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BODEN/051: Graslandbewirtschaftung für die Entstehung von Bodenfruchtbarkeit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015
Ökosystem Boden
Die dünne Haut der Erde

Ohne Vieh kein Boden

Von Anita Idel


Graslandbewirtschaftung für die Entstehung von Bodenfruchtbarkeit Gras ist unverzichtbarer Teil der Lebensgrundlagen des Menschen - als Proteinressource und darüber hinaus durch sein Potenzial zur Bodenbildung durch Humusanreicherung. Wie aber entsteht fruchtbarer Boden? Und welche Rolle spielen Weidetiere dabei, deren Haltung heutzutage in erster Linie wegen ihrer negativen Emissionen in der Kritik steht?


Mit über 1,8 Milliarden leben heute weltweit doppelt so viele Rinder und Büffel wie vor fünfzig, sechzig Jahren.(1) Vor dieser Zeit lebten diese Wiederkäuer überwiegend dort, wo ihre Nahrung wuchs, nämlich auf dem Grasland. Seitdem sind weitere 900 Millionen dazugekommen. Eine äußerst problematische Entwicklung, da diese quasi auf dem Ackerland stehen, wodurch wir sie zu Nahrungskonkurrenten machen und ihrer Funktion für die Fruchtbarkeit der Böden entziehen.

Zur Entwicklung besonders fruchtbarer Steppenböden seit der letzten Eiszeit

Die heutigen Kornkammern sind Steppenböden - ihre gigantische Fruchtbarkeit ist durch jahrtausendelange Beweidung entstanden. Weidetiere - vor allem Auerochse, Wisent und Wildpferd - haben die Eiszeit in Europa überlebt und einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Böden und deren Fruchtbarkeit geleistet. Ob die Prärie in Nordamerika, die Pampa in Argentinien, die Schwarzerdeböden in der Ukraine - sie alle sind Steppenböden, die ihre Fruchtbarkeit ihrer Nutzungsart verdanken: Jahrtausendelange Beweidung hat Wurzelbiomasse angereichert und so meterdicke Humusschichten entstehen lassen und bewahrt. Aber je länger die Weidetiere schon durch Verdrängung und/oder Ausrottung aus dem Blickfeld verschwunden sind, desto eher wird vergessen, dass Steppe immer bedeutet: Gras und Weidetier. Denn kein Grasland bleibt erhalten, wenn es dauerhaft ungenutzt bleibt.

Dabei sind Gräser die ideale Grundlage zur Bildung gesunder Böden. Gras kommt in und zwischen vier Extremen vor - Hitze und Kälte, Trockenheit und Nässe: Gräser überstehen die extreme Kälte oberhalb der Baumgrenzen ebenso wie die extreme Hitze des Sahels. Gräser leben in feuchten Gebieten wie den Auenlandschaften ebenso wie in der trockenen Serengeti. Das Erfolgsprinzip liegt in der Biodiversität: Der regionenspezifischen Zusammensetzung aus mehrund einjährigen Gräsern, mit der sie so flexibel auf schwankende Umweltbedingungen reagieren können wie keine andere Pflanzengesellschaft.(2)

Bodenfruchtbarkeit weltweit in Gefahr

Weltweit lässt sich die Bedeutung von Weidetieren für Bodenfruchtbarkeit erkennen. Beispiel Nordamerika, dort lebten geschätzte 40 Millionen Bisons. Weil der Höhepunkt ihrer Ausrottung erst in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts erfolgte, ist im kollektiven Gedächtnis der Menschen in den Prärieregionen Nordamerikas immer noch verankert, dass die heutigen fruchtbaren Äcker früher Weideland waren. Aufgrund der seit Jahrzehnten anhaltenden Höchsternten macht man in den USA "die Rechnung ohne den Wirt": Den Boden. Denn das Ausmaß des Verlustes von Bodenfruchtbarkeit beträgt in Nordamerika 25-30 % innerhalb der letzten 100 Jahre.(3)

Und in Südamerika? Auf 40 Millionen Weidetiere wird die Zahl der Guanakos geschätzt, die als Stammform der Lamas die Pampa Argentiniens bei der Ankunft der Spanier im 16. Jahrhundert besiedelten. Das ist heute in der Bevölkerung Argentiniens kaum bekannt. Denn die Guanakos wurden aus der fruchtbaren Ebene mehr und mehr nach Westen in die Berge verdrängt oder regional ausgerottet, sodass die Menschen vergaßen, dass sie einstmals riesige Flächen beweideten. Der Graslandumbruch dominiert die Landnutzungsänderungen in Südamerika,(4) der Verlust von Bodenfruchtbarkeit in Pampa-Regionen ist weit verbreitet.

Und auch in Europa haben die Menschen vergessen, dass Weidetiere nach der letzten Eiszeit die Böden und Landschaften wesentlich geprägt haben. Wisente weideten zwischen Nordspanien und Zentralasien. Auerochsen besiedelten den Doppelkontinent Eurasien von der westeuropäischen Atlantikküste über Nordafrika bis an die ostasiatische Pazifikküste. Ob Wisent oder Auerochse, in Mitteleuropa waren bereits vor 2.000 Jahren, zu Zeiten der Römer, keine großen Herden mehr unterwegs. Deutlich länger besiedelten sie die - heutige - Ukraine, deren Schwarzerdeböden noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu drei Meter dick waren.(5)

Dort bremsen - wie in der Prärie und in der Pampa - weder Baum noch Strauch die menschengemachte Erosion. Grasböden wurden ebenso wie die auf ihnen entstanden Fäkalien über Jahrhunderte genutzt, um Ackerland zu verbessern. Zur Amelioration des Ackerlandes gehörte somit meistens die Degradierung des Graslandes, dessen Potenziale in der Folge bis heute ebenso unterschätzt werden wie die Beweidung. Nachhaltiges Beweidungsmanagement muss in Forschung und Lehre von seinen Waisenstatus befreit werden und auch zur Revitalisierung erodierter Böden genutzt werden.


Autorin Anita Idel ist Tierärztin, Mediatorin und Leadautorin des Weltagrarberichts.


Anmerkungen

(1) http://faostat3.fao.org/browse/Q/QA/E.

(2) http://unctad.org/en/pages/PublicationWebflyer.aspx?publicationid=666

(3) Franzluebbers, A.; Follett, R. (2005): Greenhouse gas contributions and mitigation potential in agricultural regions of North America - Introduction. In: Soil & Tillage Research 83, Amsterdam, S. 1-8.

(4) Reichert, T.; Reichardt, M. (2013): Saumagen und Regenwald. Klima- und Umweltwirkungen deutscher Agrarrohstoffimporte am Beispiel Sojaschrot: Ansatzpunkte für eine zukunftsfähige Gestaltung, S. 18.

(5) http://www-wds.worldbank.org/external/default/WDSContentServer/WDSP/IB/2014/10/27/000470435_20141027113422/Rendered/PDF/918500WP0UKRAI0E0Box385344B00OUO090.pdf

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2015, S. 12
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2015

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