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FORSCHUNG/293: Wattenmeer - Wiege der ökologischen Forschung (NPN)


Nationalpark Nachrichten - Oktober-Dezember 2010
Informationsblatt aus dem Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer

Monitoring - die Spinne im ökosystemaren Netz

Von Dr. Klaus Koßmagk-Stephan


Das Wattenmeer ist eine Wiege der ökologischen Forschung. Prof. Karl August Möbius (1825-1908) erforschte schon Anfang des vorletzten Jahrhunderts die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Lebewesen einer Austernbank. Er prägte dafür den Begriff der Biozönose oder "Lebensgemeinde. Dieses Biozonose-Konzept hat bis heute Gültigkeit. Die Frage nach der Gesamtheit des Wattenmeeres im Zusammenspiel mit seinen Einzelteilen und den Reaktionen auf äußere Einflüsse hat auch die Geschichte des Nationalparks von Anfang an bewegt.

Auch wenn bereits viel im Wattenmeer geforscht war, es bestand großer Bedarf sowohl an grundlegenden Struktur- und Prozessdaten als auch an handfester Politikberatung. Der junge Nationalpark von 1985 musste geschützt und im Einklang mit den traditionellen Nutzungen entwickelt werden. Das Großforschungsvorhaben "Ökosystemforschung Wattenmeer" begann folgerichtig 1989 und wurde 1996 mit dem Synthesebericht abgeschlossen. Die UNESCO würdigte den Vorbildcharakter dieses Vorhabens und erkannte es als internationales Pilotprojekt im Rahmen des Programms "Der Mensch und die Biosphäre" an, In der Region stieß der Ergebnisbericht hingegen auf kräftigen Widerstand.

Fachlich und inhaltlich lieferte die Ökosystemforschung jedoch die gewünschten Ergebnisse, die als Grundlage für viele Planungen und Maßnahmen dienten, die wir heute als selbstverständliches Nationalparkinventar ansehen, Nicht nur die Novellierung des Nationalparkgesetzes 1999 geschah auf der Grundlage der Ökosystemforschung, auch die Erweiterung des Biosphärenreservats, das Besucherinformationssystem (BIS) oder das Vorlandmanagementkonzept haben dort ihre Ursprünge.

Für das Wattenmeermonitoring legte die Ökosystemforschung eine wichtige Grundlage. Angetrieben durch die erste Seehundepedemie im Jahr 1988 war der Bedarf nach verlässlichen Informationen über den Qualitätszustand des Wattenmeers für die Verwaltungen und die Politik groß - nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern im gesamten Wattenmeer der Niederlande, Deutschlands und Dänemarks, Mit den Erkenntnissen aus der Forschung konnte ein fachlich fundiertes und zugleich lEinanzierbares, wattenmeerweit harmonisiertes Umweltbeobachtungsprogramm etabliert werden. Das Trilaterale Monitoring und Bewertungsprogramm (TMAP) ist eine wesentliche Säule der mehr als 30 Jahre währenden fruchtbaren Zusammenarbeit der drei Staaten zum Schutz des weltweit einzigartigen Großökosystems Wattenmeer.

Heute können wir zeitnah und zeitgemäß berichten, dass die Zahl der Seehunde bei uns im Nationalpark auch nach zwei Seehundepedemien auf stattliche 10.000 Tiere angewachsen ist. Wir wissen ganz sicher, dass der Mauserbestand der nahezu gesamten europäischen Brandganspopulation im Dithmarscher Wattenmeer von einem Maximum von 220.000 Tieren vor 10 Jahren mittlerweile deutlich zurückgegangen ist, auch wenn wir (noch) nichts über die Ursachen wissen. Wir wissen um den besorgniserregenden Rückgang einzelner Brutvogelarten wie Sand- und Seeregenpfeifer und haben Wissenschaftler für die Ursachenforschung interessieren können.

Wir wissen auch, dass Karl Möbius heute vergeblich nach "seiner" europäischen Auster suchen würde. Sie ist ausgestorben - vermutlich durch Überfischung und sich änderndes Klima, Ihre "Nachfolge" hat die Pazifische Auster angetreten, vom Menschen in europäische Gewässer eingebracht. Sie konnte sich im erwärmenden Klima gut vermehren und hat eine Reihe von Begleitarten mitgebracht. Das Problem der Neobiota wird zukünftig viel Aufmerksamkeit erfordern. Der Wandel im Ökosystem Wattenmeer bleibt also weiter Programm.

www.waddensea-secretariat.org/QSR-2009/index.htm


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Sedimentationsmessungen in Salzwiesen
• Aus ganz Europa zu Gast: Die Brandgans
• Muschel mit Migrationshintergrund: Die Pazifische Auster kam als Zuchtauster in europäische Gewässer.


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Quelle:
Nationalpark Nachrichten 10-12/2010, Seite 5
Herausgeber:
LKN / Nationalparkverwaltung Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer
Schlossgarten 1, 25832 Tönning
Tel.: 04861/616-0, Fax: 04861/616-69
www.wattenmeer-nationalpark.de

Die Nationalpark Nachrichten erscheinen etwa 4 mal jährlich und sind kostenlos


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2010