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ANBAU/150: Vorfreude ist die schönste Freude - früher Erdbeerkonsum schadet der Natur (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 1/12
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Vorfreude ist die schönste Freude
Erdbeerkonsum im Winter schadet der Natur

von Julja Koch


Ihre Saison beginnt im Mai und wird von vielen ungeduldig erwartet. Denn Erdbeeren schmecken nach Sommer. Kein Wunder, dass man sich ihrem Bann schon im Winter nicht entziehen kann, wenn sie, zeitlich entrückt wie Weihnachtsmänner im Hochsommer, im Obstregal liegen. Natürlich schmecken sie noch nicht ganz so gut, aber einen Teil der Sehnsucht stillen sie schon.

Wahrscheinlich sind die frühen Erdbeeren deswegen so beliebt. Immerhin 98.000 Tonnen der süßen Früchtchen werden Jahr für Jahr nach Deutschland importiert. Wenn sie bei uns auf dem Tisch landen, haben sie bereits einen weiten Weg hinter sich. Sie kommen aus Marokko, Ägypten, Israel, Neuseeland, Mexiko, vor allem aber - 72.000 Tonnen waren es 2010 - aus Spanien. Das bedarf eines unglaublichen logistischen Aufwandes. Mit Flugzeugen oder in großen LKW-Ladungen werden sie ins Land gebracht. Erdbeeren müssen so schnell wie möglich nach dem Pflücken gegessen werden. Bei zu langem Transport bekommen sie Druckstellen und beginnen zu verderben.


Reich an Vitamin C

Wenn zum Jahresbeginn Schnupfen und Husten Hochsaison haben, kommen Erdbeeren eigentlich gerade recht. Mit 64 Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm Fruchtfleisch bringen sie mehr Unterstützung für das Immunsystem, als Zitronen und Orangen. Wegen des geringen Kaloriengehalts und des hohen Anteils an Mineralstoffen und Spurenelementen schwören auch Ernährungsexperten auf die roten Früchte. Aber sind sie auch im Januar schon so gesund? Bei einer Untersuchung von Früherdbeeren aus dem Supermarkt fand Greenpeace 2008 bei 78 Prozent der Erdbeeren aus konventionellem Anbau Pestizidrückstände. Bei sieben Prozent der Proben wurde sogar die zulässige Höchstgrenze überschritten. 2011 allerdings lagen bei einer Studie des Chemischen Veterinär- und Untersuchungsamtes Stuttgart die Belastungen durchgängig im zulässigen Rahmen. "In unserem letzten Test musste keine Erdbeerprobe mit 'rot', also 'nicht empfehlenswert' benotet werden", berichtet Manfred Santen, Chemieexperte bei Greenpeace.


Anfällig für Pilzbefall

Für die menschliche Gesundheit besteht also keine unmittelbare Gefahr. Doch Erdbeeren sind sehr empfindlich. Vor allem für Pilzerkrankungen sind die bodennahen Pflanzen sehr anfällig. Darum werden beim Anbau besonders viele Pflanzenschutzmittel verwendet, welche die Böden belasten. So birgt das Gift auch langfristige Gefahren für die Gewässer und Ökosysteme. Dieses Problem wird durch die in rascher Folge auf dem gleichen Feld angebauten Erdbeeren noch weiter verschärft.

Der goldene Weg kann daher nur ökologischer Anbau sein. "Dadurch, dass unter anderem keine Mittel gegen Pilzbefall genutzt werden dürfen, fällt bei schlechtem Wetter allerdings bis zur Hälfte der Ernte aus. Daher sind die Bio-Früchte oft deutlich teurer", erläutert NABU-Agrarexperte Florian Schöne.


Erdbeeren haben Durst

In den Anbaugebieten in Marokko und Ägypten ist der Pilzbefall kein so großes Problem. Daher gibt es im Supermarkt Bio-Ware aus Nordafrika, die günstiger ist als die hiesige. Schöne hält das für keine Alternative. Denn der lange Transport und der Einsatz von Pestiziden sind nur zwei der negativen Aspekte. Der Anbau in Südeuropa zieht weitere gravierende Konsequenzen nach sich.

Von oben betrachtet wirken Teile der Provinz Huelva in Andalusien wie von Plastik überzogen. Die Einwohner sprechen vom "Plastikmeer", wenn sie die 6.000 Hektar großen Erdbeeranbau-Gebiete meinen. Unter den transparenten Planen wachsen die Erdbeeren und fordern jährlich insgesamt 20 Millionen Kubikmeter Wasser. Das sind, in einer der trockensten Regionen Spaniens, ein Drittel der verfügbaren Wasserressourcen. Die Folge: Der Grundwasserspiegel sank von fünf bis sieben Metern in den 80er Jahren auf heute 30 bis 40 Meter. Das führt zu Dürren und Wasserknappheit bei der Bevölkerung. Immerhin werden in Spanien 80 Prozent des Trinkwasservorrats für die Landwirtschaft genutzt.



Vom Wald in den Garten

Erdbeeren gehören bereits seit der Steinzeit fest zum Speiseplan des Menschen. Ihre Geschichte zeigt, dass die unscheinbaren roten Früchte schon früh große Reisen gemacht haben. Denn schon mit der Entdeckung Amerikas kamen die ersten ausländischen Erdbeeren nach Europa. Die amerikanische Scharlach-Erdbeere wurde ein beliebtes Sommer-Obst und verdrängte die heimische Walderdbeere aus der Küche.

Die "normale" Gartenerdbeere schließlich entstand um 1750 in Holland aus Kreuzungen zwischen der amerikanischen und einer chilenischen Erdbeerart. Doch damit war bei der Erdbeerzucht das Ende noch lange nicht erreicht. Inzwischen sind 1000 Sorten bekannt. Nur 15 bis 20 davon sind im Handel verbreitet. Ein guter Grund also, selber Erdbeeren anzubauen.


Die Natur leidet

Und nicht nur das. Während die Erdbeeren ihr Wasser bekommen, gehen die Tiere und Pflanzen in der Region und im nahegelegenen Nationalpark Coto de Doñana, einem Feuchtgebiet mit Weltnaturerbe-Status, leer aus. Der akute Wassermangel bedroht ein ganzes Ökosystem, das im Winter auch von Millionen Zugvögeln genutzt wird und daher international von Bedeutung ist.

Der Landverlust durch die ständig wachsenden Obstanbau-Gebiete in Andalusien ist ein weiteres großes Problem. Laut einer Studie des WWF von 2010 wurden mehr als 2.100 Hektar öffentlicher oder privater Wälder ohne Genehmigung in Erdbeerplantagen umgewandelt, 450 Hektar davon sogar in Natura-2000-Schutzgebieten. Damit gehen wichtige Lebensräume verloren oder werden zerschnitten. Wanderwege von Tierarten, die große Gebiete bewohnen, wie der vom Aussterben bedrohte Iberische Luchs, werden mit zerstört.

Wenn Erdbeeren im kalten Winter duftend zum Kauf verführen, macht man sich all das nicht bewusst. Doch die Natur zahlt einen hohen Preis für unseren Beeren-Luxus. Statt sie in den Einkaufswagen zu legen, sollte man lieber tief Luft holen, ihren Duft genießen und sich freuen, dass bald endlich wieder die Erdbeerzeit beginnt! Vorfreude ist ja bekanntlich auch die schönste Freude.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Früherdbeeranbau unter Folientunneln in Spanien. Auch in Deutschland wird inzwischen derart "nachgerüstet".
- Winzig, aber aromatisch: Heimische Walderdbeeren und eine "moderne" Kulturerdbeere im Größenvergleich.

http://www.nabu.de/nabu/nh/2012/1/14558.html


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/12, S. 34-36
(Text in der Internet-Fassung)
http://www.nabu.de/nabu/nh/2012/1/14554.html
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2012