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LAIRE/210: Klimaschutz von unten (SB)


Emissionen von Treibhausgasen auf Rekordniveau

Klimaschutz gehört nicht in die Hände des Establishments



Die Fahrbereitschaft der Bundestagsabgeordneten darf künftig wieder Autos fahren, die schlechtere Abgaswerte aufweisen als bisher. Weil, so die zirkelschlüssige Begründung von Bundestagspräsident Norbert Lammert in einem Schreiben an die Volksvertreter, es kaum Limousinen gibt, die die Grenzwerte einhalten. Laut der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" [1] dürfen die Limousinen vom nächsten Jahr an 140 statt 120 Gramm Kohlendioxid pro Fahrkilometer ausstoßen.

Lammerts Begründung ist bemerkenswert, hat sich doch die Bundesregierung stets darum bemüht, daß in der Europäischen Union keine Grenzwerte vereinbart werden, die der deutschen Autoindustrie mit ihren hubraumstarken Autos als Schwerpunktsegment zum Nachteil gereichen könnten. Wenn es nun kaum Limousinen gibt, die die strengeren Abgaswerte einhalten, dann hat das nicht zuletzt mit der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu tun.

Die Summe vieler solcher Einzelentscheidungen seitens der Regierungen, deren Mitglieder vermutlich zeit ihres Lebens nicht unter den Folgen des durch eben solche Treibhausgase forcierten Klimawandels leiden werden, präsentierte am Dienstag die Weltorganisation für Meteorologe (WMO) mit Sitz in Genf: Demnach hat die Menge an Treibhausgasen in der Erdatmosphäre im vergangenen Jahr Rekordniveau erreicht [2]. Die drei wichtigsten Gase, die zur Erderwärmung beitragen, Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) sowie weitere klimarelevante Spurengase, haben als Folge menschlicher Aktivitäten den Treibhauseffekt seit 1990 um 30 Prozent verstärkt.

Wenn dem Trend kein Einhalt geboten wird, werden extreme Wetterereignisse an Intensität und Häufigkeit zunehmen, wird es vermehrt zu Überschwemmungen und Dürren kommen. Der Meeresspiegel wird steigen, Küsten werden überflutet und die Ozeane versauern, um nur einige, schon allzu häufig in den Medien genannte bedrohliche Vorgänge in der sogenannten Natur aufzuführen.

'There Is No Alternative' (TINA) konstatierte einst die britische Premierministerin Margaret Thatcher und gab dem neoliberalen Lauf die Sporen. Diese zum geflügelten Wort geronnene Behauptung wird immer nur auf die Wirtschaft angewandt, nicht aber auf die Verringerung der Erderwärmung, obgleich das Bonmots hier, im Unterschied zu Thatchers Verknüpfung mit einer sozialfeindlichen wirtschaftlichen Verwertungsform, passen würde: Es gibt keine zweite Erde, jedenfalls nicht in Reichweite. Selbst die führenden gesellschaftlichen Kräfte könnten sich nicht zu einem anderen Planeten retten, wenn die Erde mehr und mehr lebensunwirtlich wird.

Allerdings haben sie das womöglich auch gar nicht nötig, denn es wird auch auf der Erde noch Nischen geben, in die sich das Establishment zurückziehen kann, wenn andernorts die Dämme brechen, die Brunnen versiegen oder das Getreide verdorrt. Darum läuft jeder, der die Umweltfrage nicht der sozialen Frage nachordnet, in Gefahr, das Spiel der herrschenden Kräfte zu spielen. Für die ist Klimaschutz ein Thema, mit dem sie nächste Wahl gewinnen (Politiker), ein neues Produkt auf dem Markt platzieren (Unternehmer) oder den Raubbau an der Natur geißeln (Professioneller Umweltschützer) können.

Aber in der Regel ist es für sie kein Lebensanliegen wie offenbar für den jungen Mann, der an der Besetzung des Hambacher Forsts beteiligt war und seine Räumung tagelang hinauszögern konnte, indem er rund sechs Meter unter der Erde ausgeharrt hat. Der Hambacher Forst, ein uralter Mischwald, steht im Kölner Becken und soll gerodet werden, weil der Energiekonzern RWE die Braunkohle in etwa 400 Metern Tiefe abbauen will. Braunkohle ist aber mithin einer der emissionsstärksten Energieträger und soll in dem ach so umweltfreundlichen Deutschland nach Ansicht der Regierung noch viele Jahrzehnte lang verfeuert werden. Dabei wird es von den Ingenieuren als technologischer Erfolg gefeiert, wenn sie den Wirkungsgrad von Braunkohlekraftwerken auf 43 Prozent oder knapp darüber emporschrauben können, was bedeutet, daß rechnerisch mehr als die Hälfte des Energieträgers lediglich verbrannt wird, damit der übrige Rest energetisch genutzt werden kann.

Selbst die Weltbank verbreitet inzwischen Zahlen, wonach bei anhaltend hohem Trend der anthropogenen Treibhausgasemissionen die globale Durchschnittstemperatur gegen Ende des Jahrhundert um vier Grad Celsius über dem Wert des vorindustriellen Zeitalters liegen wird [3]. Wissenschaftler sind sich sicher, daß die ärmsten der Armen der Menschheit am stärksten unter den katastrophalen Folgen dieser Entwicklung leiden werden. Aus diesem Grund ist es nur ein logischer Schritt, der sozialen Frage, zu der auch das Nord-Süd-Gefälle gehört, Priorität einzuräumen, denn es wird wie in der Vergangenheit ein bloßes Versprechen bleiben, daß das Klimaproblem von Seiten berufsständisch Betroffener gelöst werden könnte.


Fußnoten:

[1] http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Bundestag-missachtet-CO-2-Grenzwerte-fuer-seinen-Fuhrpark

[2] http://www.wmo.int/pages/mediacentre/press_releases/pr_965_en.html

[3] http://climatechange.worldbank.org/sites/default/files/Turn_Down_the_heat_Why_a_4_degree_centrigrade_warmer_world_must_be_avoided.pdf

21. November 2012