Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LANDWIRTSCHAFT

ENERGIE/055: "Biotreibstoffe" - Kampf um die Nachhaltigkeitskriterien (BBU AK Wasser)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 899 vom 20. September 2008 27. Jahrgang

Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

"Biotreibstoffe" - Kampf um die Nachhaltigkeitskriterien


Welche Agrotreibstoffe dürfen künftig mit einem "Nachhaltigkeitslabel" geadelt werden? Über die Auswahl von Nachhaltigkeitskriterien für Agrotreibstoffe wird derzeit in internationalen Normungsgremien kräftig gestritten. Hintergrund der Auseinandersetzungen ist der Entwurf zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie der EU. Diese Richtlinie sieht vor, den Anteil von Agrotreibstoffen in den Benzinmischungen bis zum Jahr 2020 auf zehn Prozent hochzutreiben. Dieses Zehn-Prozent-Ziel wird aber nur anerkannt, wenn die Agrotreibstoffe "verlässlich" ihre nachhaltige Herkunft nachweisen können (siehe RUNDBR. 891/1-3). Allerdings ist es nicht nur aus Sicht der Umweltverbände ärgerlich, dass sich der Richtlinienentwurf mit einer Schmalspurzertifizierung begnügt. Auch deutsche Industrievertreter sehen es als Manko an, dass beispielsweise der Wasserbedarf von Energiepflanzenplantagen oder der Abwasseranfall von "Bio"-Ethanol-Fabriken bei der Nachhaltigkeitszertifizierung à la EG-Richtlinie unberücksichtigt bleiben. Und noch viel weniger werden indirekte Verdrängungsprozesse berücksichtigt - also wenn beispielsweise auf ehemaligen Sojafeldern jetzt Zuckerrohr zur "Bio"-Ethanolproduktion angebaut wird - und die Sojabarone auf gerodete Regenwaldflächen ausweichen. Auch soziale Aspekte bleiben im Richtlinienentwurf unberücksichtigt. Das "Nachhaltigkeitslabel" bekämen selbst Agrotreibstoffe »aufgeklebt«, die Leid und Elend bei Kleinbauern zur Basis haben - beispielsweise wenn der boomende Anbau von Energiepflanzen auf Großplantagen zur gewaltsamen Vertreibung von Kleinbauern führt, die dann auf immer ungünstigeren Grenzertragsböden wirtschaften müssen oder die in die Slums der südamerikanischen Metropolen abwandern. Die Erarbeitung von Details zu den im Richtlinienentwurf nur grob umrissenen Nachhaltigkeitskriterien hat die EU-Kommission an das europäische Normungsbüro CEN ausgesourct. Beim CEN ist das Technische Komitee (TC) 383 für die Normung von Nachhaltigkeitskriterien und ihre Zertifizierung zuständig. Die erste Sitzung von TC383 am 21./22.05.2008 in Brüssel war völlig überlaufen, da die Vertreter der europäischen Agrotreibstoffbranche angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Normungsvorhabens in Mannschaftsstärke aufgekreuzt waren. Alle Versuche, sich von den dürftigen Nachhaltigkeitskriterien des Richtlinienentwurfs zu lösen, wurden in einer über zwei Tage chaotisch verlaufenden Diskussion von den Agrotreibstofflobbyisten platt gemacht. Die Befürworter einer umfassenden Nachhaltigkeitszertifizierung hatten in Brüssel keine Chance. Der engstirnige Ansatz der Agrotreibstoffbusiness-Lobbyisten stieß selbst bei den deutschen Vertretern der Agrotreibstoffindustrie auf Befremden. Am 2. Sept. 2008 bekannte sich die deutsche Agrotreibstoffwirtschaft auf einer Sitzung des DIN zu einer umfassenden Nachhaltigkeitszertifizierung. Im DIN werden die Aktivitäten von CEN TC 383 national "gespiegelt" - soll heißen: Im DIN beraten die interessierten Kreise, welche Standpunkte die Delegierten aus Deutschland im CEN TC 383 vertreten sollen. Konsens war im DIN-Spiegelausschuss, dass beispielsweise auch indirekte Verlagerungseffekte sowie soziale Aspekte in der Zertifizierung Berücksichtigung finden müssten. Damit schloss man sich im DIN-Spiegelausschuss dem Standpunkt der niederländischen Normungsorganisation an, die sich ebenfalls nicht mit einer Schmalspurzertifizierung à la EG-Richtlinie begnügen wollte. Mit einem entsprechenden Arbeitsauftrag werden jetzt die deutschen CEN-Delegierten nach Brüssel geschickt, wo für den 16. Sept. 2008 die zweite Sitzung von CEN TC 383 anberaumt worden ist.

Weltweit gültiger Nachhaltigkeitsstandard für Agrotreibstoffe?

Die Nachhaltigkeitszertifizierung von Biomasse und Agrotreibstoffen soll auch auf die internationale ISO-Ebene hochgezoomt werden. Einen entsprechenden Vorstoß haben gemeinsam die brasilianische Normungsorganisation (ABNT) und der DIN auf internationalem Parket unternommen: Bei der Internationalen Standardisierungs-Organisation (ISO) soll eine Plattform eingerichtet werden, wo transatlantisch über "Sustainability criteria for biofuel" debattiert werden soll. Sollte der deutsch-brasilianische Vorstoß von allen zuständigen ISO-Gremien abgesegnet werden, könnte am Ende eines jahrelangen Abstimmungsprozesses eine ISO-Norm stehen, die globusweit für die Zertifizierung von nachhaltig angebauter und produzierter Biomasse einsetzbar wäre. Über eine Annahme oder Ablehnung des ABNT/DIN-Vorschlags wird das ISO voraussichtlich bis Anfang November 2008 entscheiden.

Zehn-Prozent-Ziel für "Biosprit" wird modifiziert

Die vorgesehene EU-Quote für Biosprit in Höhe von 10 Prozent (siehe obige Notizen sowie RUNDBR. 891/1-3) wird voraussichtlich modifiziert. Nach dem Umweltausschuss des EU-Parlaments ist jetzt auch dem Industrieausschuss klar geworden, dass das 10 Prozent-Ziel mit Agrotreibstoffen der ersten Generation bei Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten nicht zu erreichen ist. Die Kollateralschäden bei der Gewinnung von Agrosprit aus Mais, Getreide und Zuckerrohr sind einfach zu hoch. Der Industrieausschuss des Europaparlaments stimmte am 11. 09.08 in Brüssel mit 50 Pro- und nur zwei Gegenstimmen dafür, dass bis 2020 "nur" sechs Prozent des gesamten Kraftstoffverbrauchs der EU mit dem derzeit gebräuchlichen "Biosprit" abgedeckt werden müssen. Vier Prozent können auch mit (Bio-)Erdgas und Agrokraftstoffen der zweiten Generation, Strom und Wasserstoff erzielt werden. Zudem soll im Jahr 2014 über die vorgesehenen Quoten noch ein Mal kräftig nachgedacht werden. Über die geänderten Pläne des Industrieausschusses wird das Plenum des Europäischen Parlaments voraussichtlich Anfang Oktober abstimmen. Anschließend ist die Zustimmung der 27 EU-Mitgliedsländer erforderlich (FR, 12.09.08).

Zu wenig Fläche für den Massenanbau von Energiepflanzen

Der öffentliche Druck gegen die "Bio"-Treibstoff-Beimengung von zehn Prozent in der EU hat sich im Sept. 2008 erneut erhöht. Der UN-Sonderbeauftragte OLIVIER DE SCHUTTER hat in einer Rede die stark gestiegene Nachfrage nach den Agrotreibstoffen als Hauptursache für die weltweite Hungerkrise benannt. Die von der EU und den USA aufgestellten Produktionsziele für Biosprit hätten zu verstärkten Spekulationen mit landwirtschaftlichen Nutzflächen und Rohstoffen geführt. Brüssel und Washington sollten deshalb unverzüglich diese Politik beenden. Zuvor hatte schon der Internationale Währungsfonds IWF geschätzt, dass 70 Prozent des Preisanstiegs bei Mais auf das Konto von Agrotreibstoff gehen würden, bei Soja seien dies 40 Prozent. Auch die OECD ist in einer Studie zum Schluss gekommen, dass Agrotreibstoffe nur minimal zum Klimaschutz beitragen, für Verbraucher und Steuerzahler allerdings jährlich Subventionskosten in Milliardenhöhe verursachen. Das Agrarinstitut der OECD prognostiziert in den kommenden zehn Jahren sogar einen Preisanstieg bei Lebensmitteln von bis zu 60 Prozent. Der Umweltexperte GERHARD GLATZEL von der Wiener Universität für Bodenkultur erklärte dazu gegenüber dem Internet-Pressedienst pressetext am 12.09.08: "Die Fläche, die für den Anbau von Biosprit-Pflanzen unter Einhaltung der 5,75-Prozent-Beimengung bis 2010 benötigt wird, ist nicht vorhanden." Der Experte gibt zu bedenken, dass dies sowohl für Österreich als auch für Deutschland und die anderen EU-Staaten gelte. "Die Katastrophe ist dann, dass man erneut auf Importe aus Brasilien oder anderen Ländern angewiesen sein wird." Und weiter: "Es ist völlig sinnlos, mit drei Tonnen schweren Autos zu fahren und zu erklären, dass Agrotreibstoffe die Lösung der Energieversorgung darstellen."

Nestle-Chef warnt vor Wasserkrise durch "Biosprit"

Nestle-Präsident PETER BRABECK-LETMATHE hat einmal mehr vor einer drastischen Verschärfung des Wassermangels Ländern gewarnt. Der Chef des größten Lebensmittelkonzerns der Erde prophezeite lt. einem Bericht in der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD vom 20.09.08: "Wenn wir so weiter machen wie bisher, wird uns das Wasser vor dem Öl ausgehen." Bei einem vom "Club of Rome" veranstalteten Symposium fordert BRABECK-LETMATHE: "Damit der Wasserverbrauch eingedämmt wird, müsse es einen Preis, also einen Wert bekommen." Wasser sei zwar ein Menschenrecht - aber lediglich für fünf Liter Trinkwasser pro Tag und 20 Liter für die Grundhygiene. Bei gleichbleibendem Ernährungsstandard der Weltbevölkerung werde es 2050 zu einer Wasserknappheit kommen, sagte BRABECK-LETMATHE. Da aber nun die Chinesen und Inder mehr Fleisch konsumieren, entstehe der Mangel bereits 2015. Denn um eine Kalorie Fleisch zu erzeugen wird zehnmal so viel Wasser benötigt, als bei der Produktion einer vegetarischen Kalorie. Die Produktion von Agrosprit trage laut BRABECK-LETMATHE ebenfalls dazu bei, dass die Wasservorräte zu Ende gehen. Für die Herstellung von einem Liter "Bio"-Ethanol würden nämlich 4.000 Liter Wasser benötigt. Der Nestle-Chef vertrat ferner die Meinung, dass die alternativen Treibstoffe zu dem drastischen Anstieg der Lebensmittelpreise beigetragen hätten.

[Angesichts der immer öfters diskreditierten Zunahme des Fleischkonsums "der Inder und der Chinesen" könnte man den Vorwurf zu Abwechslung auch ein Mal anders herum formulieren: Da Europäer und Nordamerikaner nicht bereit sind, ihren viel zu hohen Fleischkonsum zu reduzieren, ist der Anstieg der Lebensmittelpreise und die Verschärfung der Wasserkrise maßgeblich auf den überzogenen Konsum von tierischem Eiweiß in den Industriestaaten zurückzuführen. Dort liegt der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch und Milchprodukten immer noch um ein Vielfaches über dem Pro-Kopf-Konsum in China und Indien. -ng-]


Unsere Materialsammlung über die Entwicklung der Aquakultur von Ende der 70er Jahre bis heute - u.a über "Limnotherm" und die großindustrielle Lachszucht sowie über die Bemühungen, in Aquakulturen auch ohne Antibiotika auszukommen - kann durch VOREINSENDUNG von 10 (V-Scheck, bar, Briefm.) bei uns angefordert werden.


*


Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 899/2008
Herausgeber:
Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband
Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)
Rennerstr. 10, D-79106 Freiburg
Tel.: 0761/275693; 45687153
E-Mail: nik@akwasser.de
Internet: http://www.akwasser.de

Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF kann abonniert werden durch Voreinzahlung
von 30 Euro für 30 Ausgaben auf das Postbankkonto Arbeitsgruppe
Wasser, Kto-Nr. 41952 757, Postbank Klrh., BLZ 660 100 75.

Meinungsbeiträge geben nicht in jedem Fall die Position des BBU
wieder! Die Weiterverwendung der Informationen in diesem RUNDBRIEF
ist bei Quellenangabe (!) erwünscht!
© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2009