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LAIRE/099: Köhler propagiert die "postkarbone Gesellschaft" (SB)


Einige Anmerkungen zum Grußwort des Bundespräsidenten zur Verleihung des Deutschen Umweltpreises


Wenn das 19. Jahrhundert das Zeitalter der Kohle und das 20. Jahrhundert das des Erdöls war, so wird das 21. Jahrhundert ganz im Zeichen eines Energiemix aus sogenannten regenerativen Energieträgern, fossilen Brennstoffen wie Kohle und Erdöl sowie Uran stehen. Der Energieverbrauch der Weltgesellschaft dürfte zumindest in den nächsten Jahren weiter wachsen, was die gleichzeitige Steigerung der Energieeffizienz zunichte macht. Nur die deutliche Reduzierung des Konsums könnte dem Trend Einhalt gebieten.

Diese Entwicklungen sind absehbar, sie werden landauf, landab von Politikern aller Parteien, Umweltorganisationen, Unternehmen und engagierten Privatleuten in der einen oder anderen Variante propagiert. Selbst Bundespräsident Horst Köhler hat sein Herz für den Umweltschutz entdeckt und predigt eine nachhaltige Lebensweise. In seinem Grußwort zur Verleihung des Deutschen Umweltpreises am 25. Oktober 2009 in Augsburg an Petra Bültmann-Steffin, Carsten Bührer, Bo Barker Jørgensen und Angelika Zahrnt erklärte er salbungsvoll: "In unserem Einsatz für die Nachhaltigkeit sind wir wie Brüder und Schwestern." Klang das schon sehr nach Bibelkreis, so wurde Köhler vollends klerikal mit seinen Aussagen, daß wir "die Verantwortung für die Schöpfung tragen" und, zum Abschluß der Rede, daß wir "in Verantwortung vor der Schöpfung" die Gestaltung einer besseren Welt vornehmen, "zum Wohle unserer Kinder und Enkel". Eher dem Esoterischen zuzuordnen ist dagegen die Forderung, daß alle Nationen "auf das Gleichgewicht der Welt achten" müssen. Es gehe um nicht weniger als um eine Transformation in die "postkarbone Gesellschaft".

Alles in allem wirkte die Rede brav, in alle Richtungen konsensfähig, ohne Winkelzüge oder versteckte Fallen ... wenn da nicht an einer leicht zu überhörenden Stelle eine neoliberale Doktrin aufgeblitzt wäre, die dem ganzen Gerede um Nachhaltigkeit eine deutliche Richtung gab: "Das Potenzial für eine ökologische industrielle Revolution haben wir. Wir müssen es aber auch so schnell wie möglich erschließen. Die Regeln der Marktwirtschaft helfen uns dabei."

Die Regeln der Marktwirtschaft? Sie besagen, daß beliebig viele Unternehmen in Konkurrenz zueinander produzieren und sich dasjenige durchsetzt, das die Rohstoffe am preisgünstigsten verwertet, die Lohnkosten am geschicktesten senkt oder Konkurrenten auf andere Weise aussticht; sie besagen, daß eine möglichst große Nachfrage (Mangel) geschaffen wird, weil das den Umsatz des Unternehmens steigert; sie besagen, daß genetische Eigenschaften von Pflanzen, Tieren und Menschen patentierbar sind und daß der Eigentümer von Patenten existentiell notleidenden Menschen den Nutzen seines Produkts (beispielsweise Medikamente) vorenthalten darf; sie besagen, daß im Rahmen des Weltmarkts die Länder des Südens weiterhin bloße Ressourcenräume bleiben, während der Nutzen vornehmlich auf der Seite der wohlhabenden Länder bleibt.

Diese "hilfreichen" Regeln der Marktwirtschaft dürfen auf keinen Fall umgestoßen werden, da sei das bundesrepublikanische Establishment mit dem höchsten Repräsentanten Deutschlands vor. Bleiben aber die Regeln des Marktes unangetastet, bleiben auch die Folgeerscheinungen von Hunger und Armut der Mehrheit der Menschen bestehen - gesichert durch die Weltmarktordnung, durch ein Rechtssystem, das die Staaten des Nordens begünstigt, und durch den gewaltigen Militärapparat der hochgerüsteten Staaten der Erde.

Somit ist es völlig unklar, was Köhler mit "Gleichgewicht der Welt", das es zu bewahren gelte, meint. Nein, eigentlich ist es klar. Es kann nur bedeuten, daß die Gewichte weiterhin so verteilt werden wie bisher: Über eine Milliarde Menschen hungern, weitere zwei Milliarden sind verarmt. Würde Köhler seine Forderung zur Bewahrung dieses "Gleichgewichts" anstatt einer wohlstandssatten deutschen Umweltbewegung auch beispielsweise den Bewohnern eines kongolesischen Flüchtlingslagers ins Gesicht sagen? Muß das nicht in den Ohren von Milliarden Menschen wie eine Aufforderung klingen, sich dieser vermeintlich übergeordneten, quasi naturgesetzlichen Ordnung zu fügen?

Horst Köhler benutzt gern Worte wie "wir" und "uns". Bei seinen Zuhörerinnen und Zuhörern wird dieses Beschwören der Gemeinsamkeit auf offene Ohren treffen, nicht jedoch bei jenen, die in die Vision einer kohlenstoffarmen Gesellschaft einbezogen werden, ohne daß sie gefragt werden. Der Green New Deal, der aus den Formulierungen des Bundespräsidenten deutlich herauszuhören ist, erweist sich als ein Projekt der Eliten zur fortgesetzten Sicherung des bestehenden "Gleichgewichts", also des Nord-Süd-Gegensatz einerseits und des innergesellschaftlichen Widerspruchs der bisherigen Wohlstandsregionen.


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Anmerkungen:

[1] Grußwort von Bundespräsident Horst Köhler zur Verleihung des Deutschen Umweltpreises, 25.10.2009, Augsburg. Bundespräsidialamt
http://www.bundespraesident.de/Reden-und-Interviews-,11057.658699/Grusswort-von-Bundespraesident.htm?global.back=/-%2c11057%2c0/Reden-und-Interviews.htm%3flink%3dbpr_liste

27. Oktober 2009