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LAIRE/170: Akw Fukushima und "Wüstenstrom" - zwei Seiten einer Medaille (SB)


Wenn alle Atomkraftwerke abgeschaltet sind - was dann?

Anti-Akw-Bewegung hinterfragt in der Regel nicht die systemrelevanten Voraussetzungen der Atomenergieproduktion


Alle Wüsten der Erde empfangen in nur sechs Stunden mehr Energie von der Sonne, als die gesamte Menschheit innerhalb eines Jahres verbraucht, lautet eine griffige Aussage des Kuratoriumsvorsitzenden der Stiftung Desertec, Dr. Gerhard Knies. Das klingt ungeheuer verlockend. So wie einst die Lobbyisten der Atomenergie mit der Aussicht warben, daß Energie künftig nahezu kostenlos abgegeben wird, weil sie in unbegrenzter Menge zur Verfügung steht - ein Irrtum mit schwerwiegenden Folgen, wie nicht erst die Nuklearkatastrophe von Fukushima zeigt -, so wird hier unausgesprochen in Aussicht gestellt, die Nutzung von Sonnenenergie unterläge keinen nennenswerten Beschränkungen, sie sei mehr oder weniger für "die Menschheit" frei verfügbar.

Sollte in diesem Fall die Vorstellung bestehen, daß Sonnenenergie unbegrenzt verfügbar ist, wäre dies naiv. Tatsächlich wird zumindest in Teilen der Umweltbewegung die Sonne als eine Art Gemeingut angesehen, das von allen Menschen genutzt werden dürfe. Im Gegensatz dazu erkennen die gleichen Personen an, daß andere Energieträger wie Erdöl oder Uran dem Besitzanspruch eines Staates oder einer Privatperson unterliegen.

Bei genaueren Betrachtung löst sich jedoch der angenommene Unterschied zwischen sogenannter regenerativer Sonnenenergie und dem mineralischen Energieträger Uran auf. Ursprünglich war Uran genausowenig irgendeinem Besitz unterworfen wie die solare Einstrahlung. Erst als der Mensch anfing, die Landoberfläche territorial aufzuteilen und später auch noch den Nutzen des Urans erkannte, wurde der Rohstoff dem Besitz unterworfen. Der Besitzanspruch erscheint deshalb plausibel und gerecht, weil, wenn das Uran nicht beispielsweise Namibia, Australien, Kanada, Niger oder Kasachstan gehörte, es irgend jemandem anderen gehören würde, und das würde natürlich als ungerecht empfunden.

Allerdings drückt sich in dieser Logik bereits eine bestimmte, besitzergreifende Sichtweise aus, die keineswegs naturgegeben ist. In manchen weniger territorial geprägten Kulturen gehört die Erde unter den Füßen niemandem. Als die weißen Eroberer ins Innere des afrikanischen Kontinents vorstießen, gelang es ihnen häufig, Verträge mit den dort lebenden Chiefs oder Königen abzuschließen und sich weitläufige Ländereien unter den Nagel zu reißen. Die einheimischen Vertragspartner vermochten die Folgen ihrer Zusage gar nicht abzuschätzen, weil sie einen anderen Begriff von Territorium - das es in Form von Stammesgebieten oder Königreichen selbstverständlich schon gab - besaßen. Zu den bekanntesten Beispielen solch "geschickter" Handelspolitik zählte der Vertrag, durch den Cecil Rhodes ein riesiges Gebiet im südlichen Afrika zufiel, aus dem anschließend der Staat Rhodesien wurde (der entsprach den Staatsgebieten von Sambia und Simbabwe).

In der heutigen Zeit und hiesigen Kultur mag es Befremden auslösen, wenn etwas materiell Greifbares wie Uran keinem Besitzstand unterworfen sein sollte. Aber Befremden schließt selbstverständlich die Vorstellung, es könne anders sein, nicht a priori aus. Für manche Ohren klingt das Hinterfragen der vorherrschenden Eigentumsordnung ziemlich verstiegen, aber angesichts der multiplen Krisen, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht, gewinnt die Frage, ob nicht der bisher eingeschlagene Weg der eigentlich "verstiegene" ist, an Gewicht. Denkbar wäre zum Beispiel, daß das Uran im Rahmen anderer, nicht auf Besitzakkumulation abzielender Produktionsverhältnisse ausgebeutet wird. Das wäre sicherlich noch immer kein grundsätzlicher Bruch mit den bestehenden Konzepten und Methoden des Wirtschaftens, setzte aber immerhin eine andere gesellschaftliche Ordnung voraus.

Mit Sonnenlicht verhält es sich sehr ähnlich wie mit Uran. Entscheidend ist nicht die Frage, ob der Ausgangsstoff materiell faßbar ist oder ob er als Wärmeanregung auftritt, entscheidend sind die Produktionsverhältnisse, unter denen die Nutzung von Uran bzw. solarer Strahlung organisiert wird. So wie in Afrika das geflügelte Wort des "Ressourcenfluchs" umgeht, womit gemeint ist, daß ausgerechnet in den von ihren natürlichen Ressourcen her eigentlich reichen Staaten große Armut herrscht, was insbesondere auf die erdölfördernden Staaten zutrifft, so wären auch künftige "Sonnenstaaten", die beispielsweise Sonnenenergie für den heimischen Bedarf und den Export "ernten", nicht vor diesem Fluch gefeit.

Der gemeinsame Nenner von Atomenergie, bei der Uran verbrannt und über Umwege in elektrische Energie gewandelt wird, und Sonnenenergie, bei der elektrischer Strom entweder direkt (Photovoltaik) oder indirekt (zum Beispiel mittels Dampfturbinen antreibenden solarthermischen Kraftwerken) erzeugt wird, besteht in den profitorientierten, akkumulationsgetriebenen Produktionsverhältnissen.

Ohne hier die noch längst nicht ihr volles Ausmaß an Destruktivität offenbarende Nuklearkatastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi auch nur im geringsten verharmlosen zu wollen, bleibt festzustellen, daß die entscheidende Gemeinsamkeit von Nuklear- und Solarwirtschaft in der beider Energiegewinnungsformen zugrundeliegenden Eigentumsordnung besteht. Die Arbeiter im Akw wie auch in der Fabrik für Solarzellen sind Produzenten, die vom Produkt ihrer Arbeit getrennt werden und einen Mehrwert erwirtschaften, der anderen - den Eignern der Produktionsmittel - zugute kommt.

Es sei noch einmal betont, daß es hier nicht um Gleichmacherei der Energiegewinnungsformen geht. Die zerstörerischen Konsequenzen der Nichtkontrolle über die Atomkraft übertreffen die aller anderen Energieformen - wobei durchaus diskutierenswert ist, wie in diesem Verhältnis fossile Energieträger, deren Verbrennung zur globalen Erwärmung und zum Klimawandel beitragen, zu bewerten sind. Aber es entsteht der Eindruck, daß sich die bundesrepublikanische Protestbewegung auf die Forderung nach Abschalten der Atomkraftwerke beschränkt. Da bleibt die Ausbeutungsordnung, nach der in dieser Gesellschaft menschliche Arbeit verwertet wird, vollkommen unangetastet. Das war einmal anders. Zu Beginn der Anti-Atombewegung wurde häufig Systemkritik geübt, wobei auch die staatskapitalistischen Systeme des Ostens nicht als akzeptable Alternative angesehen wurden. Heute wäre zu fragen, ob nicht beim Versprechen auf unerschöpfliche Sonnenenergie unterschlagen wird, daß ihre Verwertung - auch in den "sozialverträglichen" Varianten - zu den gleichen fremdbestimmten, ausbeuterischen Arbeitsformen und profitgetriebenen Produktionsverhältnissen führt wie die Atomwirtschaft.

12. April 2011