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LAIRE/176: Oxfam prognostiziert Verteuerung von Lebensmitteln - Forderungen systemimmanent (SB)


Lebensmittelpreise werden sich verdoppeln

Ärmere Menschen vom Trend am empfindlichsten getroffen


Erst dann, wenn Bilder von verhungernden Kindern um die Welt gehen oder in den Ländern des Südens Demonstrationen wegen gestiegener Lebensmittelpreise Regierungen in Bedrängnis bringen, gelangt die globale Nahrungsmittelkrise in die Schlagzeilen. Es herrscht allgemein die Ansicht vor, daß sich gegenüber der Wirkung von Bildern bloße statistische Angaben, beispielsweise zu weltweit sinkenden Getreidevorräten, zum Verlust an landwirtschaftlicher Fläche als Folge des Klimawandels oder zur Preisentwicklung von Lebensmitteln, der Öffentlichkeit nur schwer vermitteln lassen. Ohne die deutlich höhere mediale Wirksamkeit von Bildern gegenüber bloßen Zahlenangaben, die unter Umständen eine viel größere Not repräsentieren als die Bilder, leugnen zu wollen, muß der allgemeinen Einschätzung in einer Hinsicht entschieden widersprochen werden. Die meisten Menschen, auch in den Regionen relativen Wohlstands, dürften eher früher als später in ihrem Leben mit dem Hunger in der Welt konfrontiert worden sein. Wie auch immer sich die Menschen dazu verhalten, ihre Konsequenzen werden automatisch zu einer Stellungnahme.

Das gilt selbstverständlich insbesondere für die Regierenden. Wenn Tag für Tag Tausende Menschen sterben, da sie nicht genügend zu essen haben, und über eine Milliarde Menschen Hunger leiden, gleichzeitig aber beispielsweise die Bundeswehr zur Interventionsarmee umorganisiert wird, ist das eine Stellungnahme. Nicht nur das deutsche Militär wird erklärtermaßen zur gewaltsamen Sicherung von Handelswegen und Rohstoffen oder auch zur Anbindung von industriellen Absatzräumen eingesetzt, und wenn Strategen in Washington, London, Paris und Berlin die Abwehr von (Klima- und Armuts-)Flüchtlingen als Bedrohung des westlichen Lebensstils ansehen, dann dürfte es an dieser klaren Stellungnahme nichts zu zweifeln geben: Menschen, die aufgrund von Umständen, auf die sie wenig bis keinen Einfluß haben, in Not geraten sind, werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausgegrenzt. In letzter Konsequenz werden sie dem Tod überantwortet.

Die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam berichtete Anfang dieses Monats, daß sich die globalen Nahrungsmittelpreise innerhalb der nächsten zwanzig Jahre verdoppeln werden [1]. Ärmere Menschen, die schon heute 80 Prozent ihrer Einnahmen für Nahrungsmittel ausgeben müssen, werden von diesem Trend am schwersten getroffen. Dem Bericht zufolge übersteigt die Zunahme des Nahrungsbedarfs die Fähigkeit der Menschheit zur Steigerung der Nahrungsproduktion deutlich.

Das US-Landwirtschaftsministerium sagt zwar in seinem jüngsten Bericht zur globalen Getreideproduktion [2] eine Zunahme der weltweiten Ernte (Weizen, Grobkorn, Reis) gegenüber dem vergangenen Jahr voraus, aber erstens hält der Trend, Nahrungs- und Futtermittel zu Treibstoff zu verarbeiten und zu verbrennen an und zweitens deckt die prognostizierte Steigerung nicht den Bedarf von 70 Millionen Menschen ab, welche jedes Jahr zusätzlich auf die Welt kommen.

Nun appelliert Oxfam an die Europäische Union, endlich die Weichen für ein, wie die Organisation schreibt, "gerechteres und nachhaltigeres Nahrungssystem" zu stellen, indem die EU auf der einen Seite die eigenen Bestimmungen reformiert und auf der anderen Seite einen entsprechenden Einfluß auf die G20 und andere wichtige internationale Zusammenkünfte nimmt. Allzu exzessive Spekulationen mit Nahrung sollten verboten, starke Preisschwankungen unterbunden, die Biospritziele aufgegeben und Subventionierungen, die zu Preisschwankungen für Nahrungsmittel und Landraub führen, abgeschafft werden. Darüber hinaus seien in den ärmeren Ländern rund 500 Millionen Kleinbauern, die für rund ein Drittel der Menschheit Nahrung erzeugten, zu fördern. Zu guter Letzt gemahnte Oxfam die Europäer, eine Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die globale Nahrungsproduktion einzunehmen.

Würden all die von Oxfam geforderten Maßnahmen umgesetzt, lebten wir vermutlich in einer Welt, die dem, was Menschen als Realität erfahren und nicht selten erleiden, deutlich vorzuziehen ist. Dessen ungeachtet soll hier die Frage aufgeworfen werden, ob das genügt, um den Hunger aus der Welt zu schaffen. Soweit historische Berichte zur Nahrungssituation der Menschen vorliegen, hat es schon immer, zu jeder Zeit, Hunger gegeben. Selbst die wohlhabenden antiken Stadtstaaten kannten ihn, nämlich den Hunger ihrer Sklaven, auf deren Schultern und endlichen Verbrauch sich die abendländische Kultur, einschließlich ihrer Philosophie und Wissenschaften, gründete.

Auf ein Moratorium gegen die Biospritherstellung und Spekulationen mit Nahrung sollte nicht verzichtet werden, aber es genügt nicht, um den Hunger zu beseitigen. Die Geschichte lehrt, daß das Nahrungsproblem von grundlegender Natur ist. Selbst die verlockende Idee der gerechteren Verteilung wird sich als Irrtum erweisen, da hierbei unberücksichtigt bleibt, daß es innerhalb eines Systems von Herrschaft und Beherrschten immer jemanden geben wird, der die Verteilung übernimmt und der ihr ausgesetzt ist. So ein System existiert jedoch bereits, es wähnt sich alternativlos und gerecht. Man kennt es unter der Namen freie Marktwirtschaft ...


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Quellen:
[1] "Europe sleepwalking as global food prices set to double", Oxfam,
1. Juni 2011

http://oxf.am/4ow

[2] United States Department of Agriculture, Foreign Agricultural Service Circular Series, WAP 05-11, May 2011, World Agricultural Production
http://www.fas.usda.gov/wap/circular/2011/11-05/productionfull05-11.pdf

3. Juni 2011