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STIMMEN/006: Wie schreibt man eigentlich ein Kapitel für den IPCC-Klimabericht? (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter April 2014

Wie schreibt man eigentlich ein Kapitel für den IPCC-Klimabericht?

Interview von Tilo Arnhold und Susanne Hufe mit Agrarbiologe PD Dr. Josef Settele



Der Agrarbiologe PD Dr. Josef Settele vom UFZ hat zusammen mit Robert John Scholes vom Council for Scientific and Industrial Research in Südafrika in der Arbeitsgruppe II des 5. Sachstandsberichtes ein Kapitel koordiniert und mitverfasst. Darin wird der Stand des Wissens zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Terrestrische Ökosysteme und Binnengewässer zusammengefasst (Kapitel 4: "Terrestrial and Inland Water Systems").


Herr Settele, was bedeutet es, "Koordinierender Leitautor" für einem IPCC-Bericht zu sein?

Die Hauptaufgabe der Koordinierenden Leitautoren besteht darin, den Text, der den Stand der Forschung weltweit zu einem Thema repräsentieren muss, in seinem Umfang und inhaltlichen Schwerpunkten in Diskussion mit den Leitautoren und Autoren festzulegen. Wir müssen also dafür sorgen, dass die unglaublich vielen Einzelbeiträge am Ende wie Puzzlesteine zu einem Gesamtbild zusammengeführt werden, das in sich stimmig ist und mit dem später alle möglichen Nutzergruppen etwas anfangen können sollten - von sehr interessierten Bürgern, die sich einfach nur informieren wollen, bis hin zu Regierungen, die darauf basierend wichtige Entscheidungen treffen müssen. Und natürlich versuchen wir als Wissenschaftler, den Stand der Forschung ausgewogen und korrekt wiederzugeben - auch wenn dies oft nicht so einfach ist. Denn wir tragen zunächst das Wissen zusammen, das andere erarbeitet haben, und müssen es auf Basis unserer fachlichen Einschätzung aus der Ferne gewichten. Zum Glück gab es zig Experten, die uns dabei unterstützt und bei den Details geholfen haben.

Vollblutwissenschaftler und Koordinierender Leitautor - wie geht das?

Die Arbeit als Koordinierender Leitautor ist eigentlich ein Vollzeitjob, den man sich in der Realität nicht wirklich leisten kann. Denn die normale Arbeit als Wissenschaftler läuft im Großen und Ganzen weiter. Da in Spitzenzeiten jedoch deutlich über hundert E-mails pro Tag mit Kommentaren erfasst, bewertet, geprüft und eingearbeitet werden mussten, war ich froh, dass ich durch die Finanzierung des Bundesforschungsministeriums die Möglichkeit hatte, einen sogenannten Freiwilligen Kapitelwissenschaftler einzustellen, der mir bei der Bewältigung der vielen Routineaufgaben geholfen hat. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Der Koordinierende Leitautor bekommt personelle Unterstützung, und der junge Wissenschaftler kann unheimlich viel lernen: Wie sammelt man Informationen? Wie geht man mit großen Zitationsbanken um? Wie wird so eine Mammutaufgabe konzeptionell angegangen und wie lässt sie sich koordinieren? Für Kapitel 4 haben zwei UFZ-Kollegen diese Aufgabe nacheinander übernommen, Dr. Marten Winter und Dr. Martin Musche.

Der IPCC wird von Kritikern gerne als ein elitärer Zirkel von Wissenschaftlern bezeichnet, die die Deutungshoheit zum Thema Klima nicht aus der Hand geben wollen. Wie haben Sie das empfunden?

Der 5. Sachstandsbericht des IPCC ist keine Geheimsache, auch wenn das Verschwörungstheoretiker gerne mal behaupten. Dahinter steht vielmehr ein Prozess, den ich als ziemlich offen kennengelernt habe. Als Autor konnte sich jeder interessierte Experte bei seiner Regierung bewerben, die wiederum ihre Nominierungen an den IPCC gegeben hat. Auf diese Weise sind für alle drei Arbeitsgruppen des IPCC-Berichts mehr als 3.000 Nominierungen von Regierungen und Beobachterorganisationen eingegangen, aus denen etwa 830 Leitautoren - einschließlich der Koordinierenden Leitautoren - aus aller Welt ausgewählt wurden, darunter 36 aus Deutschland. Die IPCC-Organisatoren haben sich bemüht, bei der Auswahl möglichst alle Weltregionen ausgewogen einzubeziehen.

Wichtigstes Kriterium war aber die wissenschaftliche Kompetenz. Wenn man weiß, dass die Chancen nur bei etwa eins zu drei standen, für den IPCC nominiert zu werden - und dann noch als Koordinierender Leitautor - freut man sich besonders. Wahrscheinlich war es in meinem Fall von Vorteil, dass ich zuvor mit ALARM ein EU-Forschungsprojekt koordiniert habe, in dem auch die Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt untersucht worden sind.

Lässt sich die Koordination eines Kapitels im IPCC-Bericht mit der eines EU-Projektes wie ALARM überhaupt vergleichen?

Die Dimensionen sind ganz andere. ALARM war 2004 bis 2009 das größte Forschungsprojekt der EU im Bereich der terrestrischen Biodiversität. Über 200 Wissenschaftler aus 35 Ländern waren daran beteiligt. Die IPCC-Arbeitsgruppe II dagegen erhielt schon beim ersten Entwurf rund 20.000 Kommentare von zirka 560 Gutachtern. Jede Regierung der 195 UN-Mitgliedsstaaten sowie hunderte Experten konnten ihre Einschätzung dazu abgegeben, ob der Stand der Forschung angemessen dargestellt ist. Allein in dem Fachgebiet, das unser Kapitel 4 betrifft, erscheinen wöchentlich Dutzende von wissenschaftlichen Studien. Die größte Gefahr für uns war deshalb, etwas Wichtiges zu übersehen. Der IPCC-Bericht ist eben ein weltumfassendes Projekt. Das macht sich auch in der Kommunikation bemerkbar. Nicht nur, dass rund um die Uhr Kommentare per Email eintreffen. Auch verschiedenste Wissenschaftskulturen prallen dabei auf einander. Ich hätte mir vorher nie vorstellen können, dass wir über die Interpretation von Begriffen wie z.B. Kulturlandschaft so intensiv diskutieren würden. Aus meiner Sicht ist der IPCC-Report die größte wissenschaftliche Gemeinschaftsleistung derzeit.

Der IPCC war vor einigen Jahren vor allem in den Medien mit Schlagzeilen über einem Zahlendreher und durch die Veröffentlichung von internen Mails. Wie hat das die Arbeit am 5. Bericht beeinflusst?

Eine der Herausforderungen ist ja, dass die Publikationen für den Bericht nach der Relevanz und eben nicht nur nach dem Renommee des Journals ausgewählt werden. Also wird teilweise auch auf Reports von Nichtregierungsorganisationen oder ähnliche Dokumente zurückgegriffen, die keinen Gutachterprozess (peer-Review) wie wissenschaftliche Publikationen durchlaufen haben.

Das kommt daher, dass es zu bestimmten Themen oder Regionen keine anderen Quellen gibt. Hier müssen die Aussagen, ihre Quellen und ihre Verlässlichkeit dann besonders gründlich gecheckt werden. Die Gefahr, dass sich ein Fehler einschleicht, ist prinzipiell immer da, wird aber umso geringer, je mehr Augen darauf schauen. Im Gegensatz zu einem normalen peer-reviewten Paper haben wir beim IPCC aber nicht nur zwei, sondern hunderte von Gutachtern. Auch von einer gewachsenen Angst vor "Leaks" habe ich als IPCC-Neuling nichts gespürt. Neu war aber auf alle Fälle bei diesem Sachstandsbericht, dass extrem großer Wert darauf gelegt wurde, überall anzugeben, für wie zuverlässig jede Aussage eingeschätzt wird. In diese Bewertung in Form von sogenannten confidence levels flossen dabei jeweils die Anzahl bzw. Qualität der zugrundeliegenden Daten bzw. Studien als auch der Grad ihrer Übereinstimmung mit ein.

Am 31. März wurde Teil II des IPCC-Berichts der Öffentlichkeit vorgestellt. Wie wirkt sich denn nun der Klimawandel auf terrestrische Ökosysteme aus?

Das Kapitel, in dem es um die Folgen des Klimawandels für die terrestrischen Ökosysteme und Binnengewässer sowie die Anpassungsmöglichkeiten für Menschen, Tiere und Pflanzen geht, hat 153 Manuskriptseiten.

Die lassen sich nicht in drei Sätzen zusammenfassen. Aber ich will versuchen, einige wichtige Dinge anzureißen. Unter anderem zeigen die Ergebnisse sehr deutlich, dass die Zukunft der terrestrischen Ökosysteme nicht nur vom Klimawandel abhängt, sondern von einer Reihe von Faktoren, die miteinander interagieren und deren Bedeutung sich im Verlaufe der Zeit verschiebt. Zum Beispiel können wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass momentan - und auch in den nächsten Jahren - nicht das Klima die Hauptbedrohung für unsere Ökosysteme ist, sondern dass vor allem Landnutzung (inklusive Isolation und Fragmentierung) und Umweltverschmutzung für den Hauptstress sorgen. Klar ist, der Klimawandel wird diese Situation zunehmend verschärfen und noch viel mehr an Einfluss gewinnen.

Was diese Erkenntnis für die Diskussionen um den Ausbau der Biomasseproduktion im Zuge der Reduktion von Treibhausgasen bedeutet, wird spannend und bedarf sicherlich einer sehr ausgewogenen Lösung. Denn würden wir voll auf Biomasse setzen, um CO2 einzusparen, könnten wir vielleicht das Klima leichter in den Griff bekommen, aber die biologische Vielfalt würde so dramatisch schrumpfen, dass wir uns auf diese Weise unserer Lebensgrundlage berauben.

Stichwort invasive Arten. Welche Rolle spielt der Klimawandel bei deren Verbreitung?

Entgegen landläufiger Meinungen kann die Invasion gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten in den meisten Fällen nicht dem Klimawandel zugeschrieben werden, sondern ist in erster Linie der gewachsenen Mobilität der Menschen geschuldet. Erst dann, wenn die Tiere oder Pflanzen schon an einen anderen Ort verfrachtet sind, kommen die klimatischen Bedingungen ins Spiel und sorgen für ihr Überleben oder auch ihr Verschwinden. Wir Menschen finden diese "ungewollte" Artenverbreitung oft problematisch, weil sie einheimische Arten verdrängt, uns gesundheitlich beeinträchtigt (Stichwort Ambrosie und Allergien), ökonomische Schäden verursacht oder, wie im Falle der Waschbären, uns einfach nur lästig ist.

Vor dem Hintergrund der Klimaveränderungen würden wir uns die Artenverschiebung in andere Lebensräume jedoch wünschen. Nämlich dann, wenn der Klimawandel die Lebensbedingungen von einheimischen Arten so ungünstig beeinflusst, dass sie auswandern müssen, um zu überleben. Unsere Ergebnisse zeigen, dass selbst bei einem mittleren Szenario der Klimawandel schneller ist als das maximale Tempo, bei dem es für viele Gruppen von Organismen noch möglich wäre, sich auszubreiten oder abzuwandern. Arten, die in eher flachen Regionen leben, werden aufgrund der zu überwindenden Entfernungen davon besonders betroffen sein, ebenso Arten mit einem niedrigen Verbreitungspotenzial, d. h. vor allem viele Pflanzenarten, Amphibienarten und einige kleine Säugetiere. Natürliche Barrieren wie Gebirge oder Flüsse oder von Menschenhand geschaffene Hindernisse wie Staudämme, Autobahnen oder urbane Siedlungen reduzieren die Möglichkeiten für diese Arten weiter, in passendere Klimazonen zu gelangen und erhöhen damit das Aussterberisiko.

Was kann man dagegen tun?

An den natürlichen Barrieren wird man nicht viel ändern können, aber an den menschgemachten - zum Beispiel der Zersiedlung entgegensteuern und bei der Landschaftsplanung bewusst auf Durchlässigkeit achten.

Ebenso könnte man das Management von Flächen so beeinflussen, dass man die makroklimatische Erwärmung mikroklimatisch ausgleicht, etwa durch höhere Bestände in der Vegetation. Über viele solche "kleinen" lokalen Maßnahmen könnten wir die Zeit gewinnen, die die Arten in die Lage versetzt, nach und nach dem Klimawandel zu folgen.

Kommen wir noch einmal zu Ihnen. Könnten Sie sich vorstellen, beim nächsten IPCC-Bericht wieder mitzuarbeiten?

Also, um ehrlich zu sein, ich kann noch nicht sagen, ob ich mich wieder bewerben würde. Jetzt heißt es für mich erst mal durchatmen und sich wieder der normalen Forschung widmen. Fest steht jedoch, dass ich mein Engagement beim IPCC nicht bereue. Denn für jemanden wie mich, dem es großen Spaß macht, Wissenschaftler zusammenzubringen, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen, ist das auf jeden Fall eine tolle Sache - in Sachen Projektkoordination ist eigentlich kaum noch eine Steigerung möglich. Und natürlich war es eine große Ehre, dabei gewesen zu sein.

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Quelle:
UFZ-Newsletter April 2014, Seite 6 -7
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2014