Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → KLIMA

RECHT/013: Klimawandel und Recht (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 2/2010

Klimawandel und Recht

Die Aufgaben der Rechtswissenschaft im Klimaschutz

Von Sabine Schlacke


Der anthropogene Klimawandel und die damit verbundenen Folgen für Mensch und Umwelt gehören wahrscheinlich zu den größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Um eine weitere globale Erwärmung der Erdatmosphäre einzudämmen und um sich an das sich verändernde Klima anzupassen, bedarf es enormer technologischer, gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Anstrengungen. An der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht (FEU) wird untersucht, welcher rechtliche Rahmen und welche rechtliche Steuerung notwendig sind, damit die Transformation in eine klimaverträgliche Gesellschaft bewerkstelligt werden kann.


Um dem Klimawandel zu begegnen, wird von wissenschaftlicher Seite als Kernherausforderung eine Energiewende gesehen. Auch die Politik sieht die Notwendigkeit und reagiert, wie zuletzt mit dem Energiekonzept der Bundesregierung vom 28. September 2010; denn noch immer basiert das deutsche Energiesystem auf fossilen Energieträgern. Das bisherige Energiesystem muss daher hin zu erneuerbaren Energien umgebaut werden, ihre Nutzung erheblich ausgebaut und Technologien, insbesondere die Offshore-Windenergie, weiterentwickelt werden.

Teilweise müssen gänzlich neue Konzepte entwickelt werden. So fehlt in Europa bislang ein leistungsstarkes Stromnetz, das den ganzen Kontinent überspannt und wenn nötig auch Strom aus anderen Kontinenten (z.B. Solarstrom aus Nordafrika) der europäischen Energieversorgung zugänglich machen kann. Im Bereich der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid werden derzeit neue Technologien entwickelt, wobei sogar darüber nachgedacht wird, durch gezielte Eingriffe in das Erdsystem den Klimawandel in kurzer Zeit zu mildern oder gar aufzuhalten. Derartiges Climate Engineering beinhaltet beispielsweise die Beseitigung bereits in der Erdatmosphäre befindlicher Treibhausgase, etwa durch Meeresdüngung. Dazu zählen auch Techniken, die den Einfall von Sonnenstrahlung verhindern, sogenannte "sulfur injections", oder die Reflektion derselben verstärken, wie das solar radiation management.


Innovation fördern und Risiken vermeiden

Welchen Beitrag kann die Rechtswissenschaft zur Begrenzung und Bewältigung des Klimawandels leisten? Die Autorin bearbeitet diese Frage unter anderem als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). In diesem Beratungsgremium mit Forschern verschiedener Disziplinen wird beispielsweise diskutiert, welche technologischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Innovationen erforderlich sind, um die Erderwärmung zu stoppen. In diesem Kontext ist es Aufgabe der Rechtswissenschaft zu prüfen, ob und inwieweit Recht gestaltet werden kann und muss, um den erforderlichen, vor allem auf technologische Innovationen beruhenden Transformationsprozess zu ermöglichen, ihn zu befördern, ihn nicht zu be- oder verhindern, unerwünschte Nebenfolgen zu vermeiden und angestrebte Ziele zu erreichen.

Ferner ist zu analysieren, inwieweit Recht die durch Innovationen bedingten Beeinträchtigungen von Rechten Einzelner (Beispiel Gesundheit, Eigentum) oder des Gemeinwohls (Beispiel Umweltschutz) angemessen ausgleichen kann. Aufgabe des Rechts ist also nicht nur, Innovationen zu fördern oder zuzulassen, sondern auch die damit verbundenen Risiken für Mensch und Umwelt in den Blick zu nehmen, diese zu bewerten und gegenüber dem Vorteil der jeweiligen Innovationen abzuwägen. Damit muss das Recht auch Verantwortung im Hinblick auf Innovationen übernehmen und dieser durch einen angemessenen Ausgleich zwischen den verschiedenen Schutzgütern gerecht werden.


Ein neues, hochspezialisiertes Rechtsgebiet

Der Ausgangspunkt rechtswissenschaftlicher Forschung ist zunächst das geltende (Klimaschutz-)Recht. Bereits hierbei handelt es sich um eine Innovation, die es rechtswissenschaftlich zu untersuchen und zu begleiten gilt. Denn Klimaschutzrecht ist ein Rechtsgebiet, das zwar noch im Entstehen begriffen ist, aber bereits systemprägende Ziele, Prinzipien und Strukturen aufweist. Unter Klimaschutzrecht kann die Summe derjenigen Rechtsnormen verstanden werden, die das Klima vor anthropogenen Einwirkungen schützen sollen. Als Schutzgut dieses Rechtsbereichs kommt zum einen die Atmosphäre selbst in Betracht, zum anderen ist ein stabiles Klima Grundvoraussetzung für menschliches und tierisches Leben sowie für die Pflanzenwelt.

Aufgabe rechtswissenschaftlicher Forschung im Klimaschutzbereich ist insoweit, die Vielzahl der bestehenden, klimaschützenden Regelungen, die auf untergesetzlicher Ebene weiter ausdifferenziert werden und zum Teil mit anderen Rechtsgebieten (Umweltrecht, Energierecht) verzweigt sind, zu systematisieren, Inkohärenzen aufzudecken, Lücken sowie Defizite zu benennen und diese letztlich zu beheben helfen. Ferner sollten Lösungsansätze entwickelt werden, die die systematischen Divergenzen beseitigen und zu einem kohärenten Rechtsbestand beitragen.

Darüber hinaus kann die Rechtswissenschaft die Anwendung klimaschützender Regelungen durch die Verwaltung begleiten. Konflikte über die Auslegung und den Vollzug klimaschützender Vorschriften führen oftmals zu den Gerichten. Insoweit entsteht derzeit eine hochspezialisierte Rechtsprechung im Bereich des Klimaschutzrechts. Gerichtsentscheidungen etwa zur Frage der Zulässigkeit der Marburger Solarsatzung, des Aufstellens von Heizpilzen vor Berliner Gaststätten oder der Zulässigkeit des Kohlekraftwerks Lünen, bei denen allesamt Klimaschutzgesichtspunkte eine zentrale Rolle spielten, sind von der Rechtswissenschaft auf ihre inhaltliche Richtigkeit und Kohärenz hin zu überprüfen und in den Gesamtzusammenhang des Klimaschutzrechts einzuordnen.


Empfehlungen für die Gesetzgebung

Die Rechtswissenschaft begleitet auch den Prozess der Rechtsentstehung. Das bestehende Recht ist oftmals nicht in der Lage, technologische Innovationen, wie etwa die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage - CCS), angemessen zu steuern, weil derartige Entwicklungen nicht vorausgesehen werden konnten. Der Gesetzgeber ist insoweit gefordert, die vorhandenen Regulierungslücken zu schließen. Die Rechtswissenschaft kann diesen Gesetzgebungsprozess kritisch begleiten und aufzeigen, welche europa-, verfassungs- und einfachrechtlichen Erfordernisse bei der Entstehung neuer Gesetze zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus gilt es - zum Teil mit ökonomischen oder sozialwissenschaftlichen Anleihen - Aussagen über die Sachgerechtigkeit und Angemessenheit der jeweiligen Gesetzentwürfe zu treffen.

So muss der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlich gebotenen Innovationsverantwortung nachkommen. Insbesondere muss er gegenüber Gesundheits- und Umweltrisiken, wie sie bei CCS-Technologien durch explosionsartiges Entweichen von CO2 oder durch Kontamination des Grundwassers entstehen können, hinreichend Vorsorge durch rechtlich verbindliche Pflichten bis hin zu Haftungspflichten etwa der Anlagenbetreiber gewährleisten.

Auch Maßnahmen im Rahmen des Climate Engineering bedürfen einer rechtswissenschaftlichen Begleitung. Bereits die Erforschung ihrer Chancen und Risiken sollte rechtlich gesteuert werden. Nachteile oder Beeinträchtigungen für die Umwelt oder Rechte Einzelner müssen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Eine großskalige Anwendung dieser neuartigen Techniken und Maßnahmen bedarf einer Abwägung mit sonstigen Allgemeinwohlbelangen sowie den Grundrechten. Transnationale Auswirkungen sind bei einer Zulassung dieser Technologien ebenso zu berücksichtigen wie die Interessen gegenwärtiger und zukünftiger Generationen, um damit auch in der Ausgestaltung dieser Technologien dem Gebot der Nachhaltigkeit gerecht zu werden.

Hinsichtlich der Umgestaltung des Energiesystems zu einer klimaverträglichen Versorgung wird die Errichtung und der Betrieb eines neuen europaweiten Energieleitungssystems (Supergrid) als notwendig erachtet. Rechtlich ist diesbezüglich etwa die Frage aufgeworfen, ob die Europäische Union die erforderlichen Rechtsetzungskompetenzen für die Schaffung eines einheitlichen rechtlichen Rahmens für ein derartiges Supergrid besitzt.

Die rechtswissenschaftliche Analyse der geltenden oder im Entstehen befindlichen Rechtslage kann schließlich zur Aufdeckung von Inkohärenzen und Lücken im Rechtsbestand führen. Im Klimaschutzbereich ist beispielsweise zu bemängeln, dass es bislang an einem globalen rechtsverbindlichen Konzept, an einer vollständigen Einbeziehung des Transportsektors (Straßenverkehr, Schifffahrt) in das Emissionshandelssystem, an einer ausreichenden rechtlichen Steuerung des Konsumentenverhaltens und der durch die Landwirtschaft verursachten Treibhausgase fehlt. Zudem existieren keine rechtlichen Instrumente, die Anreize zum maßvollen Einsatz oder zum Verzicht auf den Einsatz von Energie setzen (Suffizienz).


Perspektiven für den Klimaschutz

Aus meiner Perspektive sollte sich rechtswissenschaftliche Forschung im Klimaschutzbereich zukünftig unter anderem folgenden Fragen zuwenden:

Die Fortentwicklung und Ausweitung klimaschützender Einzelregelungen und Regelwerke sollte auf allen Rechtsebenen, auf der internationalen, der europäischen und der nationalen Ebene, rechtswissenschaftlich beobachtet, analysiert und bewertet werden.

Im Klimaschutzrecht werden neuartige, im Schwerpunkt ökonomische Instrumente - wie der Emissionshandel - eingeführt. Der wissenschaftliche Beleg für ihre innovationsfördernden Wirkungen zum Schutz des Klimas steht weitgehend noch aus und bedarf einer rechtswissenschaftlichen, aber auch interdisziplinären Begleitung und Analyse.

Im Klimaschutzrecht ist ein bislang für ein Rechtsgebiet einmaliger Instrumentenmix zu konstatieren: Der Gesetzgeber bedient sich - scheinbar willkürlich - ökonomischer Anreizinstrumente, wie der Einspeisevergütung von Strom, der durch erneuerbare Energieträger erzeugt wurde. Und er verankert ordnungsrechtliche Pflichten - wie etwa die Pflicht zur Nutzung von erneuerbaren Energien im Neubaubereich durch das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Die Steuerungswirkung dieser vielfältigen und unterschiedlich ausgestalteten Instrumentenverbunde bedarf dringend - vor allem mit Blick auf eine zukünftige rechtliche Steuerung von Innovationen im Klimaschutzbereich - der Erforschung.

Und schließlich hat das Klimaschutzrechtrecht durchgängig einen Ausgleich zwischen Innovationsförderung auf der einen und Rechten Einzelner sowie Allgemeinwohlinteressen auf der anderen Seite zu finden. Inwieweit die Gesetzgebung, aber auch Verwaltung und Rechtsprechung ihrer Innovationsverantwortung nachkommen, bedarf ebenfalls rechtswissenschaftlicher Untersuchung.


Weitere Informationen:
www.feu.uni-bremen.de


Sabine Schlacke ist Professorin für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt deutsches, europäisches und internationales Umweltrecht sowie Verwaltungsrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen. Dort ist sie geschäftsführende Direktorin der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht (FEU). Seit Dezember 2008 ist sie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).


*


Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 2/2010, Seite 24-27
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
Universitäts-Pressestelle
Postfach 330440, 28334 Bremen
Telefon: 0421/218-60 150, Fax: 0421/218-98 42 70
E-Mail: presse@uni-bremen.de
Internet: www.uni-bremen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2011