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WALD/169: Wandern durch digitale Wälder (ForschungsReport)


ForschungsReport 1/2011
Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz

Wandern durch digitale Wälder

Von Astrid Artner-Nehls, Hans-Peter Ende, Susanne Hecker und Rosemarie Siebert (Müncheberg)


Wie wird ein wieder aufzuforstendes Stück Wald zukünftigen Anforderungen gerecht? Wie sieht ein solcher Wald in 50 Jahren aus? Fragen, die aufgrund der langsamen Wuchsdauer von Bäumen bislang nur abstrakt und wenig anschaulich beantwortet werden konnten. Ein neues Verfahren schafft hier Abhilfe: Am Computer lassen sich Waldentwicklungen modellieren und in einer dreidimensionalen Ansicht realitätsnah visualisieren.

Als am 18. Januar 2007 der Orkan Kyrill mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 225 km/h über Deutschland hinweg fegte, fällten seine Böen gewaltige Bäume und hinterließen Flächen, die zuvor mit Bäumen bestanden waren, im hölzernen Durcheinander - gleich einem frisch ausgespielten Mikado.

In der Ruhe nach dem Sturm, nachdem das gröbste Chaos beseitigt und alles Brauchbare verwertet worden war, wurde der akute Handlungsdruck spürbar. Es stellte sich die Frage: Was nun? Weiter wie bisher? Die Flächen der Natur überlassen oder eine komplett neue Bewirtschaftung anstreben? Manch einer zuckte resigniert mit den Schultern: "Solche Extremereignisse können wir Menschen ohnehin nicht beeinflussen!"

Das kam für die Verantwortlichen einer 16 Hektar große Fläche der Stiftung Schorfheide-Chorin im Landkreis Barnim an der Grenze zur Uckermark nicht in Frage. Ihnen war klar: Bei der Um- und Neugestaltung ihrer Flächen sollte darauf geachtet werden, dass die Bestände weniger anfällig sind und in Zukunft ein geringeres Risiko besteht, solche Totalausfälle auch nach extremen Wetterereignissen zu erleben. Die Herausforderung war groß, der Handlungsspielraum enorm: Nur in den seltensten Fällen stehen Forstwirte vor der Aufgabe, ein Waldgebiet komplett neu zu gestalten. Wie eine solche Aufgabe zu bewältigen ist, darüber besteht dank Forschung und Praxis ein großes Wissen.


Wünsch dir was: Wald der Zukunft

Die Anforderungen an Waldflächen in der Landschaft sind in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen: Den meisten Bürgerinnen und Bürgern ist ein ökologisch ausgewogener Baumbestand wichtig. Wald soll außerdem ästhetisch attraktiv sein, zur Freizeitgestaltung genutzt werden können und vielfältige Schutzfunktionen bieten: Trinkwasserschutz, Lärmschutz, Erosionsschutz und nicht zuletzt Naturschutz, damit sich nicht nur Fuchs und Hase auch morgen noch Gute Nacht sagen können und der Waldbach auch im nächsten Jahr noch möglichst viele Pflanzenarten ernährt. Neben diesen ästhetischen und ökologischen Fragen spielt aber auch die Wirtschaftlichkeit des Waldes eine große Rolle. Wer Wald besitzt, hat laufende Kosten und muss immer wieder investieren. Nur mit dem Verkauf von gutem Holz, das den Anforderungen der Käufer entspricht, kann ein Forstbetrieb "rote Zahlen" vermeiden, sonst wird der Waldbesitz schnell zu einem "teuren Hobby" (Abb. 1).

Im Idealfall können die Forstwirte aus diesen vielfältigen Erwartungen der unterschiedlichen Nutzergruppen ein Leitbild stricken, das für ein Waldgebiet gelten soll. Dafür müssen sich die Vertreter der unterschiedlichen Nutzergruppen aber untereinander verständigen. Es muss oftmals ein Kompromiss ausgehandelt und die Interessen gegenseitig ausgeglichen werden. Das ist nicht in einer einmaligen Gesprächsrunde zu klären - hier bedarf es eines Prozesses, um zunächst eine gemeinsame sprachliche Grundlage zu finden.


Ein Wald ist kein Weizenfeld

Wenn es darum geht, Visionen zur Zukunft unseres Lebensraumes zu entwickeln, sollten die unterschiedlichen Nutzer- und Bevölkerungsgruppen in einem demokratischen Prozess daran beteiligt sein. Das gilt auch für den Wald, der gerade in Deutschland kulturell einen besonders hohen Stellenwert hat. Entscheidungen über die Art der Anpflanzungen zeigen ihre volle Wirkung nicht gleich morgen. Anders als bei der Fruchtfolgeplanung einer Ackerfläche kann der Planungshorizont bei einem Wald leicht mehrere Jahrzehnte ausmachen. Viele Ziele der Entwicklung von forstwirtschaftlich geprägten Landschaften berühren direkt oder indirekt visuelle bzw. ästhetische Aspekte. Wer heute die Wirkungen forstwirtschaftlicher Maßnahmen auf das Landschaftsbild in den Entscheidungsprozess einbinden möchte, und den Nutzern ganz konkret ein Bild davon geben möchte, wie die umgesetzten Ideen im Jahr 2050 aussehen - der benötigt eine Darstellung, die eine sachgerechte Einschätzung und eine Vergleichbarkeit bieten. Oftmals ist es für die Beteiligten nicht einfach, sich den Wald vorzustellen, der dem möglichen Leitbild entspricht. Wissenschaft und Forschung haben sich dieser Herausforderungen angenommen und Prozesse und Tools entwickelt, genau das zu visualisieren.


Vom Wort zum Bild Das BMBF-Verbundforschungsvorhaben "Nachhaltige Entwicklung von Waldlandschaften im Nordost deutschen Tiefland (NEWALNET)" widmete sich zwischen 2005 und 2009 der nachhaltigen Entwicklung von Wirtschaftswäldern auf vergleichsweise guten Standorten nördlich von Berlin. Das heißt, neben der Frage der Ökologie ging es auch um die Wirtschaftlichkeit der Waldnutzung, aber auch - gerade aufgrund der Multifunktionalität von Wald - um soziale Aspekte.

NEWAL-NET bestimmte, ausgehend von der eingehenden Analyse dieser Flächen, für unterschiedliche Standorte eine optimale Zusammensetzung der Wälder. Das heißt, es wurde das Leitbild des standortplastischen Laubwaldes für definierte Standorte "geschärft". Parallel dazu wurde ermittelt, welche Auswirkungen ein (zukünftig vermehrter) Anbau dieser Laubmischwälder auf die Ökonomie und Ökologie der Region hätte. Diese Folgenabschätzung stützt sich vorwiegend auf Computermodelle. Ausgehend von vorhandenen Daten, Klima- und Landschaftsmodellen wurden in Szenarienrechnungen ausgewählte ökonomische und ökologische Kennzahlen errechnet und bewertet. Diese Modelle sind ursprünglich für andere Standorte entwickelt worden. Sie mussten jeweils für das zur Diskussion stehende Waldstück angepasst und kalibriert werden.

Als Plattform für einen konkreten Aushandlungsprozess diente im Rahmen von NEWAL-NET die Stiftung Schorfheide-Chorin als Praxispartner. Viele Akteure aus Forstpolitik, Wissenschaft, Naturschutz und Holzindustrie waren an diesem Prozess beteiligt. Nachdem sie eine gemeinsame Sprache gefunden hatten - nicht zuletzt durch das Ausräumen von Missverständnissen zwischen Forschung und Praxis - konnte das Leitbild des klimaplastischen Waldes in der Region stärker präzisiert werden. In dem gemeinsamen Prozess wurde deutlich: Leitbilder müssen bildhaft sichtbar sein, um sich darüber verständigen zu können. Im Verbund SILVISIO, gefördert im Rahmen des BMBF-Förderschwerpunkts "Nachhaltige Waldwirtschaft", wurde daher für einen Quadratkilometer Stiftungswald eine hochauflösende Visualisierung als Realszenario in 3D umgesetzt. Das Besondere an dieser visuellen Darstellung: Man kann sich in diesem Wald bewegen, sei es als Wanderer oder per Hummelflug (Abb. 2-4). Ziel der Visualisierungen war es einerseits, sich ein Bild zu machen, wie die Planung einer Waldfläche in 30, 40 oder 50 Jahren aussehen könnte. Andererseits war es den Forschern und Beteiligten möglich, durch die Visualisierung und Simulation zukünftiger Waldzustände Verständigungsschwierigkeiten zwischen den "Fachsprachen" zu auszuräumen. So konnten Konfliktpotenziale durch die Visualisierung im Vorhinein offensichtlich gemacht und reduziert werden.


Visualisierung und Umsetzung

Bei der Visualisierung wurde Wert darauf gelegt, den Akteuren ein realitätsnahes Bild zu zeigen, das nicht durch computergrafische Artefakte dominiert wird.

Dazu gehörte, dass die Visualisierung nicht, wie sonst oft üblich, auf einem lose im Raum schwebenden Rechteck dargestellt wird. Die Landschaft sollte in ihrem natürlichen Kontext dargestellt werden. Die umliegende Region wurde daher mit einbezogen und bietet dem Auge einen zuverlässigen Horizont. Von einer beliebigen Szene der Landschaft können interaktiv beliebige Ansichten erzeugt werden. Dies betrifft vorrangig die Wahl des Blickpunkts: Man kann sich als Spaziergänger in relativer Bodennähe fortbewegen, sich auf der Höhe der Wipfel begeben oder nach Belieben als Vogel oder Satellit über die Landschaft fliegen. Die Visualisierung bietet weitere Einstellungen: So kann der Stand der Sonne aus Jahres- und Tageszeit berechnet und entsprechend dargestellt werden. Das ermöglicht die Wiedergabe konkreter Lichtsituationen (Abb. 5).

Die beste Visualisierung bleibt jedoch das praktische Beispiel. Die Stiftung Schorfheide-Chorin hat die 16 Hektar große Sturmwurf-Fläche schließlich als Lernort für den klimaplastischen Wald neu bepflanzt. In Abstimmung mit den Wissenschaftlern entschieden sich die Verantwortlichen für eine kleinflächige, gruppenweise Baumarten-Mischung unter Ausnutzung kleinstandörtlicher Unterschiede. Dadurch konnten die einzelnen Bäumchen jeweils in ihrem möglichen Optimum starten. Buchen, Eichen und Linden werden hier einmal den zukünftigen Waldbestand prägen. Dazu wurden einzelne Vogelkirschen, Spitzahorne und Elsbeeren gepflanzt - Baumarten, deren Wert vor allem im Naturschutz liegt. Wenn sie einmal groß sind, können sie aber durchaus sehr gefragtes Wertholz liefern.

Dipl.-Ing. Astrid Artner-Nehls, Dr. Hans-Peter Ende, Susanne Hecker, M.A., Dr. Rosemarie Sieber, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF), Eberswalder Str. 84, 15374 Müncheberg. E-Mail: susanne.hecker[at]zalf.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Den Wald sich selbst überlassen? Wird das Holz nicht verwertet, ist ein Wald nicht wirtschaftlich nutzbar.

Abb. 2-4: Ausschnitte aus einer Sequenz der 3D-Visualisierung eines klimaplastischen Waldes in Zusammenarbeit mit dem BMBFVerbund SILVISIO (Wieland Röhricht, ZALF / Lenné3D 2009).

Abb. 5: Wald, 3D-visualisiert in der Landschaftsperspektive


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
1/2011, Heft 43 - Seite 9-11
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Schriftleitung & Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsanstalten
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut (vTI)
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2011