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ANBAU/179: Streuobst - Damals, heute und morgen (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 3/2021

Streuobst
Damals, heute und morgen

von Beate Kitzmann
Sprecherin im NABU-Bundesfachausschuss Streuobst und Geschäftsleitung von Naturschutz Berlin-Malchow


Seit Jahrhunderten ist der Streuobstbau ein Teil der Kulturlandschaft Deutschlands und diente früher zur Versorgung der Bevölkerung. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist jedoch eine Abnahme der Streuobstflächen in Deutschland aufgrund vielfältiger Einflüsse zu verzeichnen. Den tatsächlichen Rückgang genau zu beziffern, ist wegen der unsicheren und inhomogenen Informationslage äußerst schwierig. Dennoch veranlasste der starke Rückgang verschiedene Bundesländer dazu, in den letzten Jahrzehnten Förderprogramme zum Erhalt des Streuobstes zu erlassen, da erkannt wurde, dass die Streuobstwiesen neben dem ehemals ökonomischen Nutzen weitere bedeutende, politisch gewollte Funktionen erfüllen.

Die Ausbreitung des Hochstammobstbaus zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellte eine Intensivierungsmaßnahme durch Doppelnutzung dar. Das Bevölkerungswachstum und die dadurch wachsende Nachfrage nach Agrarprodukten erzwang eine Produktivitätserhöhung der Nutzfläche. Dies wurde durch die Bepflanzung der Allmendweiden erreicht. Der landschaftsprägende Streuobstbau, wie in seiner heutigen Form bekannt, hat daher erst eine relativ kurze Geschichte. Ursprünglich fast nur um die Siedlungsgebiete vorkommend, wurde er durch die Förderung der Landesherren auch auf Äckern, Weiden und Wiesen verbreitet, um Nahrungsmangel und einseitiger Ernährung vorzubeugen.

Ende des 19. Jahrhunderts wuchs die wirtschaftliche Bedeutung des Streuobstes aufgrund des Wachstums der Stadtbevölkerung und der gleichzeitigen Abnahme der sich selbstversorgenden Bevölkerung auf dem Land. Dadurch konnte der Obstbau über den Selbstversorgungsaspekt hinaus zum Einkommen der ländlichen Bevölkerung beitragen. Während der Streuobstbestand während des 19. und 20. Jahrhunderts kontinuierlich anwuchs und kurz vor dem 2. Weltkrieg den Höchststand erreichte, nahm die Bedeutung ab Mitte des 20. Jahrhunderts rasch ab. Die Eigenversorgung wurde nach dem 2. Weltkrieg mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zunehmend unwichtiger, was den Rückgang der arbeitsintensiven Hochstämme beschleunigte.

Einer der Hauptgründe zur Rodung der Streuobstbäume wird darin gesehen, dass die Menge des produzierten Streuobstes eine massive Auswirkung auf den Preis des Obstes allgemein und damit auch auf das Plantagenobst hatte. Mit der Gründung der Europäischen Währungsgemeinschaft (EWG) kam es daher 1954 zu grundlegenden Änderungen im Bereich des Obstbaus. Durch Prämien wurden großräumige Rodungsaktionen finanziert und durchgeführt, damit sich der Erwerbsobstbau auf die veränderten Marktbedingungen einstellen konnte.

Anders verlief die Entwicklung in der ehemaligen DDR, da der Streuobstbau für die Selbstversorgung der Bevölkerung weiterhin eine große Bedeutung hatte. Bis 1973 wurden hochstämmige Anlagen staatlich gefördert. Das Obst aus den intensiven Anlagen reichte nicht zur Obstversorgung der Bevölkerung aus, daher wurden an den Obstankaufsstellen weiterhin hohe Preise bezahlt und somit der Streuobstbau gefördert. Dennoch war die Zahl der jungen Bäume im Jahr 1990 geringer als in den westlichen Bundesländern, da es keine expliziten Fördermaßmahmen für den Streuobstbau gab.

Wie definiert sich Streuobst?

Die Kurzformel für Streuobstbau lautet: Hochstammobstbau ohne Verwendung synthetischer Behandlungsmittel. So steht es seit 2004 im Brockhaus. Charakterisiert wird der Streuobstbau durch die Mischung von Obstarten, Obstsorten und den Aufbau einer Altersstruktur der Bäume. Auf einer Streuobstwiese stehen junge und alte Bäume nebeneinander auf Feldern, Wiesen und Weiden in ziemlich unregelmäßigen Abständen gewissermaßen "verstreut". Dabei kann es sich um Einzelbäume an Wegen, Straßen und Böschungen, kleine Baumgruppen, Baumreihen sowie auch flächenhafte Anlagen mit eher regelmäßigen, aber weiten Pflanzabständen handeln. Die prägende Baumform im Streuobstbau ist der Hochstamm.

Es gibt wesentliche Unterschiede zu den intensiv genutzten Obstplantagen (Niederstamm):

  • Verwendung von Hochobstbäumen (Stammhöhe 1,8 Meter und höher)
  • Relativ große Baumabstände (< 10 Meter)
  • Geringe Pflanzdichte (meist unter 100 Bäumen/Hektar)
  • Lange Ertragsfähigkeit (60 Jahre und mehr)
  • Größerer Strukturreichtum
  • Pflanzung von regionaltypischen und häufig krankheitsresistenten Sorten
  • Kein Einsatz von synthetischen Behandlungsmitteln
  • Alternanz (jährliche Ertragsschwankungen)
  • Zum Erhalt der Bestände sind regelmäßige Schnittmaßnahmen und Nachpflanzungen notwendig.

Ein unschlagbarer Vorteil von Streuobst ist der Verzicht auf Pestizide, Fungizide, Insektizide usw. In ungünstigen Jahren werden Plantagen (Niederstammobstbau) bis zu 30mal gespritzt, um für den Herbst die Ernte zu sichern.

Die Perspektive des Streuobstes

In den 1950er-Jahren entwickelte sich aus dem traditionellen Streuobstbau der Intensivobstbau (Niederstammplantage), um die Bevölkerung zu versorgen. Dieser Wandel vollzog sich relativ schnell, denn schon in den 1970er-Jahren wurde das Wort Streuobst als Schimpfwort benutzt. Es stand synonym für einen vernachlässigten Obstbau, bei dem erkennbar keine Pflege auf den Flächen stattfand und man den Eindruck hatte, in der Wildnis zu sein. Danach vollzog sich in den folgenden 40 Jahren wiederum ein Wechsel in der Wahrnehmung des Streuobstes. Ab den 2010er-Jahren wurde der Begriff zum Imageträger für eine natürliche und nachhaltige Obstproduktion. Die Wertschätzung für ungespritztes Obst nahm deutlich zu und der Streuobstbau wurde dem Bio-Anbau gleichgesetzt!

Durch das zunehmende Interesse in Deutschland an Streuobst, was durch die steigende Zahl an Fördermaßnahmen, Produktvielfalt und begeisterten Aktiven ausgedrückt wird, bleibt die Hoffnung, dass sich der Streuobstbau bis zum Jahr 2040 wirtschaftlich stabil und landschaftsprägend im gesamten Bundesgebiet entwickelt.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • links: Streuobstwiese im Frühjahr bei Glindow (Brandenburg).
  • Junge Streuobstwiese (Schulzenkute in Berlin-Falkenberg).
  • Neben Äpfeln, Birnen, Pflaumen und Walnüssen bereichern auch Kirschen (hier eine gelbe Sorte) Streuobstwiesen.
  • Da auf Streuobstwiesen Pflanzengifte nicht eingesetzt werden, sind auch die Wiesen artenreich.
  • Neben Rindern sind auch Schafe bestens für die Beweidung von Streuobstwiesen geeignet. Sie sorgen für natürlichen Dünger, der Insekten anlockt, die wiederum Nahrung für Vögel und Fledermäuse sind.
  • Die Sortenvielfalt ist nicht nur bei den Äpfeln riesig (Streuobsternte in Münster).

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Quelle:
naturmagazin, 35. Jahrgang - Nr. 3, September bis November 2021, S. 4-6
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
NaturSchutzFonds Brandenburg, Stiftung öffentlichen Rechts
Natur+Text GmbH
Anschrift der Redaktion:
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Tel.: 033708/20431, Fax: 033708/20433
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Internet: www.naturmagazin.info
 
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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