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LAIRE/151: E10 - 10 Prozent Nahrung im Tank (SB)


Konkurrenz zwischen Tank und Teller prinzipiell nicht zu beheben


Die Bundesregierung folgt der EU-Vorgabe und erhöht im kommenden Jahr den Ethanolanteil im Benzin von fünf auf zehn Prozent. Zwar werden die Tankstellen den neuen Treibstoff nicht vom 1. Januar an anbieten können, aber er wird kommen. Langfristig soll sich das Gemisch gegenüber dem bisherigen Sprit durchsetzen.

Mit der Festlegung von Umwelt- und Sozialstandards hat die Europäische Union auf vielfache Kritik reagiert, wonach tropischer Regenwald zum Anbau von "Energiepflanzen" für die Treibstoffproduktion gerodet wird und indigene Gemeinschaften aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben werden. Bei einem nüchternen Blick auf das Geschehen bleibt allerdings festzustellen: In der EU wird Nahrung verbrannt, damit Motoren laufen. Mais, die wichtigste Energiepflanze, ist ein Nahrungs- und Futtermittel, nach welchen Kriterien er auch immer angebaut wird.

Die globalen Produktionsverhältnisse sind so gestaltet, daß die Hungernden in Indien, Somalia oder Niger nicht unmittelbar sehen, wie der Mais in Ethanol umgewandelt und dieser getankt und verfahren wird. Früge man jedoch die Betroffenen, ob sie den Mais essen würden, fiele die Antwort eindeutig aus. Selbstverständlich fragt ein Hungernder nicht danach, ob er Mais verzehrt, der eigentlich nicht als Nahrung, sondern als Treibstoff vorgesehen ist, Hauptsache er füllt den Magen. Die Unterscheidung in Mais für Nahrung, Futter oder Treibstoff treffen allein die Satten, die in einer motorisierten Gesellschaft mit einem hohen Personen- und Warenverkehr leben.

Die Organisation der vorherrschenden Produktions- und Reproduktionsverhältnisse stellt das einzige relevante Hindernis dar, das zwischen dem Mais, der in Autos verfahren wird, und dem Zugriff durch die Hungernden steht. Eine Versorgung der vom Nahrungsmangel betroffenen Menschen ließe sich realisieren. Falls genügend Nahrung für alle Menschen produziert wird, könnten auch alle Menschen versorgt werden. Dazu wäre vordringlich eine Abkehr vom profitgetriebenen Wirtschaften erforderlich, da dieses auf Mangel beruht und diesen erzeugt.

Einer umfänglichen Hungerbeseitigung stehen keine natürlichen Bedingungen entgegen, sondern gesellschaftliche. Daß diese historisch gewachsen sind, kann kein Argument sein, sich nicht um die Hungernden zu sorgen. Im Gegenteil. Da die in demokratischen Gesellschaften organisierten Menschen den Anspruch erheben, sich weiterzuentwickeln, wäre die Schlußfolgerung daraus nur konsequent, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse so weiterentwickelt werden, daß Hunger nicht zugelassen wird. Die Millenniumsziele, die bis 2015 eine Halbierung der Zahl der Hungernden vorsehen, erfüllen diesen Anspruch nicht, selbst wenn sie verwirklicht würden, was nicht der Fall ist.

Wirtschaftsexperten sagen für das nächste Jahr einen weiteren globalen Preisanstieg für Nahrungsmittel voraus, womöglich überschreitet die Zahl der Hungernden erneut die Milliardengrenze. Dafür trägt die Agrospritpolitik der EU-Mitglieder eine Mitverantwortung. Die ethischen Standards befestigen sogar noch die Mangelproduktion.

29. Dezember 2010