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WASSER/220: Aliens in deutschen Flüssen - Belastete Gewässer haben größeres Invasionsrisiko (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 22.11.2012

Aliens in deutschen Flüssen - Belastete Gewässer haben größeres Invasionsrisiko



Frankfurt, den 22.11.2012. Mit Schadstoffen belastete Fließgewässer werden häufiger von eingeschleppten Arten besiedelt. Dies haben Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstitutes in Gelnhausen herausgefunden. Die Ausbreitung invasiver Arten hat massive Auswirkungen auf die Artenvielfalt und kann hohe Kosten verursachen. Die zugehörigen Studien sind kürzlich in den Fachmagazinen "Ecology and Evolution" und "Biological Invasions" erschienen.

Die Wollhandkrabbe fühlt sich wohl in Deutschland - ursprünglich in Ostchina beheimatet, ist der Flussbewohner als "blinder Passagier" auf großen Schiffen eingewandert und hat sich in Europa ausgebreitet.

1 Krabbe von oben fotografiert - Foto: © Timm Reinhardt

Die Wollhandkrabbe ist wegen ihrer Grabaktivität eher unbeliebt.
Foto: © Timm Reinhardt

"Invasive Arten wie die Wollhandkrabbe werden in den kommenden Jahren in den Flüssen und Bächen Deutschlands zunehmen", meint Dr. Stefan Stoll vom Senckenberg Forschungsinstitut in Gelnhausen. Der Wissenschaftler und sein Team haben fast 1000 Probenorte in Flüssen und Bächen auf das Risiko einer Invasion durch fremde Arten untersucht. "Wir haben herausgefunden, dass insbesondere belastete Gewässer ein erhöhtes Invasionsrisiko haben", ergänzt Stoll. "Die von uns untersuchten invasiven Arten - Schnecken, Muscheln, Flohkrebse und Asseln - verhalten sich dabei sehr ähnlich." Besonders an Orten mit erhöhter Salzbelastung, geringerer Sauerstoffsättigung und erhöhter Temperatur scheinen sich die vier verschiedenen Tiergruppen wohlzufühlen.

Doch warum breiten sich diese Neozoen bevorzugt in den bei der heimischen Fauna unbeliebten Gewässern aus? "Weil sie es können", sagt der Gelnhäuser Biologe. "Durch die Art ihrer Verschleppung sind die Tiere ein extremes Milieu gewöhnt. Daher werden invasive Arten begünstigt, die diese Bedingungen vertragen."

Die meisten aquatischen Zuwanderer werden im Ballastwasser großer Schiffe in fremde Gewässer transportiert. In die riesigen Tanks zur Stabilisierung von Schiffen wird wechselnd Süß- und Salzwasser gefüllt, die Temperatur schwankt und der Sauerstoff kann knapp werden. Diese Bedingungen überleben nur besonders stresstolerante Arten unter den blinden Passagieren.

Muschelmassen zwischen Ufergestein - Foto: © Heike Kappes

Massenvorkommen der Asiatischen Koerbchenmuschel am Niederrhein bei Wesel.
Foto: © Heike Kappes

"Die Zunahme des Schiffsfrachtverkehrs wird längerfristig auch zu vermehrten Invasionen führen", erläutert Stoll. Im viel befahrenen Rhein leben heute bereits allein über 45 Arten wirbelloser Einwanderer. "Heimische Arten haben ein doppeltes Nachsehen: Einerseits durch die Belastung der Gewässer und anderseits durch die Verdrängung durch die Neuankömmlinge."

Invasive Arten bedrohen die Artenvielfalt, denn meistens sind es die in anderen Regionen häufig vorkommende Arten, welche die Gewässer besiedeln und dabei heimische, seltene Arten verdrängen. "Man kann dabei von einer 'McDonaldisierungL sprechen", so der Biologe. "Überall gibt es nur noch das gleiche Angebot."

Und nicht nur aus Biodiversitätsaspekten sind die zugewanderten Wasserbewohner problematisch - sie kosten auch viel Geld. Angefangen bei den von Wollhandkrabben durchlöcherten Deichen über Zebramuscheln, die Filter verstopfen bis zu Grundeln, die als Laichräuber zum Rückgang einheimischer Fischarten und Einbußen in der Fischerei beitragen.

"Die Erkenntnis, dass Gewässerbelastung das Invasionsrisiko erhöht, zeigt uns aber auch im Umkehrschluss, dass eine Reduzierung der Gewässerbelastung und eine Renaturierung von Gewässern Vorsorgemaßnahmen sind, die das Invasionsrisiko senken", fasst Stoll zusammen.


Publikationen
  • Denise Früh, Stefan Stoll & Peter Haase (2012): Physico-chemical variables determining the invasion risk of freshwater habitats by alien mollusks and Crustaceans. Ecology and Evolution 2012; 2(11): 2843-2853
    DOI: 10.1002/ece3.382
  • Denise Früh, Stefan Stoll & Peter Haase (2012): Physicochemical and morphological degradation of stream and river habitats increases invasion risk. Biological Invasions 2012; Volume 14, Issue 11: 2243-2253
    DOI 10.1007/s10530-012-0226-9

Die Erforschung von Lebensformen in ihrer Vielfalt und ihren Ökosystemen, Klimaforschung und Geologie, die Suche nach vergangenem Leben und letztlich das Verständnis des gesamten Systems Erde-Leben - dafür arbeitet die SENCKENBERG Gesellschaft für Naturforschung. Ausstellungen und Museen sind die Schaufenster der Naturforschung, durch die Senckenberg aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse mit den Menschen teilt und Einblick in vergangene Zeitalter sowie die Vielfalt der Natur vermittelt.
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Judith Jördens, 22.11.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2012