naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 2/2021
"Moore - oder Die Wandlung der Sicht auf die Dinge"
von Jutta Zeitz und Vera Luthard - Moorexpertinnen
Sommer 1747, über den Sumpflandschaften zu beiden Seiten der Oder brodelt es, denn es stehen gewaltige Veränderungen bevor. Friedrich II. benötigt dringend Land, um durch die Ansiedlung von Kolonisten die menschenarmen Landstriche östlich von Berlin zu beleben. Dort, wo bisher nur Morast und Sumpf war, sollen auf satten grünen Wiesen künftig Kühe grasen. Aber dieser Plan - eine völlige Wandlung der Wasserverhältnisse - gefällt den Brüchern, wie sich die Einwohner der Gegend nennen, nicht. Bedeutet es doch Verschwinden ihres Reichtums, der sie bisher ge- und ernährt hat: Sumpfschildkröten, Hechte, Aale, Quappen etc. Reichtum hieß zu dieser Zeit: fangen, verkaufen, essen.(*) Wie dieser Kampf ausgegangen ist, wissen wir, so soll Friedrich nach den Meliorationen ausgerufen haben: "Ich habe eine Provinz im Frieden erobert ..." In der Zeitspanne seit der Moorentstehung war dieses Ereignis 'gestern'. Moorlandschaften haben in ca. 250 Jahren gravierende Veränderungen erfahren: feucht - nass - trocken - ... wieder nass? Heute ist der Blick auf Moore auf deren Klimawirkung fokussiert - doch Moore sind weit mehr als ein Haufen Kohlenstoff ...
Das Bundesumweltministerium legt in Kürze eine Morrschutzstrategie für
Deutschland mit diversen Selbstverpflichtungen vor, eine daran
knüpfende Bund-Länder-Vereinbarung ist in Vorbereitung,
Förderprogramme werden aufgelegt, das Land Brandenburg untersetzt laut
Koalititionsvertrag - wie zahlreiche andere Bundesländer auch -
derzeit sein ProMoor-Programm von 2013 mit einem handlungsorientierten
Moorschutzprogramm. Die Grundforderung aller Aktivitäten ist die
Wiedervernässung - nasses Wirtschaften oder Prozessschutz. Wie erklärt
sich dieser plötzliche Wandel der Ansprüche an die Wertschöpfung von
diesen Standorten? Neben der veränderten gesellschaftlichen Sicht auf
den Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen ist es vor allem die
Degradierung entwässerter Moorstandorte, die die weitere Nutzung nach
derzeitiger Wirtschaftsweise nicht mehr rentabel macht.
"Moore leben vom Wasser", dieser von Michael Succow, dem Nestor der Moorkunde, geprägte Satz hat inzwischen schon Lehrbuchcharakter. Durch Wasser entstehen Moore, Wasser erhält sie und Wasser wird benötigt, sie wieder zu renaturieren. In Brandenburg wachsen Moore, wo mineralstoffhaltiges Wasser an die Bodenoberfläche tritt oder zufließt. Sie werden im Gegensatz zu den Regen- oder Hochmooren als Niedermoore bezeichnet. Neben den nach der letzten Eiszeit vor ca. 11.500 Jahren entstandenen, gibt es jüngere Moore, die sich erst nach den großflächigen Waldrodungen in den Senken und Niederungen in großer ökologischer Vielfalt herausgebildet haben. Die speziell an die nassen Bedingungen angepasste Lebewelt wird nach ihrem Absterben aufgrund des Sauerstoffmangels nur unvollständig zersetzt. Es bildet sich als Verrottungsprodukt Torf. Dieser besteht je nach Bildungsbedingungen aus abgestorbenen Wurzeln, Ästen, Blättern und Sprossen von Seggen, Schilf, Erlen, Weiden oder Moosen. Die abgelagerten Torfschichten wachsen (sehr) langsam in die Höhe. Ein Meter Torfschicht bildet sich in ungefähr 1.000 Jahren. Die Torfe sind locker gelagert und haben vergleichsweise die höchsten Mengen an Wasser gespeichert. Von den Pflanzen während ihres Wachstums aufgenommenes Kohlendioxid (CO2) und Nährstoffe sind nach ihrem Absterben im Torf gebunden. Somit sind Moore zu extrem großen Kohlenstoff- und Nährstoffspeichern geworden. Aus bodenkundlicher Sicht bezeichnet man Landschaften als Moore, wenn sie Böden mit Torfen von mehr als 30 Zentimeter Mächtigkeit aufweisen. Von Torfen spricht man, wenn sie mehr als 30 Masseprozent organische Substanz (das entspricht ca. 15 Prozent an organischem Kohlenstoff) enthalten; oft sind es aber über 90 Masseprozent.
Ökologisch betrachtet sind naturnahe Moore Feuchtlebensräume, die eine torfbildende Vegetation aufweisen. Diese ist oft mosaikartig angeordnet und besteht aus Moosdecken, Rieden, Röhrichten, Gehölzen und/oder Wäldern, die von jeweils sehr moorspezifischen Arten gebildet werden. Derzeit gibt es naturnahe, wachsende Moore nur noch kleinflächig verstreut und stehen aufgrund ihrer Seltenheit in Deutschland unter Naturschutz. Für Mecklenburg-Vorpommern werden laut neueren Untersuchungen ca. 8.640 Hektar oder drei Prozent der Moorfläche als naturnah bzw. unentwässert genannt, für Brandenburg geht man von ca. 3.000 Hektar aus.
Die Entwässerungen in den großen Moorniederungen in mehreren Kampagnen
- die letzte in den 1970er-Jahren - lösten folgende Prozesse aus: Die
sehr porösen und somit wasserspeichernden Torfe verlieren an Auftrieb,
sacken zusammen und infolge des Endringens von sauerstofferfüllter
atmosphärischer Luft kommt es zur chemisch und mikrobiell bedingten
Oxidation. Die Moorfläche verliert an Geländehöhe und wird immer
unebener. Aus den oxidierten Torfen entweicht das Treibhausgas
Kohlendioxid. Gleichzeitig verändert sich die Struktur des Oberbodens -
je nach Intensität dieser Prozesse degradiert das Moor und weist
vererdete oder vermulmte Torfe auf. Dadurch verändern sich alle
Bodeneigenschaften: höhere Bodendichte, geringere Porosität und
Wasserleitfähigkeiten führen zu dem phasenhaften Auftreten von Pfützen
mit Stauwasser nach starken Regenereignissen. Grundwasser kann nicht
mehr ausreichend aufsteigen und die Wasserspeicherfähigkeit geht
verloren, sodass die Pflanzen in Trockenphasen absterben.
Einfluss/Bedeutung/Auswirkung der Entwässerungen auf die
Bodenentwicklung.Quelle: Steckbriefe Moorsubstrate, Teil 1:
Einführung (Grafik Watzke-Design)
https://e-docs.geo-leo.de/handle/11858/8054
Degradierte Moore haben für die Produktion von Biomasse bei
traditioneller Agrarwirtschaft erheblich an Bodenfruchtbarkeit
verloren. Insbesondere in den trockeneren ostdeutschen Regionen ist
weiterhin mit einem jährlichen Höhenverlust der Moorfläche unter
Grünland von ein bis zwei Zentimetern und unter Ackernutzung von bis
zu drei Zentimetern zu rechnen. Es ist zu befürchten, dass in den
nord-ostdeutschen Mooren in den nächsten Jahrzehnten infolge
Klimaänderung mit verstärkter Sommertrockenheit und Temperaturanstieg
die Bodendegradierung sowohl in der Fläche als auch im Ausmaß zunimmt,
die Erträge und die Ertragsqualität weiter fallen und in Abhängigkeit
der aktuellen Witterung vor allem unplanbar sind.
Anfang Texteinschub
INFO
Verbreitung und Nutzung der Moore in Deutschland
Deutschland hat ca. 1,4 Millionen Hektar Moore, davon mit über 1
Million Hektar den größeren Anteil Niedermoore, ca. 340.000 Hektar
sind Hochmoore. Der Schwerpunkt der Verteilung ist eng verknüpft mit
den geomorphologischen Gegebenheiten für eine Moorentstehung, das sind
die großen Niederungen Norddeutschlands und des Alpenvorraums, welche
durch die Eiszeiten geprägt wurden, die vermoorten Flussauen und deren
Altarme sowie die ausgedehnten Hochmoore Nordwestdeutschlands und des
Voralpenraums. Mit kleineren Flächen sind auch noch die
Mittelgebirgslandschaften zu nennen.
Moore und die mit ihnen vergesellschafteten Böden (z. B. Anmoore), die
zwar auch sehr hohe Kohlenstoffgehalte aufweisen, aber im engeren
Sinne nach Definition nicht zu den Mooren zählen, werden aufgrund der
Bedeutung für den Klimaschutz und der Gefährdung einer THG-Freisetzung
durch Entwässerung als 'organische Böden' zusammengefasst.
Die Bundesländer mit einem sehr hohen Anteil an organischen Böden
sind: Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Bayern und
Schleswig-Holstein. Aber auch die 'Stadtstaaten' weisen Moore und
Anmoore auf; so befinden sich in Bremen mit ca. 5.700 Hektar ca. 13
Prozent des Bundeslandes auf 'sumpfigem' Grund. Für Berlin konnten 740
Hektar Moorflächen nachgewiesen werden. Fast dreiviertel der Moore
(ohne Unterteilung in Niedermoor, Hochmoor und vergesellschaftete
Böden) werden als Grünland oder Acker landwirtschaftlich genutzt,
davon ist mit 21 Prozent der Anteil an Ackernutzung erschreckend hoch.
Ende Texteinschub
Je nach Wasserstand können Moore Treibhausgase speichern oder abgeben. Quelle: Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt
Eine Besonderheit der Moore im Vergleich zu anderen Landschaften und ihren Böden ist ihr extrem hoher Gehalt an gespeichertem Kohlenstoff; Ergebnisse der deutschlandweit durchgeführten Bodenzustandserhebung landwirtschaftlicher Böden zeigte, dass Moore im Vergleich zu Mineralböden bis in eine Tiefe von einem Meter fünfmal mehr Kohlenstoff gespeichert haben. Die vom Wasserstand abhängige Dynamik der Emission von Treibhausgasen (THG) ist in Mooren am stärksten ausgeprägt. In naturnahen Mooren liegt Kohlenstoff gebunden vor und geringe Mengen an Methan (CH4) werden in die Luft abgelassen. Durch Entwässerung wird der gebundene Kohlenstoff als Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre emittiert; auf stickstoffreichen Standorten wird außerdem Lachgas (N2O) freigesetzt, das 265mal klimaschädlicher ist als CO2. Entwässerte Moore werden so zur Quelle von THG und tragen erheblich zur Klimabelastung bei.
Es sind aber nicht nur die abiotischen Verschlechterungen und die Freisetzung der THG, die gegen eine auf Entwässerung fußende Landnutzung der Moore sprechen. Während die extensive Feuchtwiesennutzung bis Mitte des vorigen Jahrhunderts vor den komplexen Meliorationen noch Rückzugsräume für viele feuchte- und moorbedürftige Arten boten, sind auch diese Lebensräume heute bis auf kleine Inseln weitgehend verloren gegangen. Der Extensivierungsschub nach der Wende führte zwar zu einer gewissen Verbesserung und einige Feuchtwiesenarten konnten davon profitieren, aber da diese landwirtschaftlichen Förderprogramme nicht mit einer höheren Wasserhaltung gekoppelt waren, gingen auch dort die oben geschilderten Prozesse verlangsamt, aber kontinuierlich weiter. Im Ergebnis erleben wir heute auch auf diesem Grünland zunehmenden Artenschwund. Um diese einheimische Vielfalt an spezifischer Lebewelt zu erhalten und neue Lebensräume anzubieten, sind Moorrenaturierung sowie die nasse Moornutzung die einzigen Wege.
Es gibt kaum eine Ökosystemgruppe, in der sich Klima-, Boden-,
Gewässer- und Biodiversitätsschutz so synergetisch verbinden lassen
wie bei den Mooren, und das auch unter den Bedingungen einer an
Nachhaltigkeitskriterien orientierten Landnutzung. Neben der
Unterschutzstellung wiedervernässter Moore wird seit einigen Jahren
die Idee diskutiert, für die wiedervernässten Moore neuartige
Wertschöpfungsketten zu etablieren und zwar mit den Produkten, die das
Moor selbst liefern kann: die sogenannte Paludikultur, was so viel
bedeutet wie 'Landbau auf Sumpf'. Greifswalder Wissenschaftler* innen
sind bei der Erforschung zu Technologien, Produktnutzungen und
ökonomischen Aspekten führend; sie beschreiben Paludikultur als Teil
einer ganzheitlichen Lösung, definieren und propagieren ein 'wet
livelihoods', ein Einkommen durch Honorierung von Ökosystemleistungen.
Diese Nutzung weicht in jeder Beziehung von der traditionellen ab und
wurde in den letzten zwei Jahrzehnten erforscht, oft mit
Praxisbetrieben, die aus der geernteten nassen Biomasse (Schilf,
Rohrkolben u. a.) marktfähige Produkte erzeugt haben. Noch bedarf es
weiterer Entwicklungsarbeit und auch die rechtlichen sowie
förderpolitischen Rahmenbedingungen benötigen Änderungen.
Entwässerte Moorböden werden vor allem für Grünland aber auch für Ackerland genutzt.Quelle: Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) im Umweltbundesamt
Klar ist, dass die bisherige, auf Entwässerung beruhende Moornutzung
in eine Sackgasse führt und gemeinsam Alternativen auf nassen Mooren
entwickelt werden müssen. Nur so können diese Landschaften in eine
Zukunft geführt werden. Es gilt: Die veränderten Nutzungsformen müssen
an die (zukünftigen) Standortverhältnisse angepasst werden und nicht
umgekehrt! Und es braucht Mut und Visionen für Neues. "Die Probleme,
die es in der Welt gibt, sind nicht mit den gleichen Denkweisen zu
lösen, die sie erzeugt haben" (A. Einstein).
Früher
Ökonomisch
Ökologisch
• -
Befindlichkeiten
Anpassung des Lebensraums für den Menschen
Heute
Ökonomisch
Ökologisch
• Arten- und Biotopschutz
Befindlichkeiten
Zukünftig
Ökonomisch
Ökologisch
Befindlichkeiten
Anmerkungen:
(*) Norman Ohler
"Die Gleichung des Lebens"
416 Seiten
Kiepenheuer&Witsch 2017
ISBN 978-3-462-05285-5
Bildunterschriften
der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der
Originalpublikation:
LINKS
Moorschutzstrategie
www.bmu.de/DL2596
Paludikultur
www.moorwissen.de/de/paludikultur/paludikultur.php
www.greifswaldmoor.de/aktuelles.html#373
Torffrei gärtnern
www.bund.net/bundtipps/detail-tipps/tip/torffrei-gaertnern-moore-und-klimaschuetzen/
Moorpate werden
www.nabu.de/spenden-und-mitmachen/patenschaften/moor/index.html
www.bundbrandenburg.de/mitmachen/moorpaten/
*
Quelle:
naturmagazin, 35. Jahrgang - Nr. 2, Juni bis August 2021, S. 4-8
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
NaturSchutzFonds Brandenburg, Stiftung öffentlichen Rechts
Natur+Text GmbH
Anschrift der Redaktion:
Natur+Text GmbH
Friedensallee 21, 15834 Rangsdorf
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 13. August 2022
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