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LAIRE/203: Risiken des Frackings "zu groß" - US-Versicherungsgesellschaft gibt keine Policen aus (SB)


In den USA wächst der Widerstand gegen Fracking

Große Anti-Fracking-Demonstration in Washington angekündigt



In den USA ist eine Debatte entbrannt über die Erklärung der größten Versicherungsgesellschaft des Landes, daß sie keine Verträge zur Versicherung im Zusammenhang mit dem hydraulischen Fracking abschließen wird. Die Risiken seien zu groß, um sie zu ignorieren, heißt es.

Umweltschützer und besorgte Anwohner von Gebieten, in denen mit der Methode des Frackings unkonventionelles Erdgas aus dem Gestein herausgebrochen und gefördert wird, fühlen sich nun in ihren Befürchtungen, daß dies Umweltschäden verursachen kann, bestätigt. Die Versicherungsgesellschaft selbst hat in einer Erklärung, die vom Tenor her eher verharmlosend und "zurechtrückend" wirkt, die Gründe erläutert, die sie zu diesem Schritt bewogen haben.

Beim Fracking wird unter hohem Druck ein Gemisch aus Wasser, Sand und vielen verschiedenen Chemikalien mittels einer erst vertikal, dann horizontal verlaufenden Bohrung in eine gashaltige Gesteinschicht, beispielsweise Schiefergestein, gepreßt. Dadurch wird das Material aufgebrochen, und das Gas kann zusammenströmen. Anschließend wird das Wasser größtenteils wieder emporgepumpt, doch der Sand und die chemische Stabilisatoren bleiben zurück. Sie halten die geweiteten Klüfte offen. Im nächsten Schritt wird das Gas gefördert. In den typischen Gasfördergebieten der USA werden mitunter pro Quadratkilometer mehrere solcher Bohrungen ausgebracht.

Die hauptsächliche Sorge der Kritiker lautet, daß die beim Bohren durchstoßenen grundwasserführenden Schichten kontaminiert werden und das Trinkwasser mit einer Vielzahl von Chemikalien, von denen die Unternehmen noch nicht einmal alle bekanntgegeben haben, verdorben wird. Ende 2010 hat das Fracking-Unternehmen Cabot Oil & Gas aus Houston eine Klage der Einwohner von Dimock in Pennsylvania, deren Trinkwasser Methan enthielt, mit der Zahlung von 4,1 Millionen Dollar beigelegt. Umweltexperten der Behörden hatten erklärt, daß das Unternehmen den Grundwasserspeicher unter den Wohnhäusern mit einer explosiven Menge an Methan verunreinigt habe; ein Unternehmenssprecher dagegen behauptete, daß die nachgewiesene Methanmenge weder eine Gefahr für die Gesundheit noch die Umwelt darstellte.

Inwiefern dieser Fall Einfluß auf die Entscheidung der National Casualty (Insurance) Company gehabt hat, die zur Nationwide-Gruppe der Versicherungsgesellschaften gehört, ist nicht bekannt. In einem internen Memo, das im Internet kursiert und dessen Authentizität von der Nationwide-Pressesprecherin Nancy Smeltzer bestätigt wurde - allerdings nicht ohne den Zusatz, daß das Dokument nie für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei -, heißt es: "Nach Monaten der Forschung und Diskussion sind wir zu dem Beschluß gekommen, daß die Gefährdungen durch hydraulisches Fracking zu groß sind, um sie zu ignorieren." [1]

Nationwide hat auf die Debatte über ihr internes Memo reagiert und in einer Presseerklärung klargestellt: "Nationwide hat seine Policen und Richtlinien nicht geändert und auch keine Policen gestrichen. Fracking-bedingte Verluste waren noch nie versichert worden. Eine Versicherung funktioniert, wenn der Träger genau den Preis bestimmen kann, um das Risiko abzudecken." [2]

Das ist aber nach Ansicht der Versicherung nicht möglich. Ihr geht es um eine angemessene Bewertung des Risikos, was offenbar schwierig ist. Das bedeutet nicht zwingend, daß die Versicherungsgesellschaft dem Fracking gegenüber eine ablehnende Haltung einnimmt.

Für den 28. Juli wurde in Washington neben dem Kapitol zu einer Demonstration gegen Fracking aufgerufen [3]. Die Organisatoren kündigten die Demo unter dem Titel "Stop the Frack Attack" an. Es dürfte die größte jemals zu diesem umstrittenen gesellschaftlichen Feld durchgeführte Demonstration werden, vermuten Umweltexperten [4].

Keine Atomenergie, keine Kohlekraftwerke, kein Fracking, keine Erdölförderung in der Arktis und auch nicht im Golf von Mexico - kaum ein Energieträger, an dem nicht Kritik geübt und der von einer wachsenden Zahl an Menschen in verschiedenen Ländern abgelehnt wird. Das zeugt aber nicht von irrationalem Verhalten, wie den Kritikern gern seitens selbsternannter Konsum- und Fortschrittsapologeten vorgehalten wird. Es hat seine Rationalität darin, daß "Kollateralschäden" wie die Verstrahlung von Mensch und Umwelt nach dem multiplen Fukushima-GAU, das Massensterben von Tieren und Pflanzen nach der Explosion der Bohrinsel Deepwater Horizon vor der US-Südküste, das Abbaggern ganzer Dörfer in der Lausitz, die Sprengung von Bergkuppen in den Appalachen zur Kohlegewinnung oder - grundsätzlich - die Erderwärmung als Folge der Verbrennung fossiler Energieträger nicht mehr hingenommen werden. Dahinter steckt eine grundsätzliche Unzufriedenheit vieler Menschen mit den vorherrschenden Bedingungen und den Werten, die nach wie vor gesellschaftsdominant sind.

Was häufig als allgemeine Politikverdrossenheit bezeichnet wird, könnte viel tiefer gründen, steht doch diese Politik für die vorherrschende gesellschaftliche Ordnung schlechthin. Sicherlich stellen nicht alle diese Menschen die Systemfrage, aber das bedeutet nicht, daß sie nicht Zweifel an der Legitimität des Systems hegen. Aus dem Umstand, daß die Menschen entweder keine Alternative kennen oder ihnen vielleicht schon die bloße Vorstellung, sie würden die ihnen vertrauten Verhältnisse aufkündigen, Angst bereitet, ergibt sich noch lange nicht zwingend der Schluß, daß die Menschen deswegen mit allem einverstanden sind, was ihnen an vermeintliche Unabänderlichkeiten hinunterzuschlucken abverlangt wird.


Fußnoten:

[1] "Nationwide Insurance: Fracking Damage Won't Be Covered" AP/Huffington Post, 12. Juli 2012
http://www.huffingtonpost.com/2012/07/13/nationwide-insurance-fracking_n_1669775.html?utm_campaign=071312&utm_medium=email&utm_source=Alert-green&utm_content=Photo

[2] "Nationwide statement regarding concerns about hydraulic fracturing", Nationwide Mutual Insurance Company, 13. Juli 2012
http://www.nationwide.com/newsroom/071312-FrackingStatement.jsp?NWOSS=fracking&NWOSSPos=1

[3] http://www.stopthefrackattack.org/

[4] "The Nationwide Insurance Company has Major Concerns about Fracking", 15. Juli 2012 (EcoWatch, July 13, 2012)
http://www.frackcheckwv.net/2012/07/15/the-nationwide-insurance-company-has-major-concerns-about-fracking/

20. Juli 2012