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LAIRE/179: Feldbesetzung in Teplingen gesprengt - Kampf gegen Massentierhaltung geht weiter (SB)


Bauern greifen FeldbesetzerInnen an

Antikapitalistische Züge des Widerstands gegen die Massentierhaltung


Neun Jahre nach der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz sollte sich allmählich die Erkenntnis durchsetzen, daß Tiere mehr als nur einen rechtlichen Schutz benötigen, wollte man sie vor der Qualhaltung in industriellen Aufzucht- und Schlachtbetrieben bewahren. Zumal laut Gesetz einem Tier auch nur "ohne vernünftigen Grund" keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden dürfen, was der Ausnahme Tür und Tor öffnet. Können dagegen vermeintlich vernünftige Gründe angeführt werden, so ist der Weg zur Tierverwertung frei.

Was tun angesichts der Ungenügsamkeit rechtlicher Handhabe, wenn in Deutschland immer neue Projekte zur industriellen Schweine-, Ziegen- und Hühnerzucht initiiert werden und beispielsweise im ostniedersächsischen Wietze Europas größte Hähnchenschlachtfabrik gebaut wird, für deren Vollauslastung bis zu 420 Mastanlagen zu je 40.000 Hühnern nötig sind? [1]

Es gibt viele Menschen, die solche Anlagen ablehnen, aber nur wenige, die ihr eigenes Leben der Bewahrung der Tiere vor solchen und anderen Formen der Vernutzung widmen oder sogar bereit sind, dafür Risiken für Leib, Leben und Freiheit einzugehen. Zu letzteren zählen jene, die den Bau einer Hähnchenmastanlage im wendländischen Teplingen verhindern wollten und das Feld für den Bau der Stallanlagen besetzten. Sie wurden am Montag, den 27. Juni, von örtlichen Bauern angegriffen, sind von diesen vertrieben bzw. teils von der Polizei geräumt worden. Die Bauern fuhren schweres Gerät auf, nebelten die FeldbesetzerInnen mit einer Flüssigkeit ein, die an Buttersäure erinnert, rissen mit Treckern die aus meterlangen Baumstämmen errichteten Tripods um und machten auch vor Zelten nicht Halt; Zeugenberichten zufolge ohne sich vorher vergewissert zu haben, daß sich niemand in ihnen aufhielt. [2]

Offenbar wurde das Risiko einer Verletzung oder im schlimmsten Fall sogar Tötung von FeldbesetzerInnen in Kauf genommen. Nun genießen Bauern sicherlich nicht den Ruf, besonders zimperlich zu sein, wenn es um die Belange ihres Grund und Bodens geht, aber mit Knüppeln und Treckern gegen Menschen vorzurücken und ihnen mit einer Motorsäge zu drohen, läßt auf mehr als die übliche Bodenständigkeit und Handfestigkeit schließen. Man könnte das gewalttätige Vorrücken gegen die BesetzerInnen als individuelle Entgleisung, als Einzeltat eines zornigen Bauerns und seiner Familie samt Bekanntenkreis abtun, wenn da nicht die Erfahrung unter anderem aus Wietze wäre, daß Menschen, die sich auf entschiedene Weise für nichtmenschliche Tiere einsetzen, häufiger tätlichen Angriffen seitens der örtlichen Bevölkerung ausgesetzt sind. Dahinter steckt offenbar System, genauer gesagt, ein gesellschaftlicher Konsens, wonach Menschen wie die FeldbesetzerInnen so viel anders sind als man selbst, daß man ihnen Dinge antun darf, die man normalerweise keinem anderen Menschen antun würde.

Indem die BesetzerInnen das Eigentumsrecht von Landbesitzern oder -pächtern ignorieren, stellen sie die Rechtsordnung in Frage. Die davon "Betroffenen" wiederum wollen nicht wissen, daß eben diese Ordnung bereits Ergebnis einer historischen, im Kern räuberischen Entwicklung ist. Die Verletzung des Eigentumrechts - das Unrecht - kam erst in die Welt, nachdem Recht und Eigentum erfunden waren. Das sollten die Bauern eigentlich am ehesten wissen. Traten sie einst nicht den Zehnten an den König ab, begingen sie ein Unrecht und wurden bestraft; lehnten sie sich gegen diese und andere räuberische Praktiken der Herrschaft auf, wurden sie verfolgt.

Im Konflikt um den Bau der Schlachtfabrik in Wietze und der Mastställe im Umkreis geht es nicht allein um den Schutz und die Bewahrung des nicht-menschlichen Lebens, sondern auch gegen die vorherrschenden gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsbedingungen, gegen das Roden des globalklimatisch wichtigen tropischen Regenwalds in Brasilien zum Zwecke des Sojaanbaus (das als Hühnerfutter den Weg nach Europa findet), gegen die EU-Subventionierung von Hühnerfleischexporten in die Länder des Südens (Preisdumping ), gegen die ökologischen Folgen der Massentierhaltung hierzulande.

Nicht zuletzt als Folge epidemischer Entwicklungen in der Landwirtschaft (Dioxin in Hühnereiern, EHEC auf Bambussprossen, etc.) ist das Thema Massentierhaltung bis zu den Mainstreammedien vorgedrungen. Der Tierverbrauch in Forschungslaboren und die Qualhaltung empfindungsfähiger Wesen zum Zwecke ihrer Vollverwertung werden in der Öffentlichkeit im wachsenden Maße kritisch betrachtet. Es wäre somit an der Zeit, der eigenen Empfindung den erforderlichen Platz zuzugestehen, damit sie nicht verkümmert, und Menschen, die passive Widerstandsformen gegen die industrielle Massentierhaltung aufbieten, zu unterstützen. Die Linke wiederum könnte ihre Berührungsängste gegenüber den sogenannten TierbefreierInnen ablegen, enthält doch die Tierbefreiung im allgemeinen wie auch der Widerstand gegen die Massentierhaltung im besonderen weitreichende antikapitalistische Vorstellungen. Man kann davon ausgehen, daß die gewaltsame Zerschlagung der Feldbesetzung in Teplingen nicht das Ende der Bemühungen, den Bau des Mastbetriebs zu verhindern, sein wird.

Fußnoten:

[1] Näheres dazu unter:
TIERE -> REPORT -> BERICHT sowie TIERE -> REPORT ->INTERVIEW

[2] Die jüngste Entwicklung zu Teplingen im Schattenblick unter:
POLITIK -> TICKER -> ANTI-SCHLACHTHOF-WIETZE-AKTION (Fronten und Ereignisse - Feldbesetzung im Wendland)

30. Juni 2011