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LAIRE/059: Aufstand der Autolobby - Biosprit E-10 unverträglich (SB)


Mehrere Millionen Autos in Deutschland könnten nicht mit dem Biotreibstoff E-10 betankt werden


Biosprit steht inzwischen bei der Bundesregierung auf der Abschußliste. Es hat jedoch lange gedauert, bis dieser Schritt in Aussicht stand, und ausgerechnet der Autolobby ist es gelungen, was Umweltschützern und Dritte-Welt-Aktivisten mit ihrer Warnung vor der Klimaschädlichkeit vieler Biotreibstoffe, deren hohen Wasserverbrauch sowie der allzu häufigen direkten Konkurrenz von Energiepflanzen zu Nahrungspflanzen bislang verwehrt blieb.

Nun berichteten Reuters und andere Agenturen, daß die Bundesregierung die Biospritsorte E-10 (E wie Ethanol) vermutlich nicht im Jahr 2009 einführen wird (aber möglicherweise später). Wenn mehr als eine Million Autos in Deutschland einen Biospritanteil von zehn Prozent nicht vertragen, werde er das Projekt kippen, hatte Umweltminister Sigmar Gabriel den "Stuttgarter Nachrichten" gesagt. Nach neuen Untersuchungen werden es aber über zwei Millionen Autofahrer sein, die für ihr Fahrzeug kein E-10 tanken können und deshalb auf das circa 15 Cent teurere SuperPlus umsteigen müßten.

Zu den schätzungsweise 330.000 Autos, die nach Angaben der im Verband der Automobilhersteller (VDA) zusammengeschlossenen deutschen Hersteller kein E-10 vertragen, gesellen sich noch rund zwei Millionen betroffene Importautos hinzu. Außerdem besteht weiterhin Unklarheit darüber, inwiefern Motorräder mit dem Biotreibstoff fahren können. Darüber hinaus brachte der ADAC ins Gespräch, was unter Interessierten kein Geheimnis ist, nämlich daß der Treibstoffverbrauch durch die Ethanolbeimischung steigt. Die Autofahrer müßten also draufzahlen.

Nachdem nun der E-10-Anteil auf der Kippe steht, geraten auch die übrigen Vorhaben auf diesem Gebiet ins Rutschen. Ein Sprecher des Umweltministeriums erklärte, daß die Strategie, den Biospritanteil bis 2015 auf acht Prozent zu erhöhen, in Gefahr sei. Zudem könne es geschehen, daß die Autoindustrie ihre Verpflichtungen zur Senkung des Treibhausgases Kohlendioxid mittels der Erhöhung des Biospritanteils nicht einhalten wird.

Es ist einiges in Aufruhr geraten in der deutschen Biotreibstoff-Landschaft. Das bedeutet allerdings nicht, daß die Regierung künftig auf Biotreibstoffe verzichten wird. Ihre Pläne sind von langfristiger Natur, und Deutschland ist auch gegenüber der Europäischen Union verpflichtet. Somit wäre in erster Linie mit einer Verschiebung der E-10-Einführung zu rechnen.

Langfristig hingegen werden vermutlich Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstandards eingeführt, die Biosprit "sauber" und "human" machen sollen. Bereits heute wird häufig Zuckerrohr und Jatropha als positive Beispiele für Energiepflanzen genannt. Das ist problematisch. Auch wenn Zuckerrohr kein typischer Konkurrent zu Nahrungspflanzen wie Soja oder Mais ist, so werden doch für seinen Anbau landwirtschaftliche Flächen vernutzt und Arbeitskräfte eingesetzt, auf deren Potential für die Herstellung von Lebensmitteln nicht verzichtet werden kann, wollte man versuchen, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.

Auch Jatropha, obgleich ungenießbar und hinsichtlich Bodenqualität und Wasserversorgung anspruchsarm, bietet keinen Ausweg. Erfahrungen haben gezeigt, daß die genügsame Pflanze eben nicht nur an unwirtlichen Hängen und in semiariden Zonen angebaut wird. Die Investoren von Jatrophafarmen haben selbstverständlich ein Profitinteresse - fette Böden mit einer permanenten Wasserversorgung lassen die Erträge beträchtlich steigen und die Geldbörsen anschwellen.

Die gegenwärtige Debatte um die Verwendung von E-10 zeigt, daß das Argument, einige Autos können den Treibstoff nicht tanken, für ungleich mehr Aufregung sorgt als Hungeraufstände in Afrika und die existentielle Not von zig Millionen Menschen, die unter anderem wegen der Biospritpolitik der EU und der USA ihre geringes Einkommen vollständig für Lebensmittel ausgeben müssen.

2. April 2008