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LAIRE/187: Chinas Weißbuch zur Klimapolitik - Wachstumsapologetik wie im Westen (SB)


Industrialisierung und Urbanisierung unhinterfragte Eckpfeiler der chinesischen Klimaschutzpolitik

Peking tritt mit neuem Weißbuch in die Verhandlungen um internationale Klimaschutzmaßnahmen ein


Die chinesische Regierung hat am Dienstag ein Weißbuch [1] zur Klimapolitik vorgelegt. Darin werden abgesehen von seitenlangen Beschreibungen verwirklichter oder angestrebter Klimaschutzmaßnahmen die Kernpunkte des staatlich administrierten Klimaschutzes genannt, mit denen teilweise die Regierung in frühere Verhandlungen eingetreten ist und die auch Gesprächsgrundlage auf der Ende des Monats im südafrikanischen Durban beginnenden UN-Klimakonferenz sein werden.

Bereits im Vorwort des Weißbuchs, fast nebenbei angemerkt, legt China eine naturgesetzlich anmutende Voraussetzung seiner Verhandlungsbasis fest: "China ist das größte sich entwickelnde Land der Welt mit einer großen Bevölkerung, unzureichenden Energiereserven, einem komplexen Klima und einer ökologisch fragilen Umwelt. Es hat noch nicht seine historische Aufgabe der Industrialisierung und Urbanisierung abgeschlossen, und seine Entwicklung ist unausgewogen."

In diesem vorangestellten Zitat verbirgt sich eine Wachstumsapologetik, wie sie in modifizierter Form auch in den Industriestaaten anzutreffen ist und sich hinter Begriffen wie Fortschritt und Entwicklung verbirgt. Die Behauptung, Chinas Energiereserven seien "unzureichend", unterstellt einen Mangel, von dem aber nur unter der unhinterfragten Voraussetzung ausgegangen werden kann, wenn eine bestimmte Industrialisierung angestrebt wird. Nun kann man dem Land diesen Wunsch nicht absprechen, schließlich hat auch Deutschland die Industrialisierung für sich in Anspruch genommen, allerdings hat genau das zu einer globalen Klimaentwicklung beigetragen, durch die immer mehr Menschen in existentielle Not getrieben werden. Bei allen Bemühungen um Reduzierung der Treibhausgasemissionen, die man China unterstellen kann und über die in dem Weißbuch ausführlich referiert wird, hat sich das Land auf Riesenschritten auf den Weg der nachholenden Katastrophenentwicklung begeben. Was auch immer auf den verschiedenen administrativen Ebenen an Klimaschutzmaßnahmen beschlossen und womöglich sogar durchgesetzt wurde, es bleiben am Ende noch sehr, sehr viele CO2-Emissionen übrig, die zur allgemeinen Erderwärmung beitragen.

Mit dieser Feststellung soll nicht China als weltweit größter Emittent von Treibhausgasen - in absoluten, nicht in relativen Zahlen bezogen auf seine Bevölkerungsgröße - eine Verantwortung zugelastet werden, welche die Industriestaaten zu tragen haben, aber wenn das Anliegen der UN-Klimaschutzverhandlungen ernst gemeint ist und tatsächlich die Erderwärmung auf ein Niveau abgebremst werden soll, das einer globalen Temperaturerhöhung von maximal zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter entspricht, dann müßte auch China einen völlig anderen Kurs als den unter dem Zeichen der Wachstumsdoktrin einschlagen. Das setzte allerdings eine grundlegend andere Einstellung voraus als eine, bei der "Industrialisierung und Urbanisierung" als "historische Aufgabe" bezeichnet werden.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Industrialisierung und Urbanisierung sind Inbegriff eines auf endlichen Verbrauch natürlicher Sourcen gerichteten "Fortschritts", der ein Fortschritt der Vergesellschaftung meint, mit katastrophaler Konsequenz. Man mag eine Abkehr von der Industrieentwicklung als utopistisch oder unrealistisch bezeichnen, aber wenn dieser Realismus darin besteht, das Erdklima so zu verändern, daß sich die Menschen ihre eigene Lebensvoraussetzungen entziehen, dann spätestens sollte man sich fragen, ob "Realismus" ein geeigneter Maßstab für menschheitsgeschichtlich relevante Fragen sein sollte.

Wer definiert eigentlich und auf welcher Grundlage, was realistisch ist und was nicht? Einmal angenommen, der Meeresspiegel läge am Ende des Jahrhunderts zehn Meter höher und auf der Erde tobten fürchterliche Naturkatastrophen, denen permanent zahllose Menschen zum Opfer fielen. Würden die Menschen in der Zukunft der gegenwärtigen Vorstellung von Realismus die gleiche unumstößliche Gültigkeit beimessen wie wir heutigen Erdbewohner? Oder würden sie nicht ihr Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, daß es in der heutigen Zeit, als noch die geringe Chance Bestand zu verhindern, daß die absehbare Klimaentwicklung eintritt, versäumt wurde, entschiedene Gegenmaßnahmen zu ergreifen?

Das Weißbuch verhilft zu einem guten Einblick in die staatlich propagierten Klimaschutzmaßnahmen des bevölkerungsreichsten Lands der Erde. Es liest sich nicht sehr viel anders als die Richtlinien der Europäischen Union oder der Gesetzesvorhaben der US-Regierung auf dem Feld des Klimaschutzes. Das nährt die Vermutung, daß die Verhandlungen in Durban genauso scheitern werden wie die im Dezember 2009 in Kopenhagen. Noch immer bestehen unüberbrückbare Interessensunterschiede zwischen den Akteuren. So definiert sich China weiterhin als Entwicklungsland und sieht die Industriestaaten in der historischen Verantwortung. Dem ist nicht zu widersprechen, wenngleich sich seit 1997, als das Kyoto-Protokoll beschlossen wurde, klimatisch so viel getan hat, daß man eigentlich das Argument der historischen Verantwortung zurückstellen müßte, wenn nicht genau das der Linie beispielsweise der US-Regierung entspräche, die sich damit aus der Verantwortung stehlen will.

Die Nicht-Inanspruchnahme von Treibhausgasemissionen wurde bereits zu einem Handelsobjekt gemacht und damit ein Luftbestandteil der Verwertung unterworfen. In Durban wird auch über Dinge wie die Inwertsetzung des Nicht-Abholzens von Wald und die Vermeidung des methanfreisetzenden Pflügens in der Landwirtschaft (ein dreifach Hoch auf die chemiegestützte Grüne Gentechnik!) beraten. Selbst die chinesische Regierung befürwortet in ihrem Weißbuch sogenannte Marktmechanismen als Steuerungsinstrumente der Klimaschutzpolitik. Wie bei den internationalen Klimaschutzverhandlungen der vergangenen Jahre wird es in Durban nicht prioritär um Klimaschutz gehen, sondern um die Wahrung wirtschaftlicher Vorteile im Rahmen einer konkurrenzbasierten Weltordnung, in der sich die Profite der einen auf den Verlusten der anderen gründen. Das wurde bei früheren Klimaschutzkongressen daran deutlich, daß nicht nur zwischen China und den Industriestaaten, sondern auch zwischen China und den kleineren Entwicklungsländern einander ausschließende Interessen aufeinanderprallten.



Anmerkungen:

[1] "China's Policies and Actions for Addressing Climate Change", The Information Office of the State Council, Volksrepublik China, Peking, 22. November 2011
http://www.gov.cn/english/official/2011-11/22/content_2000272.htm

23. November 2011