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LAIRE/198: In Studie zu Dürregefahr und Hunger in Ostafrika bleiben Produktionsverhältnisse unbeachtet (SB)


US-Geographen wollen Dürregefahr in Ostafrika frühzeitiger prognostizieren

Verbesserung des Hungersnot-Frühwarnsystems FEWS NET zum Ziel



Das Problem ist seit langem bekannt: Kommt es in einem afrikanischen Land zu einer Hungersnot und wird um internationale Hilfe gebeten, so können Wochen vergehen, bis diese eintrifft. Bis dahin sind womöglich schon viele Menschen verstorben. Unter dem Eindruck der äthiopischen Hungersnot von 1984/85, der über eine Million Äthiopier zum Opfer fielen, hat die US-Agentur für internationale Entwicklung das internationale Hungersnot-Frühwarnnetzwerk FEWS NET (Famine Early Warning System Network) gegründet. Dabei werden verschiedene potentiell Hunger auslösende oder repräsentierende Indikatoren wie Niederschlagsmenge, Pflanzenwachstum, Unterernährungsrate bei Kindern, etc. beobachtet und gegebenenfalls frühzeitig Alarm geschlagen. So kann theoretisch die Hungerhilfe anlaufen, noch bevor sich die Hungerlage verschärft. So unverzichtbar FEWS NET inzwischen für die Ernährungssicherheit in den angeschlossenen Ländern inzwischen geworden ist, hat das System nicht zu verhindern vermocht, daß gegenwärtig fast eine Milliarde Menschen nicht genügend zu essen hat und jährlich zwischen 10 und 30 Millionen Menschen verhungern.

Das Hungerproblem ist also nach wie vor virulent, mehr noch, die Zahl der weltweit Hungernden hat seit der Gründung von FEWS NET um mehrere hundert Millionen zugenommen. Das im Jahr 2000 von der internationalen Staatengemeinschaft vereinbarte Millenniumsziel, bis 2015‍ ‍die Zahl der Hungernden zu halbieren, wird nicht zu erfüllen sein. Wissenschaftliche Prognosen zu globalen Entwicklungen wie Klimawandel, Verlust an landwirtschaftlicher Fläche, Düngermangel, Wüstenbildung, absinkende Grundwasserspiegel, steigender Meeresspiegel, Rückgang der organischen Bodenanteile, Zunahme an Wetterextremen geben keinen Anlaß zu Optimismus.

Das ist der Hintergrund für Forschungsansätze in einer Reihe von Ländern mit dem Ziel, den Hunger in der Welt zu beenden. Beispielsweise gab die Universität von Kalifornien in Santa Barbara am 1. Mai eine Presseerklärung heraus, derzufolge drei Geographen nach der Auswertung von Klima- und Vegetationsdaten zuverlässigere Vorhersagen zur Dürreentwicklung in Ostafrika treffen können. [1]

Die Forscher Chris Funk, Greg Husak und Joel Michaelsen, die beim FEWS NET mitarbeiten, haben mehr als ein Jahrzehnt lang Daten über die Klimaentwicklung und Vegetation am Horn von Afrika gesammelt und analysiert. Zudem wurden die Werte mit der oberflächlichen Meerestemperatur, Regen und Winden über dem Indischen und dem Pazifischen Ozean abgeglichen. Demnach hat sich innerhalb der letzten vierzehn Jahre in Ostafrika die Zahl der Dürren verdoppelt, und durchschnittlich fast in jedem zweiten Jahr kam es zu einer Dürre. In Verbindung mit Satellitenaufnahmen zur saisonal bedingt mal eher grünen, mal braunen Vegetationsdecke schälte sich für die Forscher ein Muster heraus, bei dessen Auftreten es einige Monate darauf wahrscheinlich zum Wassermangel (und daraus abgeleitet Hunger) kommen wird.

Die US-Regierung nimmt die Warnungen des FEWS NET, das eine hohe Wahrscheinlichkeit für geringe Niederschlagsmengen in den Monaten März bis Mai in Ostafrika, prognostiziert hat, durchaus ernst. Das ist aus der jüngeren Warnung der US-Entwicklungshilfeagentur USAID über Hunger am Horn von Afrika zu entnehmen. Die drei Geographen sind sich klar darüber, daß eine Hungersnot nicht nur das Ergebnis eines ungünstigen Klimas ist. "Bewaffnete Konflikte, politische Unruhen, Korruption und andere menschliche Faktoren" tragen ebenfalls maßgeblich zu einer Krise bei, heißt es in der Presseerklärung.

Unerwähnt bleibt in der Aufzählung, daß die vorherrschende profitorientierte Wirtschaftsweise in mehrerer Hinsicht eine Hungersnot auslösen oder beschleunigen kann. Mangel ist geradezu der Treibstoff eines vernünftigen kapitalistischen Wirtschaftens - das schließt die Verknappung von Nahrung mit ein. Um das festzustellen, genügt ein vollkommen unideologischer Blick auf die Preisentwicklung an den Agrarrohstoffbörsen beispielsweise nach einer Schneekatastrophe und auf die Berichterstattung in den Wirtschaftsnachrichten. Überraschender Eisregen im Reisanbaugebiet Chinas oder Überschwemmungen im Maisgürtel Nordamerikas sorgen für gute Laune in der Finanz- und Spekulationswelt und hoffnungsgetragene Börsennotizen. Die Agrarpreise steigen, wenn Ernten vernichtet werden, sprich: wenn Mangel herrscht.

Man könnte an dieser Stelle einwenden, daß umgekehrt das kapitalistische System sich in besonderer Weise dazu eignet, Mangel zu beheben, da mit der Linderung der Nahrungsnot Geschäfte gemacht werden können. Das Argument trifft nur bedingt zu, nämlich nur insoweit, wie die von der Nahrungsnot Betroffenen im Prinzip die nötigen Geldmittel aufbringen könnten, den Mangel zu beheben. Verfügen sie nicht darüber und sind auch ihre Regierungen nicht bereit oder nicht fähig, auszuhelfen, wird der akute Bedarf nach Nahrung gar nicht erst als ökonomische Nachfrage gerechnet. Verhielte es sich anders, müßten sich doch Agrokonzerne die Finger danach lecken, den Nahrungsmangel von einer Milliarde Menschen zu beheben. Das geschieht aber nicht, und einer der Gründe dafür hat mit der Ökonomie zu tun.

Marktwirtschaftliche Vernunft kann aber bereits im kleineren Rahmen eine Hungersnot auslösen oder verschärfen, wenn Händler, die über ausreichende Lagerkapazitäten und finanzielle Reserven verfügen, ihr Getreide zurückhalten, da sie, beispielsweise bei einer sich anbahnenden Hungersnot, auf steigende Preise spekulieren. Oftmals in solchen Fällen muß der Staat intervenieren, mal durch direkte Anweisungen zur Nahrungsverteilung, mal durch indirekte Maßnahmen wie Ausfuhrverbote oder das Erheben von hohen Ausfuhrzöllen.

Ein dritter Hunger auslösender oder verstärkender Effekt der marktwirtschaftlichen Ordnung besteht darin, daß hohe Getreidepreise im ersten Anbaujahr Bauern dazu bringt, im nächsten verstärkt dieses Getreide anzubauen, so daß dann ein Überangebot besteht und die Preise wieder erheblich sinken. Im dritten Jahr wird dann erneut viel zu wenig angebaut, weil die Bauern auf andere Feldfrüchte, beispielsweise Pflanzen für Biosprit, umgestiegen sind. Biosprit ist ein weiterer Punkt. Da die globale Wirtschaftsordnung über Angebot und Nachfrage gesteuert wird, konnte es geschehen, daß der politisch gelenkte Biospritbedarf unter anderem in den USA und der EU dazu führte, daß in afrikanischen Ländern Agrarflächen nicht für die Nahrungsproduktion, sondern für den Treibstoffbedarf der Länder des Nordens freigestellt oder neu angelegt werden.

So wichtig FEWS NET auch für die von Hunger bedrohten Regionen ist, stellt sich die Frage: Welche andere Funktion als die, zur Legitimation bestehender globaler Produktionsverhältnisse beizutragen, sollte schon eine Forschungsarbeit haben, wenn sie den Schwerpunkt ihrer Analyse auf die natürlichen Produktionsvoraussetzungen legt und maßgebliche menschliche Faktoren der Hungergenerierung und -verwaltung entweder unter ferner liefen abhandelt oder gänzlich unbeachtet läßt?


Fußnoten:

[1]‍ ‍"With Climate and Vegetation Data, UCSB Geographers Closer to Predicting Droughts in Africa", University of California Santa Barbara, 1. Mai 2012.
http://www.ia.ucsb.edu/pa/display.aspx?pkey=2710

4.‍ ‍Mai 2012