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LAIRE/330: VW-Dieselbetrug - Förderung wider besseren Wissens ... (SB)



"Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden."
(Bundesgerichtshof, 25. Mai 2020) [1]

Nun ist es amtlich: Auch die VW-Manager müssen davon gewußt haben, daß Dieselfahrzeuge mit einer betrügerischen Software ausgestattet wurden, um das Kraftfahrtbundesamt (KBA) arglistig zu täuschen. Real lagen die Abgaswerte um bis zu dem 40fachen über dem zulässigen Grenzwert. In einer Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 25. Mai 2020 zur "Schadensersatzklage im sogenannten 'Dieselfall' gegen die VW AG" wird der Beklagten sogar ein "einer arglistigen Täuschung gleichstehendes sittenwidriges Verhalten" angelastet.

Weil hierdurch Menschen geschädigt wurden, wäre nicht damit eigentlich der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt? Ungeachtet solcher Fragen erwägt die Bundesregierung, den Umsatz der zumindest teilweise von Betrügern geführten Autobranche durch die Vergabe von Kaufprämien in Höhe von mehreren tausend Euro pro Auto zu steigern. Sittenwidriges Verhalten wird subventioniert - welch eine Botschaft an die Bevölkerung!

Dieselautos produzieren unter anderem Stickstoffdioxide. Die werden eingeatmet und gelangen tief in die Lungen, wo sie die Wirkung als Reizgas entfalten, Entzündungsprozesse auslösen oder fördern können. Aktuellen Untersuchungen zufolge verstärken sie womöglich den Verlauf einer durch Sars-CoV-2 ausgelösten Covid-19-Erkrankung. Als gesichert gilt jedenfalls, daß Stickstoffdioxide in Verbindung mit Feinstaub zu größeren Gesundheitsproblemen führen.

Da nun VW über Jahre hinweg mehrere Millionen Dieselautos auf den Markt geworfen hat, die dank Abschaltvorrichtungen im Fahrbetrieb deutlich mehr Stickstoffdioxide abgegeben haben als auf dem Prüfstand, kann man davon ausgehen, daß der Konzern Mitverantwortung für die ökonomische und gesundheitliche Schädigung sowie das Ableben von Menschen trägt, auch wenn es sich um eine statistische Menge an Opfern handelt, von denen keines namentlich genannt werden kann.

Grenzwerte werden vom Gesetzgeber nicht wahllos festgelegt, sondern sie stellen einen Kompromiß dar zwischen dem absoluten Schutz der Bevölkerung (null Toleranz) und dem politischen Anliegen, wie in diesem Fall Dieselautos zuzulassen, auch wenn das statistisch mit Opfern erkauft wird. VW hat mit dem teilweise krassen Überschreiten der Grenzwerte zweifellos einige Menschen mehr über die Klinge springen lassen.

Eigentlich sollte man von der deutschen Regierung erwarten, daß sie die Zusammenarbeit mit Managern, die sittenwidriges Verhalten an den Tag legen, aufkündigt und deren Geschäftsmodell einer kritischen Prüfung unterzieht. Das scheint nicht der Fall zu sein, obwohl gute Gründe dafür sprechen, die starke Ausrichtung der deutschen Wirtschaft auf das Auto auslaufen zu lassen. Denn Autos produzieren Feinstäube und Abgase, tragen zur globalen Erwärmung bei, verbrauchen Rohstoffe, benötigen viel Abstellfläche und breite Fahrbahnen. Vieles davon gilt auch für Autos, die elektrisch betrieben werden, wobei dann der elektrische Strom auch nicht einfach so aus der Steckdose kommt, sondern andernorts unter Einsatz von fossilen Energieträgern, Kernenergie und regenerativen Energien, für die Rohstoffe wie seltene Erden benötigt werden, produziert wird.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CDU) und sein baden-württembergischer Amtskollege Winfried Kretschmann (Die Grünen) sprechen sich für Kaufprämien für Autos aus. Von bis zu 10.000 Euro ist die Rede. Dabei sollen auch hochpreisige Autos subventioniert werden, obschon sie mit beispielsweise 140 Gramm Kohlenstoffdioxid pro Kilometer so ungünstige Abgaswerte haben, daß sie den EU-Grenzwert von 95 Gramm nicht erfüllen, wie der "Spiegel" berichtete. [2]

Nur dank der umstrittenen EU-Regelung, daß die Grenzwertberechnung für die gesamte Fahrzeugflotte eines Unternehmens gilt, können die Autohersteller ihre Edelkarossen beispielsweise durch Elektroautos ausgleichen, die ungeachtet des großen Rohstoffeinsatzes für ihre Produktion mit null Emissionen berechnet werden.

Am 2. Juni wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum nächsten Autogipfel rufen. Daran nehmen auch Vorstandsvorsitzende aus der Autoindustrie teil, unter anderem von VW. Das hat Geschmäckle. Warum werden Vertreter eines so anrüchigen Konzerns überhaupt um ihre Meinung gefragt, was mit milliardenschweren Steuergeldern geschehen soll? Hat der VW-Konzern seine Unternehmenskultur seit Aufdecken der gleichsam arglistigen Abgasmanipulation im September 2015 in den USA fundamental geändert? Wann innerhalb der letzten fünf Jahre soll der Bruch mit der Vergangenheit erfolgt sein?

In dieser Zeit hat der VW-Konzern vielmehr den Eindruck erweckt, stets nur so viel zuzugeben, wie ihm nachgewiesen werden konnte, und an der lückenlosen Aufklärung der "Dieselaffäre" durch eine unabhängige Institution nicht interessiert zu sein. Dazu paßt auch der Vergleich, den vor rund zwei Wochen der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, gegen die von der Braunschweiger Staatsanwaltschaft wegen möglicher Marktmanipulation im Zusammenhang mit der Dieselaffäre ermittelt worden war, geschlossen haben. Ohne Schuldeingeständnis zahlt VW jeweils 4,5 Millionen Euro, und die beiden Manager müssen nicht auf die Anklagebank. Den größten Gewinn dürfte VW daraus gezogen haben, daß nicht das gesamte Ausmaß des Abgasbetrugs während eines Verfahrens an die Öffentlichkeit gezerrt und von den Medien breit ausgewalzt wird.

Zum Hintergrund: Bereits am 27. Juli 2015 hatten VW-Vorstandsmitglieder im Rahmen eines "Schadenstischs" über die Abgasmanipulation geredet. Erst 19 Tage zuvor war Herbert Diess von BMW in den VW-Vorstand gewechselt. Damit dürfte ihm kaum Verantwortung für die Abgasmanipulation anzulasten sein. Es wäre allerdings interessant gewesen zu erfahren, was der "Neuling" rund zwei Monate, bevor die Täuschung öffentlich bekannt wurde, zu der besagten Causa erfahren hat und ob davon nicht auch das Aktienrecht berührt war.

Mit dem Autogipfel unterstützt die Regierung eine Branche, deren gesellschaftlichen Schadensfolgen nicht in ihre Produkte eingepreist werden. Würden sie es, verlören Autos an Attraktivität und Autohersteller ihre Profite.


Fußnoten:

[1] https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/2020063.html

[2] https://www.spiegel.de/politik/corona-hilfen-und-klimaschutz-staatliche-kaufpraemie-fuer-die-e-klasse-a-00000000-0002-0001-0000-000171037293-amp

28. Mai 2020


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