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INITIATIVE/193: Grünlandresolution - Für eine multifunktionelle Landwirtschaft (BUND BW)


BUND Landesverband Baden-Württemberg e.V. - 18. November 2009

Naturschutzverbände veröffentlichen Grünlandresolution

Welche Zukunftsperspektiven haben unsere Landwirtschaft und Kulturlandschaft in den Mittelgebirgen?


Acht südwestdeutsche Naturschutzverbände sorgen sich um die Zukunft der bäuerlichen Betriebe, die Qualität der Nahrungsmittel, die Schönheit der Landschaft und den Erhalt der Biodiversität. In der "Freiburger Resolution" vom 11.11., die heute der Presse vorgestellt wurde, stellen sie am Beispiel des Schwarzwaldes folgende Forderungen auf:

- Die Wiesen und Weiden der Mittelgebirge wie etwa des Schwarzwaldes müssen weiterhin einer Nutzung unterliegen. Sie prägen die Landschaft, sind Lebensräume gefährdeter Pflanzen- und Tierarten und verdienen daher besonderen Schutz und Pflege.

- Wir fordern eine Abkehr von der bisherigen Landwirtschaftspolitik einer einseitigen Produktionsoptimierung und dem Ziel der Gewinnoptimierung. Diese führt zur Intensivierung der Produktion bis hin zur Überproduktion, qualitativ schlechteren Nahrungsmitteln, Umweltbelastungen durch Überdüngung und Emissionen und einem Verlust von bäuerlicher Vielfalt und Kultur.

- Wir fordern eine Produktion in Anlehnung an das europäische Agrarmodell der multifunktionellen Landwirtschaft. Leistungen der Grünlandbewirtschaftung, die über Milch- und Fleischerlöse nicht abgegolten werden, müssen angemessen honoriert werden!

- Bäuerliche Familienbetriebe müssen wirtschaftlich in ihrem Überleben gesichert werden. Höfe mit extensiver Nutzung, mit Flächen in Steillagen, naturschutzfachlich wertvollen Lebensräumen sowie alten Tierrassen sind daher durch Ausgleichszahlungen und Investitionshilfen zu fördern, um Eigenart und Schönheit der Landschaft zu erhalten. Die Erhaltung der Wiesen und Weiden muss zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern erfolgen.

- In der Landwirtschaft sollten auch Nutzungssysteme tragbar sein, welche auch das Heu von artenreichen Magerwiesen verwerten können. Der immer größere Anteil von Kraftfutter in den Futterrationen der Hochleistungskühe und Mastrinder entkoppelt regionale Kreisläufe, führt zur Nutzungsaufgabe von Grünlandflächen und zur Intensivierung von Ackerflächen. Kraftfutterimporte aus Übersee führen auch zu Flächenkonkurrenz mit den Kleinbauern sowie zur Vernichtung von Urwald. Damit werden Kleinbauern in der dritten Welt ebenso in ihrer Existenz bedroht, wie die Bauern im Schwarzwald.

- Der ländliche Raum muss ganzheitlich als Lebensraum erhalten und entwickelt werden.

Bezüglich der kommenden Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU im Jahr 2014 ist ein Paradigmenwechsel anzustreben. Wir fordern eine Abkehr von der Förderung einer immer intensiver wirtschaftenden, spezialisierten, von den natürlichen Kreisläufen entkoppelten Landwirtschaft mit immer weniger Höfen.

- Der Umbau der heutigen "Milchquoten" zu "Flächenprämien" im Jahr 2013 GAP ist an nachhaltige Umwelt- und Ressourcenschonung zu orientieren, und nicht flächenpauschal zu zahlen .

- Die Entwicklung des Ländlichen Raumes über die 2. Säule muss gestärkt werden. Die multifunktionale Rolle der europäischen Landwirtschaft ist über die Ausgleichszulage Berggebiet, Agrarumweltprogramme wie MEKA, sowie Investitionsförderung zu unterstützen.

- Angesichts der begonnenen Klimaveränderung muss eine klimaschonende Landwirtschaft gefördert werden, wobei dem Grünland eine besondere Rolle zufällt.

ARGE Landnutzung
Badischer Landesverein für Naturkunde und Naturschutz (BLNN)
BUND Baden-Württemberg
Forum_pro_Schwarzwaldbauern
Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV)
Naturfreunde Baden
Naturschutzbund (NABU) Baden-Württemberg
Schwarzwaldverein


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Freiburger Resolution zur Erhaltung der Wiesen und Weiden im Schwarzwald

1. Die aktuellen Entwicklungen laufen in die falsche Richtung!
Steigende Kosten und fallende Milchpreise haben in den letzten Jahren die Situation der Schwarzwaldbauern stark verschlechtert. Folgen sind Betriebsaufgaben und Rückzug aus "Grenzertragsstandorten" auf der einen Seite, Betriebsvergrößerungen und Intensivierung vieler verbliebener Bauernhöfe auf der anderen Seite. Damit verändern sich das Leben der Bewohner und das Landschaftsbild. Besonders betroffen ist das Grünland, also die Wiesen und Weiden, als Produktionsstandort und als Lebensraum für bedrohte Arten.

2. Was wollen wir?
Die vielfältige Schwarzwaldlandschaft und ihre Grundlage, die bäuerliche Landwirtschaft mit ihren Nutzungsmöglichkeiten und Nutzungstechniken, muss erhalten und standortsangepasst weiter entwickelt werden.
Die Wiesen und Weiden des Schwarzwaldes sind Resultat bäuerlicher Landnutzungen und müssen weiterhin einer Nutzung unterliegen. Sie sind Lebensräume gefährdeter Pflanzen- und Tierarten, prägen die Landschaft im Schwarzwald und verdienen daher besonderen Schutz.
Zentral wichtig ist es, die ökologischen Prozesse zu steuern: Düngung ist standörtlich zu differenzieren und in maßvolle Bahnen zu lenken. Landwirtschaft sollte mit Nutzungssystemen erfolgen, welche auch produktionsschwachen Grünlandaufwuchs verwerten können.
Bäuerliche Familienbetriebe müssen auch wirtschaftlich in ihrem Überleben gesichert werden. Höfe mit extensiver Nutzung, mit Flächen in Steillagen, naturschutzfachlich wertvollen Lebensräumen sowie alten Tierrassen sind daher besonders zu fördern, um Eigenart und Schönheit der Landschaft zu erhalten. Die Erhaltung der Wiesen und Weiden muss zusammen mit den Bäuerinnen und Bauern erfolgen.

3. Was muss geschehen?
Daraus ergeben sich folgende Forderungen und
Handlungsnotwendigkeiten:
(1) Das einmalige "Kulturerbe Grünland" muss in seiner Vielfalt erhalten werden!
(2) Leistungen der Grünlandbewirtschaftung, die über Milch- und Fleischerlöse nicht abgegolten werden, müssen angemessen honoriert werden!
(3) Landwirtschaft und Naturschutz müssen im Sinne der Multifunktion der Wiesen und Weiden gedanklich und fördertechnisch zusammengeführt werden!
(4) "Überbürokratisierung" ist eine besondere Gefahr!
(5) Der ländliche Raum muss GANZHEITLICH entwickelt werden!

4. Wie können diese Ziele erreicht werden?
4.1. Ausbildung und Beratung
• Neue Ideen und naturschonende Ansätze müssen gelehrt und gefördert werden!
- In landwirtschaftlicher Aus- und Weiterbildung sowie Beratung muss die Multifunktion des Grünlandes wie der Landwirtschaft allgemein im Zentrum stehen.
- Die bisherigen Bildungswege (Landwirtschaftsschule, BLHV Bildungswerk u.a.) müssen das europäische Agrarmodell der multifunktionellen Landwirtschaft (Fischler/Heissenhuber) als Alternative zum industriellen Modell im Bewusstsein auf allen Ebenen (Wissenschaft, Ausbildung, Beratung, Praxis) verankern und verbreiten. Direktzahlungen sind als Honorierung von Leistungen für die Gesellschaft zu betrachten.
- Neue Ansätze wie BUS Kurse, Bauern- und Unternehmerschulung der Andreas Hermes Akademie, Angebote der Bioland Beratungs-GmbH, Teleakademie für Schwarzwaldbauern sollten in die landwirtschaftliche Ausbildung integriert und gezielt gefördert werden, um einen Wettbewerb für Innovative Ansätze zu initiieren.
- Besonders für ungünstigere Böden und Lagen sind Strategien der Kostensenkung unter Beibehaltung einer standortgerechten Nutzung zu erproben und zu beraten.

4.2. Ländliche Entwicklung und Landschaft
Leistungen der Landwirtschaft, welche über die Produktion von Agrargütern hinausgehen und der Gesellschaft insgesamt zugute kommen, müssen angemessen honoriert werden (Erhaltung von Landschaftsbild und Biodiversität).

4.2.1. Ausgleichszahlungen
- Langfristige Sicherung und inhaltliche Weiterentwicklung der staatlichen Ausgleichszahlungen, die in Grünlandbetrieben in der Regel über Gewinn oder Verlust der Landwirtschaft entscheiden.
- Zusätzliche Umweltleistungen der Landwirtschaft sind über MEKA oder LPR abzugelten.
- Die Ausgleichszulage ist aktueller an den tatsächlichen Benachteiligungen wie Höhenlage, Hangneigung etc. zu bemessen, denn gerade an ungünstigen Standorten werden überdurchschnittliche Umweltleistungen erbracht Beispiel Österreich: Förderung basiert auf individuellem Hofkataster mit genauen Daten der landschaftlichen Benachteiligung
- Die Haltung von regionalen Hinter- und Vorderwälder Rindern als klassische Weiderinder (Weidetauglichkeit, Rauhfutterverwertung) ist auch weiterhin angemessen über MEKA zu honorieren.
- Artgerechte Weidehaltung ist zu fördern!
- Das geplante Verbot der Anbindehaltung ist zu überdenken. Monatelang auf der Weide gehaltene Rinder, die danach im Winter im Laufstall gehalten werden, lassen sich schwer einfangen und gefährden durch aggressives Verhalten die Landwirte ("Verwilderung"). Darüber hinaus erfordern die Investitionen in Stallum- und Neubauten die Aufgabe von Kleinbetrieben und damit die Gefährdung von kleinstrukturierten Landschaften.
- Zum Ausgleich von unverhältnismäßigen Härten und lokalen Besonderheiten sollten Landkreise oder Gemeinden in eigener Verantwortung fördern dürfen, beispielsweise über Landschaftsentwicklungsverbände.
- Diese Mittel sollen im Rahmen von Ausschreibungen an Landwirte und Landschaftspfleger im Rahmen eines transparenten Wettbewerbes ausgeschüttet werden. Die Verwendung soll öffentlich dokumentiert werden.

4.2.2. Investitionsförderung
- Investitionsförderung sollte nur gewährt werden, wenn ein tragfähiges und nachhaltiges (sozial, ökologisch und ökonomisch) gesamtbetriebliches Konzept vorliegt und die geförderten Höfe Leistungen für Landschaft, Natur und Umwelt erbringen.
- Die Bagatellgrenze ist wieder von 30 000 auf 10 000 ? zu senken. Für den Erhalt der Bergwiesen brauchen wir auch und gerade Kleinbetriebe mit Kleininvestitionen.
- Zuschüsse der Investitionsförderung sollen unbürokratisch und direkt erfolgen.


4.3. Naturschutz durch Landwirtschaft!
Die Leistungen der Landwirtschaft für Landschaft und Artenvielfalt müssen von der Gesellschaft besser wahrgenommen und honoriert werden. Die Landschaftsausstattung mit einer Vielzahl an Grünlandtypen einschließlich des ertragsschwachen Grünlands muss als einmaliges "Kulturerbe Grünland" in seinem Bestand, seinem landschaftlichen und naturschutzfachlichen Wert gesichert werden.


• Landwirtschaftliche und Naturschutzprogramme müssen besser abgestimmt werden.
- Leistungen für den Naturschutz müssen besser finanziell honoriert werden.
- Landwirtschaftliche Förderprogramme dürfen Naturschutzprogramme nicht "auskonkurrieren", sondern müssen ökologisch qualifiziert werden.
- Die Nutzung von artenreichen Grünlandflächen wie Feuchtwiesen, Vermoorungen, Magerrasen, sowie Flachland- und Bergwiesen in ihren artenreichen Ausprägungen ist zu fördern,.

• Bergwiesen in ihrer artenreichen Ausprägung (Goldhafer-, Bärwurzwiesen) sind in die Liste der besonders geschützten Biotope aufzunehmen, zu kartieren und gleichwertig zu fördern.
- In Gebieten mit bereits hohem Waldanteil (Waldanteil weniger als 50%) dürfen keine weiteren Aufforstungs- und Einkommensverlustprämien mehr bezahlt werden.
- Etablierung eines landesweiten Grünlandmonitorings und Fortführung der Offenhaltungsversuche in Baden-Württemberg.

4.4. Verarbeitung und Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte
- Die Maßstäbe bei der Deklarierung der Herkunft von Fleisch oder Milch vom Grünland (z.B. Label "Weidemilch") sollten präziser und transparenter gefasst werden: Regionalisierung, Einbeziehung der Herkunft der Milchprodukte (von benachteiligten Gebieten) bei der Schaffung eines "Labels Schwarzwald" sollten Kriterien sein.
- Das Hygienerecht der EU ist mit Augenmaß anzuwenden. Kleine für die Grünlanderhaltung wichtige Strukturen dürfen nicht mit Maßstäben der Groß- Strukturen beurteilt werden.

4.5. Politische Rahmenbedingungen und langfristige Perspektiven
Bezüglich der Reformen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU in 2014 ist ein Paradigmenwechsel anzustreben:
- Abkehr von der Förderung einer immer intensiver wirtschaftenden, spezialisierten, von den natürlichen Kreisläufen entkoppelten Landwirtschaft mit immer weniger Höfen.
- Förderung intakter ländlicher Räume mit intakter Infrastruktur, mit umweltgerecht produzierenden landwirtschaftlichen Höfen. Besonderes Augenmerk erfordert es, Innovationen und Chancen angemessen zu berücksichtigen.
- Die Betriebsprämie aus der heutige 1. Säule der GAP ist an nachhaltiger Umwelt- und Ressourcenschonung zu orientieren, und nicht mehr an historischen Bezügen ("Milchquoten").
- Nationale und regionale Kofinanzierungen sind anzustreben.
- Die Entwicklung des Ländlichen Raumes über die 2. Säule muss gestärkt werden. Die multifunktionale Rolle der europäischen Landwirtschaft ist zu unterstützen über besondere Qualität der Nahrungsmittel, tiergerechte Haltung sowie Erwartungen der Gesellschaft (Landschaftsbild).
- Angesichts der begonnenen Klimaveränderung befürworten wir die Einführung von Fördermaßnahmen einer klimaschonenden Landwirtschaft, wobei dem Grünland eine besondere Rolle zufällt (auch in Form einer 3. Säule ("Landwirtschaft und Klimaschutz").

Freiburg, 11.11.2009

ARGE Landnutzung (Daniel Weiss, Jürgen Vögtlin)
Badischer Landesverein für Naturkunde und Naturschutz (BLNN) (Albert Reif)
BUND Baden-Württemberg (Berthold Frieß)
Forum_pro_Schwarzwaldbauern (Siegfried Jäckle)
Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg (LNV) (Reiner Ehret)
Naturfreunde Baden (Linda Streblow)
Naturschutzbund (NABU) Baden-Württemberg (Andre Baumann)
Schwarzwaldverein (Peter Lutz)


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Quelle:
Presseinformation, 18. November 2009
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz e.V.
Landesverband Baden-Württemberg
70178 Stuttgart. Paulinenstraße 47
Tel.: 07 11/62 03 06-0, Fax: 07 11/62 03 06-77
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Internet: www.bund.net/bawue


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2009