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GENTECHNIK/974: Gentechnik durch die Hintertüre - Das Aus für ein gentechnikanbaufreies Bayern! (BN)


Bund Naturschutz in Bayern e.V. - München, 25. November 2015

Gentechnik durch die Hintertüre - Das Aus für ein gentechnikanbaufreies Bayern!

BUND Naturschutz fordert Eingreifen von Ministerpräsident Horst Seehofer


Mit verschiedenen neuen gentechnischen Verfahren der Pflanzenmanipulation wollen Saatguthersteller das Gentechnikrecht unterlaufen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), eine Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt untergeordnete Behörde, will hierfür grünes Licht geben.

Hiergegen protestieren der BUND Naturschutz, Testbiotech und das Umweltinstitut München gemeinsam mit einem breiten Bündnis von Umwelt- und Ökolandbauverbänden, kleineren Saatgutunternehmen und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Das Bündnis hat in kürzester Zeit rund 67.000 Unterschriften gesammelt.

"Würden die neuen Verfahren vom Gentechnikrecht ausgenommen, wäre dies das Ende nicht nur eines gentechnikanbaufreien Bayerns, sondern eine Deregulierung des Vorsorgeprinzips bei der Agrogentechnik in ganz Europa", so Richard Mergner, BN Landesbeauftragter. Mit Blick auf die neuen gentechnischen Verfahren fordert der BUND Naturschutz deshalb gemeinsam mit dem Bündnis das Eingreifen von Ministerpräsident Seehofer. Mergner: "Jetzt muss die CSU Farbe bekennen. Ministerpräsident Horst Seehofer muss sich dafür einsetzen, dass Landwirtschaftsminister Schmidt bei der anstehenden EU-Entscheidung über die neuen Züchtungstechniken nicht die ökonomischen Interessen der Gentechnikkonzerne, sondern die Interessen der Landwirte und Verbraucher vertritt, die neue Risiken im Essen ablehnen."

"Das europäische Gentechnikrecht muss auch bei den neuen Verfahren angewendet werden", betont auch Dr. Martha Mertens, Gentechnikexpertin des BN. "Würden die neuen Methoden der gentechnischen Veränderung unkontrolliert zum Einsatz kommen, wäre nicht nur die gentechnikfreie Landwirtschaft gefährdet, sondern auch die Wahlfreiheit der Verbraucher. Es würden neue Risiken geschaffen. Die neue Generation der Gentechpflanzen müsste kein Zulassungsverfahren durchlaufen und würde weder einer Kennzeichnungspflicht noch einer Beobachtung unterliegen. Auch ein Standortregister gäbe es nicht."

Neue Konzernstrategien zur Durchsetzung der Gentechnik

Nachdem Agrogentechkonzerne in Europa mit ihrer Strategie, gentechnisch manipulierte Pflanzen in den Anbau zu bringen, am Widerstand von Landwirten, Umweltverbänden und Verbrauchern gescheitert sind, versuchen sie jetzt, durch geschickte Verschleierungsstrategien die in der EU-Freisetzungsrichtlinie (Richtlinie2001/18/EG) festgelegten vergleichsweise strengen Regulierungen des Gentechnikrechts zu umgehen. Gentechnische Verfahren der Pflanzenzucht werden als Nicht-Gentechnik uminterpretiert. Hierbei geht es in erster Linie um die Bewertung von sieben neuen Verfahren - siehe Anlage.

Gentechkonzerne und Züchtungsunternehmen haben sich in einer europäischen Plattform zusammengeschlossen, der die Großen der Branche, wie Bayer, Dow oder Syngenta angehören, um ihre Interessen besser durchzusetzen[1]. Beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) stießen sie dabei offenbar bereits auf offene Ohren, denn das BVL hat den herbizidresistenten Raps der Firma CIBUS, der mit dem umstrittenen Verfahren der Oligonukleotidtechnik entwickelt wurde, Anfang Februar 2015 als "nicht gentechnisch verändert" eingestuft. Die EU-Kommission warnte im Sommer 2015 die Regelungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten, darunter das BVL, anfragenden Unternehmen "grünes Licht" zu geben, bevor sich die EU-Gremien abschließend mit den neuen Verfahren befasst hätten.

Nachdem der von Verbändeseite eingelegte Widerspruch gegen den BVL-Bescheid zurückgewiesen wurde, hat der BUND-Bundesverband im Juli 2015 - gemeinsam mit zwei Unternehmen Klage gegen das BVL eingereicht. Über die Klage ist noch nicht entschieden.

In der EU wird seit geraumer Zeit über die Einstufung der neuen Züchtungstechniken diskutiert, eine Entscheidung ist bislang nicht gefallen. Allerdings hat die EU-Kommission angekündigt, sich demnächst dazu zu äußern. Die Bundesregierung spielt in diesem Prozess eine zwiespältige Rolle, sagt sie doch einerseits, sie wolle keinen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, betont aber andererseits die wirtschaftliche Bedeutung der neuen Gentechnikverfahren.

Neue gentechnische Verfahren sollen Herbizidabsatz sichern

Der mit der sogenannten ODM (oligonucleotide-directed mutagenesis) Technik erzeugte Raps der Firma CIBUS ist resistent gegen Wirkstoffe, die zur Klasse der ALS-Hemmer (Inhibitoren der Acetolactat-Synthase) gehören. Damit können die entsprechenden Herbizide, wie z.B. Imidazolinon, eingesetzt werden, ohne dass die Rapspflanzen geschädigt werden. Allerdings entsteht dann auch ein neues Problem, weil Ausfallraps dieser Sorte dann nicht mehr mit dem gleichen Wirkstoff bekämpft werden kann.

Dabei sind ALS-Hemmer die Herbizide mit dem höchsten Risiko der Resistenzentwicklung auf Seiten der Beikräuter: weltweit sind 157 Beikrautarten bekannt, in denen eine Resistenz gegen ALS-Inhibitoren beobachtet wurde (zum Vergleich - im Falle von Glyphosat sind 32 resistente Beikrautarten bekannt, www.weedscience.org . HR-Systeme dienen nicht der nachhaltigen Landwirtschaft, führen sie doch dazu, dass immer mehr Herbizide eingesetzt werden und dadurch die Biodiversität weiter reduziert und die menschliche Gesundheit gefährdet wird.

Raute


Anlage: Neue Züchtungstechniken

Die EU-Kommission setzte bereits 2007 eine Arbeitsgruppe ein, die den Auftrag hatte, abzuschätzen, ob neue Züchtungstechniken unter das EU-Gentechnikrecht fallen.[1]

Im Wesentlichen geht es um die nachfolgend beschriebenen Verfahren.

Den Methoden ist gemeinsam, dass sie gentechnische Veränderungen erlauben, die angeblich gezielter sind als die "herkömmliche Gentechnik" und schneller zu den gewünschten Ergebnissen führen sollen. Doch sind die zugrundeliegenden Prozesse in den Zellen weitgehend unverstanden und es ist sehr fraglich, ob diese Verfahren tatsächlich so spezifisch wirken wie dargestellt. Mit unerwarteten Effekten ist daher zu rechnen. Die Risiken der "herkömmlichen Agrogentechnik" sind damit keineswegs behoben und deshalb dürfen die Verfahren nicht aus dem Gentechnikrecht entlassen werden.

Oligonucleotide-Directed Mutagenesis (ODM)

Es werden sehr kurze, im Labor hergestellte DNA-Abschnitte in die Zelle eingeführt, die sich an DNA-Sequenzen anlagern sollen, die als Vorlage dienten. Die neu synthetisierten Sequenzen unterscheiden sich jedoch an bestimmten Stellen von der pflanzeneigenen Vorlage. Reparaturprozesse, die im Einzelnen nicht verstanden sind, können die Zelle veranlassen, die eigene DNA der eingefügten anzupassen, sodass es zur Veränderung an der angepeilten Stelle kommt.

Zink-Finger-Nukleasen (ZFN)

Zink-Finger-Nukleasen sind Proteine, die neben der Nuklease-Eigenschaft, DNA spalten zu können, gleichzeitig spezifisch bestimmte DNA-Sequenzen erkennen können. ZFN können nach dem Vorbild der Zielsequenzen designt werden, die entsprechenden Gene werden in die Zelle mit gentechnischen Methoden eingeführt. An speziellen Stellen des Genoms sollen so Veränderungen erzeugt werden. Je nachdem, ob noch zusätzliche DNA-Sequenzen mit übertragen werden und in welchem Umfang diese eingebaut werden, werden ZFN-1, ZFN-2 und ZFN-3 unterschieden.

Cisgenese und Intragenese

Cisgenese beinhaltet die gentechnische Veränderung mit Genen, die aus einer Art stammen, die mit dem Empfängerorganismus kreuzungsfähig ist. Die unveränderten Gene sind mit ihren eigenen Steuerungselementen versehen. Auch Intragenese beinhaltet die gentechnische Veränderung mit Genen, die aus einer Art stammen, die mit dem Empfängerorganismus kreuzungsfähig ist. Allerdings können hier die Gensequenzen verändert sein und mit Steuerungselementen anderer Gene aus einer kreuzungsfähigen Art verbunden sein.

Pfropfung

Teile verschiedener Pflanzen werden gepfropft, z. B. Pflanzenreiser auf die Unterlage (Wurzelstock) anderer Pflanzen. So kann ein gentechnisch verändertes Pflanzenreis auf einen nicht veränderten Wurzelstock gepfropft werden wie auch umgekehrt, ein nicht-gentechnisch verändertes Reis auf den gentechnisch veränderten Wurzelstock. Im letzteren Fall sollen Blätter, Früchte und Samen keine gentechnische Veränderung tragen.

Agroinfiltration

Die neuen Gene werden mit Hilfe einer Bakteriensuspension in bestimmte Pflanzenteile (z. B. Blätter) übertragen. Dabei soll die gentechnische Veränderung zumeist nur vorübergehenden Charakter haben. Werden Blüten infiltriert, ist von einer stabilen Transformation auszugehen, die auch die Nachkommen umfasst. Ziel ist beispielsweise eine "Produktionsplattform", d.h. in den Pflanzenzellen sollen große Mengen eines Produktes gebildet werden.

RNA-abhängige DNA Methylierung (RdDM)

Die Steuerungselemente (Promotoren) bestimmter Pflanzengene sollen durch die Anheftung von Methylgruppen blockiert werden, sodass diese Gene nicht abgelesen werden können und damit die entsprechende Eigenschaft nicht ausgeprägt wird. Um dies zu erreichen, werden Gene eingeführt, deren Sequenzen homolog zu den entsprechenden Promotoren sind. Die Expression dieser Gene führt zur Bildung von Doppelstrang-RNA, die wiederum die Methylierung der Zielpromotoren induziert.

Reverse Züchtung

Hier soll die Erzeugung von Hochleistungshybriden, deren Elternlinien nicht zur Verfügung stehen, beschleunigt werden, ohne dass aufwendige Rückzüchtungs- und Selektionsverfahren angewandt werden müssen. Zu diesem Zweck wird die bei der Reifung der Keimzellen auftretende Neurekombination der Gene mittels Einführung bestimmter Gene unterdrückt. Anschließend wird der in den Pollenkörnern der resultierenden Pflanzen vorhandene einfache Chromosomensatz verdoppelt (es entstehen sogenannte Doppel-Haploide). Geeignete Doppel-Haploide werden dann mit einander gekreuzt, um die Ausgangs-Hybride zu erhalten. Dabei sollen Doppel-Haploide, die die Gentech-Konstrukte enthalten, nicht verwendet werden, sodass die entstehenden Hybride ebenfalls keine Fremd-DNA enthalten.

Weitere Verfahren, die in der Entwicklung bzw. Diskussion sind

Daneben werden weitere Verfahren entwickelt, die teilweise unter der Rubrik "neue Züchtungstechniken" geführt werden. Hierzu zählt der Einsatz weiterer Nukleasen, z. B. TALEN (Transcription Activator-Like Effector Nucleases) oder das sogenannte CRISPR-Cas9-System. CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats)steht für eine RNA, die homolog zu einer bestimmten Stelle der DNA ist und Cas9 ist ein Enzym, das die DNA an der angesteuerten Stelle spaltet. Die zelleigenen Reparaturmechanismen können dann zu Mutationen führen, über die beispielsweise Gene stillgelegt werden. Das System stammt aus Bakterien und wird seit wenigen Jahren in Zellen unterschiedlichster Organismen, darunter auch Pflanzen, getestet. Downloads


[1] ec.europa.eu/food/plant/gmo/legislation/plant_breeding/index_en.htm

Mehr zum Thema
http://www.bund-naturschutz.de/landwirtschaft.html

http://www.bund-naturschutz.de/uploads/tx_news/PM-096-15-Gentechnik-durch-die-Hintertür-LW.pdf

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Quelle:
Presseinformation, 25.11.2015
Herausgeber:
Bund Naturschutz in Bayern e.V.
Landesgeschäftsstelle
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Tel. 0 941/ 2 97 20-0, Fax 0 941/ 2 97 20-30
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Internet: www.bund-naturschutz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2015

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