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ANBAU/156: Die Eßkastanie erlebt eine Renaissance (NATURSCHUTZ heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/12
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Gruß aus dem Süden
Die Esskastanie erlebt eine Renaissance

von Helge May



Der Name kann schon abschrecken und Helmut Kohl als langjähriger Edelfan sagt auch nicht jedem zu. Doch beim "Pfälzer Saumagen" kommt es nicht auf die Hülle an, sondern auf die Füllung. Mageres Schweinefleisch, Wurstbrät, Kartoffeln und Gewürze ließen sich auch in einen Kunstdarm stopfen - stilecht wäre es natürlich nicht.

Jetzt im Herbst findet sich auf den Speisekarten allerdings eine besondere Saumagen-Variante, nämlich mit Esskastanien statt Kartoffeln. Überhaupt erlebt die Ess- oder Edelkastanie in den letzten Jahren eine Art Wiedergeburt. Lange galt sie als "Brot der Armen", inzwischen besinnen sich die Gastronomen genauso wie die Tourismuswerber dieser Besonderheit.


Urheimat Kaukasus
Die Esskastanie ist ein Kind des Südens. Ihre Ursprünge verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Wildwachsend war sie wohl vor allem an den Hängen des Kaukasus zu Hause. Sie wurde aber schon vor Tausenden Jahren angebaut und spätestens die alten Griechen verbreiteten den nützlichen Baum im ganzen Mittelmeerraum. Auch die Römer schätzten die Esskastanie, ihre Soldaten führten sie als Proviant mit sich. In ihrem Gefolge überquerte der Baum dann auch die Alpen.

In Deutschland wachsen Esskastanien vor allem in den Weinanbaugebieten entlang des Rheins. Schwerpunkt ist die Pfalz, hier gibt es teils weitläufige Esskastanienwälder. Nennenswerte Vorkommen existieren auch im Schwarzwald, Odenwald und Taunus, als Alleebaum findet sich die Esskastanie sogar bis an den Niederrhein.

Weder verwandt noch verschwägert
Auch wenn es der Name nahelegt: Ess- und Rosskastanie haben, abgesehen von ähnlich ausschauenden Früchten, wenig gemein. Während die Esskastanie eng mit Buchen und Eichen verwandt ist, gehört die Rosskastanie wie die Ahorne zu den Seifenbaumgewächsen. In unseren Breiten ist die Rosskastanie noch nicht allzu lange ansässig. Erst um 1600 gelangte die aus dem Balkan stammende Art nach Mitteleuropa und machte später als Allee- und Biergartenbaum Karriere.


Oberhalb der Weinberge
Als Südländerin ist die Esskastanie etwas spätfrostempfindlich. Da sie aber erst im Juni blüht, würde sie selbst im hohen Norden Deutschlands gedeihen. Bäume in Parks und Botanischen Gärten beweisen dies ja. Um aber regelmäßig reife Früchte hervorzubringen, ist eine gewisse Jahres-Wärmemenge nötig. Die Weinbaugebiete bleiben also im Vorteil. Dabei besiedelt die Esskastanie die etwas höher gelegenen Hänge oberhalb der Weinberge. Früher fand das biegsame und verwitterungsbeständige Esskastanienholz auch direkt für Weinbergspfähle Verwendung, ebenso im Fassbau und für Möbel.

In der Castagniccia auf Korsika, in den Cevennen oder im Tessin und in Graubünden - alles klassische Esskastanienregionen - wurde die Kastanie auf felsigem Terrain kultiviert, wo kein Getreideanbau möglich war. Ein großer Baum mit 150 bis 200 Kilogramm Früchten konnte einen Menschen das Jahr über ernähren.

Botanisch betrachtet sind die Esskastanien Nüsse. Im Unterschied etwa zu Hasel- oder Walnüssen enthalten sie aber nur wenig Fette, dafür reichlich nahrhafte Kohlehydrate, darunter neben Stärke auch bis zu fünf Prozent Zucker.


Wahl der Kastanienkönigin
Jetzt im Herbst wird die Esskastanie in der Pfalz allerorten geehrt. Kastanienfeste finden statt, es gibt einen Kastanienwanderweg und sogar eine Kastanienkönigin wird gewählt. Das Esskastanienjahr beginnt aber schon Ende April mit dem Blattaustrieb. Gut einen Monat später zeigen sich die langen, blassgelben männlichen Blütenstände und verströmen einen bezaubernden Duft. Die kleinen weiblichen Blüten öffnen sich erst anderthalb Wochen später. Die Imker wissen die ergiebigen Kastanien zu schätzen und die Kundschaft den würzigen Kastanienhonig.

Im zunächst fest verschlossenen, dicht stachelbewehrten Fruchtbecher wachsen schließlich bis zum Herbst die Kastanien heran. Erst zur Reife ab Oktober öffnen sich die Becher und entlassen jeweils drei Früchte. Mäuse machen sich dann über die Esskastanien ebenso her wie Eichhörnchen, Siebenschläfer, Eichelhäher oder Krähen. Da so manche vor der Konkurrenz im Boden versteckte Kastanie vergessen oder nicht mehr wiedergefunden wird, sorgen die Tiere auch für die erfolgreiche Fortpflanzung der Bäume.



An vollen Büschelzweigen

An vollen Büschelzweigen,
Geliebte, sieh nur hin!
Laß dir die Früchte zeigen
Umschalet stachlig grün.

Sie hängen längst geballet,
Still, unbekannt mit sich.
Ein Ast, der schaukelnd wallet
Wiegt sie geduldiglich.

Doch immer reift von Innen
Und schwillt der braune Kern;
Er möchte Luft gewinnen
Und säh die Sonne gern.

Die Schale platzt und nieder
Macht er sich freudig los;
So fallen meine Lieder
Gehäuft in deinen Schoß.

Johann Wolfgang von Goethe
aus: West-östlicher Diwan, Buch Suleika


Regionale Identität
Die Renaissance der Esskastanie begann zunächst in Frankreich, Italien und der Schweiz. Im Tessin etwa begann sich gerade die junge Generation wieder für die jahrzehntelang vernachlässigten Kastanienhaine zu engagieren. Programme wurden aufgelegt, Landwirte erhalten Prämien und Angebote für den "sanften Tourismus" wurden geschaffen. Die alten Gerichte kommen wieder auf den Tisch; nicht mehr als Arme-Leute-Essen, sondern - teils verfeinert - als Teil der regionalen Identität.

Ähnlich verläuft die Entwicklung in der Pfalz. Dabei muss es nicht immer Saumagen sein; von süß bis deftig sind Esskastanien in der Küche vielfältig einsetzbar. Die Kastanien lassen sich entweder in der Schale anrösten - jeder kennt die "heißen Maroni" vom Weihnachtsmarkt - oder abkochen und dann schälen. In der einfachsten Form dienen Esskastanien als "Sättigungsbeilage". Sie lassen sich aber auch pürieren oder in getrockneter Form vermahlen. Brot und Gebäck aus Esskastanienmehl ist glutenfrei und damit für Allergiker eine hervorragende Weizenalternative.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/12, S. 40 - 42
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2013