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FORSCHUNG/435: Die Superstrategen - Wie Ameisen, Käfer und Co Kaffeeschädlinge schachmatt setzen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. März 2014

Landwirtschaft: Die Superstrategen - Wie Ameisen, Käfer und Co Kaffeeschädlinge schachmatt setzen

von Karina Böckmann



Berlin, 11. März (IPS) - Auf den agroforstwirtschaftlichen Kaffeefarmen Lateinamerikas herrscht reges Treiben. Überall dort, wo die Vielfalt an schattenspendenden Bäumen am größten ist, tummeln sich ganze Insektenheere. Wie wichtig es ist, das besondere Beziehungsgeflecht zwischen den diversen Regenwaldwinzlingen im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft zu begreifen, hat die puertoricanische Wissenschaftlerin Ivette Perfecto auf einem Symposium in Berlin verdeutlicht.

Perfecto ist Professorin an der Fakultät für Naturressourcen und Umwelt der Universität von Michigan. Ihre Forschung konzentriert sich auf die biologische Vielfalt und auf Arthropoden-gesteuerte Abläufe innerhalb der Ökosysteme von landwirtschaftlichen Flächen in den Tropen. Arthropoden sind Gliederfüßler wie Insekten, Käfer und Spinnen, die mit geschätzten neun Millionen Arten als erfolgreichster Tierstamm gelten.

Gerade Ameisen haben sich als systematische Schädlingsbekämpfer bewährt - wenn man sie lässt: So hat sich auf agroforstwirtschaftlichen Kaffeefarmen in Mittelamerika und Mexiko gezeigt, dass sie durchaus systematisch vorgehen: Während die größeren Arten Bohrkäfern und anderen Feinden den Garaus machen, fungieren die kleineren als Nesträuber: indem sie die attackierten Kaffeekirschen von Eiern und Larven befreien.


Ganzheitlich denken

Darüber hinaus gibt es Interaktionen, die einer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen, um zu verhindern, dass falsche und übereilte Schlüsse gezogen werden. "Hier kommt die Wissenschaft ins Spiel", meinte Perfecto am Rande der Tagung 'Die Farbe der Forschung', die sich mit Innovationspotenzialen von Beziehungsnetzwerken beschäftigte. "Wir müssen schon genau hinsehen, was in der Natur vor sich geht. Erst dann sind wir in der Lage, die Funktionsweise von Beziehungsnetzwerken richtig zu deuten und für die ökologische Landwirtschaft zu nutzen."

Doch zurück zu den Ameisen. Auch in der Welt der Krabbeltiere gilt: Nicht alle Ameisen lassen sich über einen Kamm scheren. Weil die Azteca instabilis-Ameise den süßlichen Ausscheidungen einer auf Kaffeepflanzen anzutreffenden Schildlausart verfallen ist, hütet sie den Kaffeeschädling mit dem wissenschaftlichen Namen Coccus viridis wie ihren Augapfel - was Kaffeebauern, die die tierischen Aztekenkrieger ohne den Einsatz von C-Waffen loswerden wollen, bisweilen veranlasst, die Bäume zu fällen, auf denen die Ameisenart zu Hause ist.

Doch wie Perfecto auf dem Symposium am 7. und 8. März eindrucksvoll erläuterte, hat die wissenschaftliche Forschung die Hauruck-Methode als unsinnig entlarvt. Und zwar nicht nur weil sie unberücksichtigt lässt, dass die Fürsorge der Aztekenameise gegenüber den Blattläusen auch soweit geht, dass andere Kaffeeschädlinge aggressiv ferngehalten werden.

Die Azteca instabilis wird von einer parasitären Fliege als Wirt für ihren Nachwuchs missbraucht. In Windeseile legt die Fliege mit dem wissenschaftlichen Namen Pseudacteon laciniosus ihre Eier auf den krabbelnden Ameisen ab. Da die Fliegenlarven ihren Wirt später von innen heraus vernichten, betreibt der fruchtfliegenartige Parasit somit eine Form der Artenkontrolle.


Chemische Warnsignale für den Arterhalt

Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Die zum Tode verurteilten Aztekenameisen haben eine Art Warnsystem zum Schutz der eigenen Kolonie entwickelt: Sobald der Angriff erfolgt, scheiden sie ein Pheromon aus, dass bei den Mitgliedern ihres Volks eine Art 'Bombenalarm' auslöst und dazu führt, sich über Stunden tot zu stellen. Denn was sich nicht bewegt, wird von der Fliege nicht geortet.

Dieses einzigartige Alarmsystem wiederum haben Marienkäfer namens Azya orbigera entschlüsselt und sich zunutze gemacht. Denn die Unbeweglichkeit ihrer Feinde kommt ihnen äußerst gelegen. Auf diese Weise verfügen die Käfer, die sich von Schildläusen ernähren, über ausreichend Zeit, um ihre Eier an sicheren Orten zu verstecken - zum Beispiel an den Unterseiten der Blattläuse. Sind die Käferlarven geschlüpft, befinden sie sich quasi im Blattlaus-Schlaraffenland. Ein wachsähnlicher Mantel macht die Larven später gegen Angriffe der Ameisen immun.

Somit trägt die Aztekenameise sehr wohl zur Bekämpfung von Kaffeeschädlingen bei - auf Umwegen und im Rahmen eines komplexen interaktiven Systems in einem artenreichen Umfeld. "Biodiversität ist das A und O", erklärte Perfecto im IPS-Gespräch. Sie sei Voraussetzung dafür, dass derartig raffinierte Beziehungsnetzwerke funktionieren könnten. "In armen Weltregionen, wo den Bauern das Kapital fehlt, um in teure Agrar-Inputs zu investieren, sind einfache, bezahlbare, lokale und nachhaltige Lösungen wichtig."


Von der Natur lernen

Perfecto ist überzeugt, dass es für sämtliche landwirtschaftliche Probleme biologische Lösungen gibt. "Voraussetzung ist, dass wir die Natur als unsere Lehrmeisterin ernst nehmen und sie intensiv beobachten." Genau das hatte Perfectos Doktorandin Hsun-Yi Hsieh getan, bevor sie die Komplexität der Beziehungen zwischen Aztekenameise, Blattlaus, Fliege und Marienkäfer auf Kaffeefarmen im mexikanischen Bundesstaat Chiapas entdeckte. Sie hatte sich darüber gewundert, dass Marienkäfer ihre Eier in Kaffeewäldern ablegen konnten, die von aggressiv agierenden Aztekenameisen rigoros bewacht wurden.

Um den Kaffeebauern gerade die weniger sichtbaren Prozesse verständlich zu machen, hat Perfectos Forschungsteam ein Spiel entwickelt, das sich derzeit in der Probephase befindet. Beim sogenannten 'Aztekenschach' geht es darum, in die Rolle jeweils eines der vier Insekten zu schlüpfen und möglichst viele Trophäen für eigene erfolgreiche Wirkungsweisen - im positiven wie im negativen Sinne - zu sammeln. Doch anders als im Schach gibt es keine Sieger und Verlierer. Das ist, wie das komplizierte Miteinander der Insekten auf den agroökologischen Kaffeefarmen bereits gezeigt hat, kalter Kaffee. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.zs-l.de/farbe-der-forschung/

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IPS-Tagesdienst vom 11. März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2014