geschwätz. Vielmehr wird gerade durch die Fixierung auf die Atomenergie die Marktmacht der vier großen Atomkonzerne verfestigt. Deshalb auch werden sich die beiden Akteure Bundesregierung und Atomwirtschaft verständigen: Die Bundesregierung ist interessiert an zusätzlichen Einnahmen und die AKW-Betreiber an der Weiternutzung der bereits abgeschriebenen Atomkraftwerke. Nur mit einer verantwortungsvollen Energiepolitik hat das alles leider nichts zu tun.

Öffentlich hatte die Bundesregierung verkündet, dass sie den Umbau in eine Zukunft der erneuerbaren Energien will. Doch sie macht das Gegenteil. Bundesumweltminister Röttgen, der von seiner Verantwortung für eine zukunftsfähige Wirtschaft spricht, hat bisher nur eine Initiative gezeigt, nämlich die Absenkung der Zuschüsse für die Solarindustrie. Dabei wurde er allerdings im Bundesrat von allen 16 Bundesländern gestoppt. Norbert Röttgen war es auch, der zugelassen hatte, dass das EWI die Studien für das nationale Energiekonzept erarbeitet. Obwohl sein Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) seit Jahren bewährte und anerkannte Leitszenarien von der DLR erarbeiten lässt. Damit hat sich Herr Röttgen auch gegen sein eigenes Ministerium gestellt.

Norbert Röttgen wird seiner Rolle als Umweltminister auch deshalb nicht gerecht, weil er nicht für eine Verkürzung, zumindest Beibehaltung der Laufzeiten der AKWs kämpft, sondern eine Verlängerung um acht Jahre schon als Erfolg bezeichnet. Dabei ist das nichts anderes als die Wiederherstellung des Zustands unter den Umweltministern Klaus Töpfer und Angela Merkel, die sich beide nicht für engagierte Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien eingesetzt haben.

Die Antwort, warum das alles so ist, liegt auf der Hand: In der schwarz-gelben Bundesregierung gibt es keine wirksame Unterstützung für ökologische Ziele. Die Umweltpolitiker von CDU/CSU und FDP kommen aus der zweiten oder dritten Reihe und haben keinen großen Einfluss auf die Politik der Bundesregierung. Die ökologische Modernisierung ist in dieser Regierung tatsächlich nur ein Randthema. Doch der Umweltminister tut so, als sei es anders. Der Anschein soll wieder einmal schwarz-gelbe Politik ersetzen.


*


Quelle:
Presseinformation vom 27.08.2010
Herausgeber: NaturFreunde Deutschlands
Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport und Kultur
Bundesgeschäftsstelle
Warschauer Str. 58a, 10243 Berlin
Tel.: 030/29 77 32 65, Fax: 030/29 77 32 80
E-Mail: presse@naturfreunde.de
Internet: www.naturfreunde.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2010