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LAIRE/223: Supercredits - die Luftnummer der Autolobby (SB)


Läßt sich der Klimawandel mit Rechentricks aufhalten?

Merkel will deutsche Autoindustrie vor unbequemen Umweltauflagen schützen



Umweltschützer üben scharfe Kritik an jüngsten Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zugesagt hat, bei den EU-Verhandlungen über strengere CO2-Grenzwerte für Fahrzeuge die deutsche Industrie unterstützen zu wollen. Autobauer wie Audi, BMW und Daimler haben jedoch den Schwerpunkt ihrer Fahrzeugflotte im oberen Preissegment, und Luxuskarossen weisen deutlich höhere CO2-Abgaswerte auf.

Anlaß für die Erklärung der Kanzlerin war eine Konferenz zur Elektromobilität am 27./28. Mai in Berlin. Die Regierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen. Bisher kommt sie damit nicht gut voran, vor allem da die Fahrzeuge verhältnismäßig teuer sind, eine kurze Reichweite haben und es nur eine sehr beschränkte Anzahl von Ladestationen gibt.

Die deutschen Autohersteller befürchten, daß die EU beim Klimaschutz Druck macht und strengere CO2-Grenzwerte festlegt, so daß Fahrzeuge der Premiumklasse erheblich teurer werden. Nun wollen sie sich anscheinend mit Rechentricks aus der Affäre ziehen und schlagen eine Neuauflage des Konzepts der sogenannten Supercredits vor. Die sollen für (vermeintlich) CO2-abgasfreie Elektroautos und abgasarme Hybridfahrzeuge gelten und die mehrfache Anrechnung dieser Autos ermöglichen. Weil die EU nicht den einzelnen Fahrzeugtyp, sondern die gesamte von einem Hersteller angebotene Fahrzeugflotte als Berechnungsgrundlage für Emissionsgrenzwerte anerkannt hat (was bereits auf einen früheren Erfolg der Autolobby zurückgeht), würden die "Supercredit-Fahrzeuge" die deutschen Autohersteller von allzu strengen Maßnahmen der CO2-Reduzierung befreien.

Sollte die Politik auch noch den Vorschlag von VDA-Präsident Matthias Wissmann aufgreifen und ein "Banking" der Supercredits erlauben, die angespart und später eingelöst werden könnten, so besäße die Industrie, respektive der Hersteller von Luxuskarossen, noch mehr Handlungsspielraum, um die CO2-Emissionen seiner Fahrzeugflotte nicht oder erst zu einem um mehrere Jahre nach hinten verschobenen Zeitpunkt zu verringern.

Das Supercredit-Konzept weist frappante Ähnlichkeiten mit dem Clean Development Mechanism (CDM) des bislang einzigen internationalen Klimaschutzabkommens auf, dem Kyoto-Protokoll. Auch das ermöglicht es, mit Hilfe von Rechentricks eigene CO2-Reduzierungen zu vermeiden. Wie die Erdatmosphäre heute aussähe, wenn das 1997 beschlossene Kyoto-Protokoll, nicht zuletzt aufgrund der CDM, kein zahnloser Tiger geworden wäre, muß der Spekulation überlassen bleiben. Doch sind sich selbst Befürworter dieses Abkommens darin einig, daß es real zu keinen nennenswerten CO2-Reduzierungen beigetragen hat.

Der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre nimmt unermüdlich zu. Vor kurzem wurde die symbolträchtige Schwelle von 400 ppm (parts per million - Teile pro Million) Kohlenstoffdioxid überschritten. Daran hat der Fahrzeugverkehr einen erheblichen Anteil. Von den Folgen der durch die CO2-Emissionen ausgelösten Erderwärmung sind vor allem die Menschen in den ärmeren Ländern betroffen, da sie am wenigsten Handlungsspielraum besitzen, um der katastrophalen klimatischen Entwicklung und der wachsenden Zahl von Extremwetterereignissen zu begegnen.

Die Rechentricks der Autolobbyisten gehen sogar weit über die Supercredits hinaus: Elektroautos sind genausowenig CO2-emissionsfrei wie Atomkraftwerke. In beiden Fällen wäre eigentlich die gesamte Produktionskette zu berücksichtigen, bei der selbstverständlich größere Mengen CO2 erzeugt werden. Darüber hinaus sind Elektroautos schwerer als Benziner und damit von vornherein energetisch ungünstiger. Das geht vor allem auf die schweren Batterien zurück, die ständig mitgeführt werden müssen. Die entleeren sich um so schneller, je mehr Masse mit ihrer Hilfe bewegt werden muß. Der dafür benötigte Strom kommt zwar aus der Steckdose, aber die ist mit einem Kraftwerk verbunden, das beispielsweise mit Hilfe von fossilen Energieträgern wie Steinkohle, Braunkohle oder Erdgas elektrischen Strom erzeugt und folglich CO2-Emissionen produziert.

Die autofreundliche Politik der Bundesregierung und auch der Europäischen Union allein unter dem Gesichtspunkt der CO2-Emissionen des Individualverkehrs zu beurteilen, greift zu kurz. Es gäbe eine hochwirksame Methode, um die CO2-Emissionen zu senken, aber die setzte eine andere Interessenlage der politischen Entscheidungsträger voraus: Umfassender Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und kostenfreie Beförderung. Das würde die Autos von der Straße holen. Gleichzeitig wäre es eine nachhaltige Klimaschutzmaßnahme und keine Luftnummer, wie sie mit Supercredits und anderen Rechenkonstruktionen präsentiert wird.

29. Mai 2013